Der besondere Fall

Schnelle Intervention nach einer Nadelstichverletzung

Heftarchiv Zahnmedizin
Sabine Wicker et al.

Wenn sich ein Zahnarzt während einer Behandlung an einem Patienten verletzt, sollte eine sofortige Blutuntersuchung des Behandlers sowie des Indexpatienten erfolgen. Der vorliegende Fall nennt die Vorteile, die durch schnelles Handeln für beide Beteiligten entstehen.

Eine 30-jährige Zahnmedizinstudentin im fünften klinischen Semester hatte sich im Juni 2011 beim Ausarbeiten und Adjustieren einer Registrierschablone an einem benutzten Skalpell verletzt. Die circa 0,7 cm messende Schnittverletzung erfolgte durch den Handschuh, aus der Verletzung trat Blut aus.

Bei dem Patienten handelte es sich um einen 46-jährigen Mann, der die Frage der Studentin nach möglichen Infektionserkrankungen verneinte, aber einer Entnahme von Blut zur Testung auf HIV, Hepatitis B (HBV) und Hepatitis C (HCV) zustimmte. Man bezeichnet solche Patienten als „Indexpatienten“.

Die verletzte Studentin stellte sich umgehend (Vorstellung erfolgte innerhalb von 30 Minuten) beim Durchgangsarzt des Klinikums vor, der die Nadelstichverletzung (NSV) als Arbeitsunfall der zuständigen Berufsgenossenschaft meldete.

Die erforderlichen Nachuntersuchungen fanden am Universitätsklinikum Frankfurt in Zusammenarbeit mit dem Betriebsärztlichen Dienst des Klinikums statt. Die serologischen Untersuchungen wurden am Institut für Medizinische Virologie des Universitätsklinikums Frankfurt vorgenommen.

Virologische Diagnostik

Bei der Zahnmedizinstudentin wurden am Tag der NSV folgende Parameter bestimmt:

• HIV-AK + p24 Ag: negativ• HCV-AK: negativ• anti-HBs: 53 mIE/ml

Bei diesem Wert nach Hepatitis-B-Grundimmunisierung im Jahr 1999 erfolgte gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch- Institut (RKI) eine Hepatitis-B-Auffrischungsimpfung (siehe Tabelle S. 48).

Bei dem Indexpatienten wurden am Tag der NSV folgende Parameter bestimmt:

• HIV-AK + p24 Ag: negativ• anti-HBc, HBs-Ag: negativ• HCV-AK: ELISA und Immunoblot:

positiv. Das heißt, dass sich im Hinblick auf die Anamnese des Patienten die Erstdiagnose einer Hepatitis-CInfektion zeigte.

Der ambulante Patient der Zahnklinik wurde daraufhin in die Klinik zur Befundbesprechung einbestellt.

Zur Verifikation der Diagnose der HCV-Infektion und zur Klärung der Infek tiosität und der Indikation einer anti viralen Therapie wurde eine zweite Blutentnahme zur Bestimmung der HCV-RNA veranlasst. Das Ergebnis der PCR-Untersuchung belegte eine Virämie mit einer Viruslast von 1,6 Millionen IU/ml.

Weiteres Prozedere

Zahnmedizinstudentin: Da derzeit weder eine HCV-Postexpositionsprophylaxe (HCVPEP) noch eine HCV-Impfung zur Verfügung stehen, gilt es eine etwaige HCV-Infektionsübertragung frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Bei einer akuten HCV-Infektion, wie sie im Fall einer NSV vorliegen würde, ist die alleinige PEG-Interferontherapie über sechs Monate ausreichend und mit hohen Heilungsraten von 71 bis 98 Prozent assoziiert [Sarrazin et al., 2010].

Eine frühzeitige Diagnose und ein frühzeitiger Behandlungsbeginn erhöhen die Chancen auf ein anhaltendes virologisches Ansprechen, wohingegen eine unbehandelte Hepatitis-CInfektion in der überwiegenden Zahl der Fälle (etwa 70 Prozent) zu einer chronischen Infektion führt [Sarrazin et al., 2010].

Aus diesem Grund wurde bei der Studentin zwei und sechs Wochen nach der NSV eine Bestimmung der HCV-RNA veranlasst. Die durchgeführten HCV-PCR-Untersuchungen der Studentin waren beide negativ. Im weiteren Zeitverlauf wird nun noch nach drei und sechs Monaten eine Bestimmung von HCV-AK mittels ELISA erfolgen. Das Risiko, eine HCV-Infektion nach NSV mit HCV-kontaminierten Material zu entwickeln, ist im Durchschnitt kleiner als ein Prozent und beträgt bei europäischen Patienten etwa 0,42 Prozent [Kubitschke et al., 2007].

Indexpatient: Eine chronische HCV-Infektion führt in der Mehrzahl der Fälle zu einer langsam progredienten Hepatitis und ist aufgrund der mit ihr assoziierten erhöhten Morbidität und Mortalität grundsätzlich eine behandlungsbedürftige Erkrankung. Die Frage der Indikation für eine antivirale Therapie muss deswegen umgehend geklärt werden und regelmäßige Kontrolluntersuchungen (wie Oberbauchsonografie, Bestimmung der Transaminasen und gegebenenfalls Alpha-Fetoprotein) sollten unbedingt erfolgen.

Eine HCV-Infektion kann auch zu extrahepatischen Manifestationen führen (zum Beispiel Autoimmunerkrankungen, rheumatoide Gelenkbeschwerden) und mit einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit und einer Reduktion der Lebensqualität verbunden sein [Sarrazin et al., 2010].

Der bis dato klinisch beschwerdefreie Indexpatient wurde zur weiteren Diagnostik und Behandlung an eine gastroenterologische Abteilung überwiesen.

Arbeitsmedizinische und virologische Beurteilung

Berufsbedingte HCV-Übertragungen sind in der Literatur bei zahnmedizinischem Personal beschrieben worden [Shah et al., 2006]. Eine Studie aus New York belegt, dass zwei Prozent der untersuchten Zahnärzte sowie neun Prozent der Kieferchirurgen anti-HCV positiv waren. Der prozentuale Anteil HCV-positiver Kieferchirurgen war proportional zur Anzahl der Arbeitsjahre, die in der Zahnheilkunde absolviert worden waren. Die Autoren folgerten, dass Zahnärzte ein erhöhtes Risiko von HCVInfektionen haben [Klein et al., 1991].

Nach beruflicher Exposition gegenüber HBV, HCV oder HIV sollten sowohl der Patient, von dem das (potenziell) infektiöse Material stammt (Indexpatient) als auch der Exponierte serologisch und gegebenenfalls molekularbiologisch (nach-)untersucht werden. Die NSV sollte als Arbeitsunfall beim zuständigen Durchgangsarzt oder Betriebsarzt gemeldet werden. Einerseits könnte eine Postexpositionsprophylaxe (PEP) notwendig werden, falls der Indexpatient einen positiven Serostatus für HIV oder HBV aufweist, andererseits kann durch eine lückenlose Dokumentation der etwaige Anspruch auf Leistungen der Berufsgenossenschaft nachgewiesen werden, sollte es zu einer Infektionsübertragung gekommen sein [Wicker et al., 2010].

Eine akute HCV-Infektion verläuft oftmals asymptomatisch (rund 90 Prozent). Die Diagnose einer HCV-Infektion ist häufig ein Zufallsbefund, der jedoch eine hohe klinische Relevanz für den Betroffenen hat, da es ohne Behandlung in der überwiegenden Anzahl der Fälle zu einer Chroni fizierung mit dem Risiko einer Leberzirrhose und hepatozellulärem Karzinom kommen kann. Der Indexpatient hat von seiner Untersuchung im Zusammenhang mit der NSV dahingehend „profitiert“, dass eine bisher klinisch inapparente Infektion diagnostiziert wurde und einer adäquaten Behandlung zugeführt werden konnte.

Bei der Zahnmedizinstudentin konnte mittlerweile eine HCV-Infektionsübertragung nahezu ausgeschlossen werden; eine HCVTransmission wäre mit den durchgeführten PCR-Untersuchungen erkannt worden. Wäre die Studentin infiziert worden, hätte sie aufgrund eines frühzeitigen antiviralen Therapiebeginns eine sehr gute Prognose auf vollständige Ausheilung der HCV-Infektion gehabt. Die Hepatitis-B-Impfung wurde aufgefrischt.

PD Dr. Dr. med. Sabine WickerBetriebsärztlicher DienstKlinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität FrankfurtTheodor-Stern-Kai 760590 Frankfurt am MainSabine.Wicker@kgu.de

Dr. med. dent. Werner BetzZahnärztliches Universitäts-Institutder Stiftung CarolinumTheodor-Stern-Kai 760590 Frankfurt am Main

Prof. Dr. med. dent. Hans C. LauerZahnärztliches Universitäts-Institutder Stiftung CarolinumTheodor-Stern-Kai 760590 Frankfurt am Main

Prof. Dr. rer. med. Holger F. RabenauInstitut für Medizinische VirologieKlinikum der Johann Wolfgang Goethe-Universität FrankfurtPaul-Ehrlich-Str. 4060596 Frankfurt am Main

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