Fachbereich Ethno- und Paläo-Zahnmedizin
Unsere Gegenwart ist einerseits durch zunehmende Globalisierung und Migration, andererseits durch wachsenden Tourismus in alle Teile der Welt gekennzeichnet. Dies führt unweigerlich dazu, dass man mit mundgesundheitsbezogenen Phänomenen und Praktiken konfrontiert wird, die hierzulande weitgehend unüblich und/oder unbekannt sind. Alle orofazialen Strukturen können von solchen Veränderungen und Eingriffen betroffen sein:
• die Zähne (zum Beispiel anatomischmorphologische Variationen; Zahnfeilungen und nicht medizinisch indizierte Extraktionen; Verfärbungen von Zähnen, wie durch den Verzehr von Kolanüssen, Betelnüssen oder Oraltabak; exzessive Abrasionen aufgrund der Verwendung von Zahnputzhölzern),
• die Mundschleimhaut (natürliche oder künstliche Gingiva-Pigmentierungen; Präkanzerosen und Tumoren aufgrund kulturbedingter Nahrungsgewohnheiten; Durchbohrung von Zungen- und Wangenmukosa durch rituelle Praktiken und ihre Folgen),
• die Kiefer und Schädel (wie durch Deformierungen).
Darüber hinaus kamen und kommen in anderen Kulturkreisen zum Zwecke der Zahnund Mundhygiene und zur Behandlung zahnmedizinisch relevanter Erkrankungen lokaltypische, altüberlieferte Hilfsmittel und Methoden zum Einsatz, die teilweise weit von dem in unseren Breiten Üblichen abweichen (zum Beispiel Verwendung von Zahnputzhölzern, Heilpflanzen und Drogen; Wirkung ritueller Techniken), die möglicherweise auch Potential für die westliche Zahnmedizin besitzen. Ähnlich ungewöhnliche, aber zahnmedizinisch höchst interessante Beobachtungen offenbaren sich, wenn man das Fenster in die Vergangenheit öffnet und die Zahngesundheit unserer Vorfahren studiert.
Gesundheit und Krankheit im Kontext
Es ist wenig bekannt, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse rund um das Thema Zahn auch jenseits der Zahnmedizin gewonnen werden, vor allem in der Ethnologie und in der biologischen Anthropologie. Die Dentalanthropologie kann auf zahlreiche Studien verweisen, die sowohl evolutive als auch kulturelle Aspekte der Menschwerdung berücksichtigen.
Die Auseinandersetzung mit Gesundheit, Krankheit und Verhalten im orofazialen Kontext aus der Perspektive der Ethno- und der Paläozahnmedizin bietet neue Sichtweisen auf die Prävention und die Behandlung von Zahn-, Mund- und Kiefererkrankungen, die den Menschen als Teil der Natur und der Kultur begreifbar machen. Diese Gegebenheiten systematisch und interdisziplinär zu erforschen, zu dokumentieren und zu bewerten, ist die Aufgabe einer Ethno-Paläo-Zahnmedizin.
Am 11. März 2011 fand daher in Mainz (Johannes Gutenberg-Universität, Institut für Anthropologie, Campus der Universität, Colonel-Kleinmann-Weg 2) die konstituierende Sitzung eines Arbeitskreises Ethnound Paläo-Zahnmedizin in der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) statt. Ein solcher Arbeitskreis ist weltweit bislang einmalig.
Ziele des Arbeitskreises
Allgemeine Ziele des Arbeitskreises sind:
• das Fördern von Interesse an ethnobeziehungsweise paläozahnmedizinischen Fragestellungen unter Zahnärzten, Studierenden und anderen interessierten Personenkreisen;
• der intra- und interdisziplinäre (Anatomie; Ethnologie/Kulturanthropologie beziehungsweise Ethnomedizin; Anthropologie und andere) internationale Austausch von Fachwissen auf dem Gebiet der Ethno- und Paläo-Zahnmedizin;
• die Anregung interdisziplinärer Forschungsvorhaben, einschließlich der Vermittlung und Förderung von Master- und Dissertationsthemen aus dem Gebiet der Ethno- und Paläo-Zahnmedizin. Interessenten melden sich bitte bei:Prof. Dr. Kurt W. AltInstitut für AnthropologieJohannes Gutenberg-Universität MainzColonel-Kleinmann-Weg 255099 Mainzaltkw@uni-mainz.de