Vom Umgang mit dem toten Körper
Bestattungsrituale geben wichtige Hinweise auf den Umgang einer Gesellschaft mit dem Tod und dem toten Körper. Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts galt die Beerdigung nicht nur in Deutschland als die mit Abstand häufigste Form der Bestattung eines Leichnams. Zwar waren seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Feuerbestattungen möglich, doch blieben sie bis weit in das 20. Jahrhundert hinein vor allem auf städtische und nicht-christlich geprägte Regionen beschränkt.
Demgegenüber hat sich in jüngster Zeit ein bemerkenswerter „Bestattungspluralismus“ entwickelt: Mittlerweile stehen weit mehr als 20 Formen der Bestattung zur Wahl – darunter so kurios oder auch befremdlich anmutende Dienste wie Almwiesen- und Felsbestattung, ökologische Bestattungen, Kryonik, Plastination oder Weltraumbestattung. Was aber sind die Hintergründe und Auswirkungen dieses Wandels im Umgang mit dem toten Körper?
Eine Fülle von Optionen
Wer sich mit den gegenwärtigen Möglichkeiten der Bestattung eines Leichnams beschäftigt, sieht sich mit einer überraschenden Fülle von Optionen konfrontiert:
•Erd- oder Sargbestattungen
In Deutschland ist das Friedhofs- und Bestattungsrecht durch landesrechtliche Vorschriften geregelt, die – trotz Liberalisierungstendenzen in einigen Bundesländern – einen „Friedhofszwang“ vorsehen. Hierunter wird eine Vorschrift verstanden, die es verbietet, die physischen Reste eines toten Menschen an einem anderen Ort als auf einem Friedhof (oder – bei Asche – im Meer) aufzubewahren.
Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, dass die Beerdigung (Inhumation) auf einem Friedhof als die traditionelle Bestattungsart gilt; ihr Anteil an den Bestattungsformen beläuft sich noch auf rund 60 Prozent, ist aber rückläufig. Doch auch hier sind neue Tendenzen auszumachen: Diese betreffen die Särge selbst – neben konfektionierten Särgen finden sich mittlerweile bunte, selbstgestaltete beziehungsweise individualisierte Särge oder Sargformen –, aber auch die Sargbeigaben – zum Beispiel individuell gestaltete Sargwäsche und Trauertextilien.
Erdgräber werden als Einzelgrab, als sogenanntes zweistelliges Grab, als einzelnes Reihengrab (zum Beispiel als Rasengrab) oder als Gemeinschaftsgrab angeboten. Zweistellige Gräber werden häufig als Doppelgräber genutzt; werden Särge dagegen nicht neben-, sondern aufeinander platziert, spricht man von Tiefgräbern. Für exponierte Bestattungen besteht darüber hinaus die Möglichkeit, den Sarg in ein ummauertes Grab – eine Gruft – oder in ein gebäudeartiges Grab – ein Mausoleum – einzubringen.
•Urnenbestattungen
Im Gegensatz zur Erd- und Sargbestattung nimmt der Anteil feuerbestatteter Leich - name deutlich zu; er beträgt gegenwärtig circa 40 Prozent. Voraussetzung der Feuerbestattung ist die Einäscherung des Leichnams. Zumeist wird die Asche der Ver storbenen nachfolgend in einer Urne bei gesetzt. Hierbei unterscheidet man zwischen Urnen-Einzelgräbern und -Gemeinschaftsgräbern. Daneben gibt es Urnenstelen, die freistehend oder neben anderen Stelen verankert werden und eine oder mehrere Urnen aufnehmen können. Für Urnen ist aber auch das Einstellen in einer Urnenwand (Kolumbarium) oder in Urnen-Nischen der Friedhofsmauer zunehmend in Nutzung. Manche Kammern können zwei oder mehrere Urnen aufnehmen, was die Verwendung als Familiengrab erlaubt.
Von den bisher beschriebenen Bestattungen abzugrenzen ist die vergleichsweise kostengünstige anonyme Urnenbestattung auf einem Grabfeld. Sie machte um das Jahr 2000 bereits 12 Prozent aller Bestattungen aus, wobei sie im Norden und Osten Deutschlands weit häufiger anzutreffen ist als im Süden und Westen. Zeitpunkt und Ort der Beisetzung sind den Angehörigen hierbei in aller Regel nicht bekannt.
•Spezielle Naturbestattungen
In jüngster Zeit werden im Rahmen von „Naturbestattungen“ auch schnell abbaubare Urnen eingesetzt; oft wird sogar ganz auf Urnen verzichtet. Findet die Beisetzung im Wurzelbereich von Bäumen statt, spricht man von Baumbestattung. Zu unterscheiden sind „Gemeinschaftsbäume“, an deren Wurzeln mehrere Aschen ruhen, sowie „Einzel-“ und „Familienbäume“. Allen Baumgrabstätten gemein ist, dass die Ruhestätte nicht von Angehörigen gepflegt werden muss, aber dennoch ein konkreter Ort des Erinnerns existiert.
Vor der amerikanischen Ostküste wird mittlerweile auch eine Korallenriff-Bestattung angeboten. So schuf „The Neptun Society“ an der Küste Floridas das „Memorial Reef“ – ein künstliches Riff für bis zu 125 000 Verstorbene, das aus der Asche und 10 Prozent Beton geschaffen wurde. Als Grabkugel wird die Totenasche auf dem Meeresboden versenkt, um sich langsam im Umfeld des Riffs aufzulösen.
Bei der Almwiesenbestattung wird die Asche des Verstorbenen in der Schweiz auf einer Almwiese an einer bestimmten Stelle in die Erde eingebracht. In der Regel besteht hierbei nicht die Möglichkeit zur Aufstellung eines Grabsteines oder Kreuzes; Hintergrund ist der Wunsch, den natür - lichen Charakter der Landschaft nicht zu verändern.
•Naturverstreuungen
Einer zunehmenden Beliebtheit unter den Bestattungsformen erfreut sich die Naturverstreuung. Sie ist in der Regel in Deutschland wegen des Friedhofzwangs nicht erlaubt; allerdings ist letzterer etwa durch den Nachweis einer Einäscherung des Verstorbenen im Ausland durchaus zu umgehen. So besteht zum Beispiel in der Schweiz die Möglichkeit, die Asche auf ausgewiesenen Aschestreuwiesen zu verstreuen.
Ebenfalls an naturverbundene Menschen richtet sich das Angebot der Felsbestattung. Hierbei wird die Asche des Verstorbenen unter der Grasnarbe eines „Gemeinschaftsfelsens“ verstreut, so zum Beispiel im Schweizer Kanton Wallis, auf dem Gelände einer Bergalm.
Auch die Himmels- oder Luftbestattung gehört zur Kategorie der Naturverstreuungen: Himmelsbestattung ist eine naturreligiös begründete Form der Bestattung. Hier wird die Asche aus der Luft verstreut – sei es aus einem Flugzeug oder einem Heißluftballon. Die Koordinaten werden auf Wunsch festgehalten und in einem Dokument verzeichnet; auch die Anfertigung eines Videos ist möglich.
Bei der Flugbestattung handelt es sich um eine Kombination von Luftbestattung und Seebestattung. Die Asche wird mit einem Helikopter über dem Meer ausgestreut. Im Rahmen einer Seebestattung wird die Asche des Verstorbenen in einer wasserlöslichen Urne aus Zellulose, Sand- oder Salzstein der See übergeben. Die Übergabe erfolgt in der Regel in gesondert ausgewiesenen Gebieten in Nord- oder Ostsee, auf speziellen Wunsch aber auch in allen Meeren der Welt. Die Beisetzung selbst kann zum Beispiel über bestimmten Positionen von untergegangenen Schiffen stattfinden; zusätzlich ist die Ausfertigung einer Seekarte möglich, die den exakten Beisetzungsort verzeichnet. Die Zahl der Seebestattungen lag in Deutschland am Ende des 20. Jahrhunderts bei circa 5 000 jährlich.
Seit einiger Zeit werden – zum Beispiel in den Niederlanden – auch Flussbestattungen auf Binnengewässern angeboten.
•Weltraumbestattung und Ascherakete
Als besonders exklusiv gilt die sogenannte Weltraumbestattung: Sie wird zum Beispiel von der Firma Celestis Space Services aus den USA angeboten. Dabei wird ein geringer („symbolischer“) Teil der Asche mit Raketen in den Weltraum befördert und dort der „Ewigkeit“ übergeben. Die übrige Asche wird konventionell beigesetzt. Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde diese Form der Bestattung durch den 2005 verstorbenen Schauspieler James Doohan, dessen Asche am 28. April 2007 unter großem Medieninteresse zusammen mit der anderer Verstorbener in den erdnahen Weltraum gebracht wurde. Momentan ist diese Bestattungsart in Deutschland zwar offiziell nicht zugelassen, dennoch wird auch sie von deutschen Bestattern ange boten.
Weitaus billiger ist die Bestattung in einer Ascherakete: Hier wird ein kleiner Teil der Totenasche in einen Feuerwerkskörper eingebracht und – ähnlich einer Silvesterrakete – in den Himmel geschossen.
•Verwahrung im Privatbereich
Der Friedhofszwang verbietet in Deutschland die Möglichkeit, die Asche eines Verstorbenen im Privatbereich zu verwahren. Dennoch steigt die Zahl der Menschen, die diese Regelung umgehen, stetig an: Die Einäscherung muss hierbei entweder im Ausland vorgenommen werden, oder eine ausländische Urnenanforderung geht dem lokalen deutschen Krematorium zu. Das Krematorium verschickt daraufhin die Asche in der Regel per Post ohne weitere Formalitäten ins Ausland. Wird von den lokalen Behörden zur Ausstellung der Bestattungserlaubnis der Nachweis einer Grabstätte im Ausland gefordert, werden in der Regel kostengünstige ausländische Verstreuungsgrabstätten angegeben. Anschließend holen Angehörige die Asche entweder selbst im Ausland ab oder sie wird ihnen vom ausländischen Bestatter per Post zugeschickt. Aufgrund der beschriebenen Praxis gewinnt die Verwahrung der Totenasche im Privatbereich zunehmend an Bedeutung – auch vor dem Hintergrund, dass die Kosten für diese Art der privaten Bestattung vergleichsweise niedrig sind. Von der Verwahrung der Asche in einer Schmuckurne im Wohnzimmer über die Beisetzung im eigenen Garten bis zur Aufbewahrung eines Teils der Asche in einem Amulett eröffnen sich hier vielfältige Optionen. 2005 äußerten sechs Prozent aller Teilnehmer einer Umfrage des Magazins Chrismon den Wunsch, dass ihre Urne später den Angehörigen ausgehändigt werden möge.
•Ökologische Bestattungen
Als Innovation auf dem Gebiet der Bestattungstechnologie gilt die sogenannte Promession. Ziel des auch als „Öko-Bestattung“ bezeichneten Verfahrens ist die harmonische Eingliederung des Verstorbenen in den Kreislauf der Natur. Im Rahmen der Promession wird der Tote zunächst auf minus 18 Grad Celsius heruntergekühlt, dann in minus 196 Grad Celsius kalten flüssigen Stickstoff getaucht und schockgefroren. Schallwellen in einer Vibrationskammer lassen den Körper anschließend in grobes, geruchsfreies Pulver zerfallen. In einer Vakuumkammer wird das Pulver getrocknet, anschließend in einen kompostierbaren Sarg gefüllt und bestattet. Die Überreste werden in sechs bis zwölf Monaten komplett zu Humus abgebaut, das heißt, der Leichnam hinterlässt keine Rückstände. Zudem reduziert sich der Einsatz fossiler Brennstoffe. Zwischenzeitlich sind in mehreren Staaten erste „Promatorien“ in Betrieb genommen worden.
Eine weitere neue Bestattungsmethode ist die alkalische Hydrolyse oder Resomation, bei welcher der Leichnam durch die Einwirkung einer starken Lauge aufgelöst wird. Die Leiche wird in einem Druckbehälter aus Edelstahl bei Temperaturen von 150 bis 160 Grad Celsius in Kalilauge binnen weniger Stunden zersetzt. Die erhöhte Temperatur beschleunigt die Verseifung der Körperfette (Hydrolyse). Abgesehen von wenigen Knochenresten (Calciumphosphat) resultiert hierbei eine braune hochvisköse Flüssigkeit, die über den Abfluss entsorgt werden kann. Bis zum Sommer 2007 wurden in den USA angeblich etwa 1 000 Menschen auf diese Art bestattet.
Markante Transformationen
Während die bisher beschriebenen Bestattungsformen die Unüberwindbarkeit des Todes anzuerkennen scheinen, trifft dies für einige andere Formen des Umgangs mit dem Leichnam nicht (mehr) zu. Sie zielen ab auf eine bestimmte Form der Unsterblichkeit. Besonders markante Beispiele hierfür sind die Diamantierung, die Plastinierung und die Kryonisierung.
•Diamantierung
Diamanten sind unvergänglich – eben diese Eigenschaft dürften Menschen im Sinn haben, die sich post mortem eine Diamantierung ihrer Asche wünschen. Die Diamantierung setzt eine Kremierung voraus. Durch spezielle Verfahren wird der Kohlenstoff aus der Asche gelöst und der extrahierte Kohlenstoff in Grafit verwandelt. In dieses wird ein Startkristall eingebettet, um den unter konstant zunehmendem Druck und steigender Hitze langsam ein Diamant entsteht.
Der eigentliche Transformationsprozess, die Umwandlung von Grafit in einen Diamanten, nimmt je nach Größe des Steines vier bis acht oder mehr Wochen in Anspruch. Durch einen entsprechenden Schliff entsteht dann ein Brilliant. Dabei sind verschiedene Schliffarten möglich. Die Kosten werden je nach Unternehmen, Steingröße und Quelle mit 4 500 bis 22 000 Euro beziffert.
Die Diamantbestattung ist in Deutschland aufgrund des Bestattungszwangs unzulässig, wird aber de facto geduldet, wenn die Asche des Verstorbenen in Länder gebracht wird, in denen die Diamantierung als ordentliche Bestattung akzeptiert wird. Die Aschekapsel wird von auswärtigen Bestattungsunternehmen angefordert und von außerhalb ansässigen Unternehmen bearbeitet. Es verbleibt eine Substanzmenge, die gesetzeskonform beigesetzt werden kann. Zu den bekanntesten Anbietern gehören LifeGem Memorials mit Sitz in Elk Grove Village, Illinois und das 2004 gegründete schweizerische Unternehmen Algordanza mit Sitz in Chur. Verlässliche Daten zur Zahl der teuren Diamantbestattungen liegen nicht vor. Doch offensichtlich gewinnt die Diamantierung wirtschaftlich an Bedeutung: So gelang es Algordanza, binnen weniger Jahre Vertretungen in 21 Ländern aufzubauen.
Dass man mit der Diamantierung der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens entgegenzutreten glaubt, suggerieren die beteiligten Unternehmen in ihren Werbekampagnen. So wird die Diamantierung als Prozesskette beschrieben, an dessen Beginn eine „Leiche“ und an dessen Ende ein „Lebensjuwel“ („LifeGem“) stehe. LifeGem Memorials versprechen, die sterblichen Reste in ein „ewiges Andenken“ zu verwandeln. Auch Algordanza glaubt, in den entstehenden Diamanten „ein Symbol der persönlichen Nähe, der Unvergänglichkeit“ zu erkennen. Darüber hinaus wird suggeriert, dass der Prozess der Diamantierung sogar der Individualität und Unverwechselbarkeit des betreffenden Menschen Rechnung trägt. „Der Erinnerungsdiamant erstrahlt einmal in weiss bis zu einem bläulichen Ton. So unterschiedlich die Menschen sind, so differiert auch die Farbe in seiner Abhängigkeit vom individuellen Bor-Gehalt der Urnenasche.“ Folglich sei die Asche eines Menschen „wie ein chemischer Fingerabdruck“. Die Diamantierung des Leichnams ist mit verschiedenen Erwartungen verbunden: Im einfachsten Fall ist sie an die Vorstellung geknüpft, mit dem Schmuckstein eine konkrete Erinnerung an den Verstorbenen zu erhalten. Dass die Anbieter aber nicht allein die Hinterbliebenen, sondern gerade den Lebenden im Blick haben, zeigt ein Blick auf die Homepages der Unternehmen. Diese werben mit dem Angebot, Diamanten bereits zu Lebzeiten vorzubestellen. Auch der Nutzen der Transformation wird erklärt: „Der Erinnerungsdiamant wird für Ihre Angehörigen das ‚Juwel von Mensch’ sein, welches sie in Ihnen sehen.“
Ebenso wesentlich scheint die mit der Diamantierung erreichte Ästhetisierung der Erscheinungsform; auch sie steht in starkem Kontrast zu Zerfall und Zersetzung insbesondere erdbestatteter Leichname. Bezeichnenderweise richten sich die Anbieter an Menschen, die „statt zu Kompost lieber zum bleibenden Juwel“ werden möchten. Besonders verdichtet ist diese Botschaft in der Bezeichnung LifeGem („Lebens-Juwel“): sie verbindet die Aspekte Vitalität („Leben“) und Ästhetik („Juwel“).
•Plastination
Der Begriff Plastination beschreibt ein vergleichsweise neues Konservierungs-Verfahren, das bei der anatomischen Präparation von toten Körpern beziehungsweise Körperteilen Verwendung findet. Die von Gunther von Hagens etablierte Technik wurde bekannt durch die Wanderausstellung „Körperwelten“ („bodyworlds“), in der anatomische Präparate sowie vollständige Leichen öffentlich präsentiert werden. Die Leichen entstammen unter anderem einem speziellen Körperspendenprogramm, das vom Heidelberger Institut für Plastination unterhalten wird. Die Körperspende zur Plastination beruht hierbei auf einer Willensbekundung, die jederzeit widerrufen werden kann.
Das Verfahren ist dadurch charakterisiert, dass das in den Zellen vorhandene Wasser durch Kunststoff (Polymere, zum Beispiel Silikone, Epoxidharze, Polyesterharze) ersetzt wird. Plastinate sind dauerhaft haltbar. Anders als die Diamantierung oder die nachfolgend beschriebene Kryonik fallen für die Körperspende mit dem Ziel der Plastination keine Kosten an; sie ist somit der breiten Bevölkerung zugänglich. Tatsächlich erfreut sich die Plastination international, aber auch in Deutschland eines wachsenden Interesses. Mehr als 9 700 Personen waren Ende 2008 am Heidelberger Institut für Plastination als Körperspender registriert. Das Verfahren ist dadurch charakterisiert, dass das in den Zellen vorhandene Wasser durch Kunststoff (Polymere, zum Beispiel Silikone, Epoxidharze, Polyesterharze) ersetzt wird. Plastinate sind dauerhaft haltbar. Anders als die Diamantierung oder die nachfolgend beschriebene Kryonik fallen für die Körperspende mit dem Ziel der Plastination keine Kosten an; sie ist somit der breiten Bevölkerung zugänglich. Tatsächlich erfreut sich die Plastination international, aber auch in Deutschland eines wachsenden Interesses. Mehr als 9 700 Personen waren Ende 2008 am Heidelberger Institut für Plastination als Körperspender registriert.
Der Wunsch, den eigenen Leichnam posthum in ein Plastinat überführen zu lassen, anstatt ihn zu beerdigen oder zu kremieren, kann durchaus unterschiedlich motiviert sein: Er kann an das Ziel geknüpft sein, post mortem durch die fortdauernde physische Präsenz besser in Erinnerung zu bleiben, also ein Weiterleben im Blick anderer zu erreichen. In diesem Fall steht der Wunsch, die Sterblichkeit im Sinne von Verwesung beziehungsweise Vergänglichkeit zu überwinden, im Mittelpunkt des Interesses.
Die eigene Plastinierung kann aber auch an den weitergehenden Wunsch gekoppelt sein zu „über“leben. Derartige an die Materialität der eigenen Leiche geknüpfte Unsterblichkeitsphantasien befördert Gunther von Hagens gezielt mit Statements wie „Willst du wirklich ewig leben, musst du deinen Körper geben“, mit der Interpretation der Plastination als „eine[r] neue[n] Form postmortaler Existenz“ oder der „Auferstehung des befleischten Leibes“. Dazu bedient sich von Hagens einer Ästhetik der Vitalität: Dies gelingt ihm, indem er Plastinate in dynamische, bewegte Posen einrückt: Tote Körper werden lebensnah inszeniert, das heißt in Mimik und Gestik zu posierenden „lebendigen“ Leichen und damit letztlich zu Akteuren umgestaltet. Besonders eindrückliche Beispiele sind die bewegten Posen der „Sportler“ unter den Plastinaten – ein Sachverhalt, den die beiden Wissenschaftlerinnen Eva Blome und Johanna A. Offe in einem 2007 veröffentlchten Aufsatz als „Verlebendigung des Todes“ bezeichnen. Bietet die Plastination dem Körperspender also ewiges Leben? Zumindest befriedigt sie auf zeitgemäße Weise die Sehnsucht nach Unvergänglichkeit. Diese Vorstellung wird auch durch den Vordruck „Körperspende zur Plastination. Verfügung des Spenders“ genährt, den das Institut für Plastination im Rahmen seiner Ausstellung „Körperwelten & Der Zyklus des Lebens“ (Berlin, Mai bis August 2009) in Postergröße an der Wand befestigt hatte. In diesem Vordruck wird der potenzielle Körperspender gebeten, die Beweggründe für seine Spende zu markieren. Unter den im Vordruck angebotenen Optionen finden sich die Aussagen „Mich fasziniert der Gedanke, dauerhaft der Nachwelt erhalten zu bleiben“ und „Ich bin von den Möglichkeiten der Plastination begeistert“. Zudem befindet sich auf dem Vordruck ein freies Feld für Anmerkungen. Dieses ist im Fall des angesprochenen Posters in musterhafter Weise mit folgendem handschriftlichen Kommentar versehen: „Ich weiß jetzt, dass ich auch nach dem Tod weiterleben kann, wenn auch nur als Exponat“.
•Kryonisierung
Ein besonders weit reichender Versuch, den Tod gefügig zu machen, stellt die Kryonik oder Kryostase (griech. kryos = kalt) dar. Sie dient dem Ziel, verstorbene Menschen mittels Kältekonservierung für die Zukunft zu erhalten, um sie zu einem geeigneten Zeitpunkt ins Leben zurückzuführen. Anhänger der Kryonik gehen davon aus, dass die Medizin künftig die Krankheit, die zum Tod des Menschen geführt hat, heilen und darüber hinaus Körper, Geist und Intellekt des Verstorbenen wiederbeleben kann.
Der Betroffene wird hierbei unmittelbar nach seinem Tod kältekonserviert. Dazu bedient sich die moderne Kryonik der Vitrifizierung, das heißt, das Blut wird durch eine Kühlflüssigkeit ersetzt, um damit die Entstehung von Eiskristallen, welche die Zellmembranen zerstören würden, zu verhindern. Zur Lagerung wird der Organismus üblicherweise bei minus 196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff gekühlt. Zu einem unbekannten Zeitpunkt in der Zukunft soll der kryokonservierte Körper „reanimiert“ werden, um sein Leben fortzusetzen. Neben der Ganzkörperkonservierung besteht die Möglichkeit der Neurokonservierung, bei der allein der Kopf beziehungsweise das Gehirn (als Organ des Ich-Bewusstseins) kryonisiert werden. Dies hat zur Folge, dass dem Menschen, je nach Konservierungsmethode, ein „neues“ Leben mit dem eigenen Körper (= Ganzkörperkonservierung) oder ein Leben mit einem neuen Körper (= Neurokonservierung) in Aussicht gestellt werden. Menschen, die ihrem Tode durch einen solchen „Dornröschenschlaf“ entgehen wollen, müssen bereits zu Lebzeiten Vorsorge für eine zeitnahe postmortale kryonische Behandlung treffen. Zu den bekanntesten Kryonik-Unternehmen gehören die USamerikanischen Gesellschaften Alcor und Cryonics Institute und der russische Anbieter KrioRus. Die Kosten für eine Ganzkörperkonservierung bei Alcor werden auf 120 000 Dollar beziffert, der Betrag für eine Neurokonservierung mit 50 000 Dollar angegeben. Während die Kryokonservierung von Leichen in Deutschland verboten ist, finden sich mittlerweile in einigen westeuropäischen Staaten Anbieter, so auch in der Schweiz und in Großbritannien.
Kryoniker nennen als Motivation die „Neugier auf die Zukunft“; Kryonik halte „die Zeit an, bis die Medizin soweit ist“. Dementsprechend interpretieren Kryonik-Befürworter den Tod als passageres, reversibles Ereignis. Der typische Kunde wird als „atheistisch, männlich, gebildet und vermögend“ beschrieben. Tatsächlich erklären die Anhänger der Kryostase selbst ihre Motivation mit der „Schwierigkeit nichtreligiöser Menschen, sich vom vermutlich einzigen Leben zu trennen, das sie besitzen“.
Abkehr von der Tradition
Der Mensch des beginnenden 21. Jahrhunderts denkt sich seinen Tod, den Umgang mit seinem eigenen Leichnam und seine postmortale Existenz neu. Damit einher geht eine Abkehr von den traditionellen Bestattungsformen, aber auch eine Abkehr vom christlichen Wiederauferstehungsglauben.
Fast die Hälfte aller Deutschen ist heutzutage offen für alternative Bestattungsformen. Der Wandel der Bestattungsriten spiegelt hierbei in beispielhafter Weise die gesellschaftlichen Trends zur kulturellen Vielfalt (Pluralisierung), Individualisierung, Privatisierung und Liberalisierung. Die Versorgung der Leiche wird nicht mehr (allein) den Hinterbliebenen überlassen. Immer häufiger wird die eigene Leiche als Mittel eingesetzt – sei es mit dem Ziel, sich selbst durch die Wahl einer Aufsehen erregenden Bestattungsform zu „inszenieren“, den eigenen Lebensverlauf durch die Wahl der Bestattung zu „spiegeln“, eine besondere Naturverbundenheit oder ein herausragendes ökologisches Bewusstsein zu demonstrieren oder mit Hilfe der Technik (scheinbar) die Vergänglichkeit zu überwinden.
Die Diamantierung, die Plastination und die Kryonisierung sind besonders charakteristische Beispiele für den neuen und gezielten Zugriff auf den eigenen Leichnam. Die Indienstnahme des toten Körpers erfüllt hier – über die vorgenannten Motive hinaus – den Zweck, den Tod als Beendigung aller menschlichen Handlungsmöglichkeiten in Frage zu stellen beziehungsweise zu relativieren.
Dabei dient die Leiche als Mittel, um einen Zustand der materiellen Fortexistenz als Überleben zu inszenieren. Bei der Diamantierung stehen hierbei Unvergänglichkeit und Ästhetisierung im Mittelpunkt – Eigenschaften, die im direkten Gegensatz zum Zerfall und zur Verwesung konventionell bestatteter Leichname stehen. Die Plastination ist ihrerseits als Inszenierung einer „Verlebendigung“ zu interpretieren; hier wird Unvergänglichkeit (verkürzt) mit Unsterblichkeit gleichgesetzt. Besonders weitreichend ist indessen die Kryonik, die als neue, auf Technikgläubigkeit fußende, alternative Form des Wiederauferstehungsglaubens interpretiert werden kann.
In allen drei Fallbeispielen handelt es sich schlussendlich um Versuche der Grenzverschiebung zwischen Leben und Tod. Ziel ist die Erreichung eines Zustands, in dem der Tod nicht mehr Tod im absoluten Sinne bedeutet, und bei dem keiner mehr „vergeht“, wenn er stirbt. Der Tote wird aufgrund seiner materiellen Fortexistenz zum Weiter-Lebenden umdefiniert. Inwieweit derart verschobene Auffassungen von Leben und Tod Bestand haben werden, wird die Zukunft zeigen.
•Literaturhinweis:Dominik Groß, Jasmin Grande (Hrsg), Objekt Leiche – Technisierung, Ökonomisierung und Inszenierung toter Körper, Frankfurt am Main, 2010
Prof. Dr. med. Dr. med. dent.Dr. phil. Dominik GroßInstitut für Geschichte, Theorie und Ethikder Medizin der RWTH AachenWendlingweg 2, 52074 Aachendgross@ukaachen.de