Komplikationen nach operativer Weisheitszahnentfernung
Aufgrund der Rarität von dislozierten Wurzelfragmenten in das Diaphragma oris sind Studien zu der Thematik in der Literatur selten. Häufige Ursachen der Dislokation eines Wurzelfragments sind der unsachgemäße Rotationsdruck mit dem entsprechenden Instrumentarium während der Extraktion sowie die unangemessene klinische wie auch radiologische Voruntersuchung des Patienten. Die reduzierte Stärke der lingualen Knochenlamelle wurde als locus minoris resistentia beschrieben, die zu einer Dislokation des Wurzelfragments in den Mundboden führen kann [Esen et al., 2000].
Ein Fallbericht
Ein 35-jähriger Patient mit einer Schwellung in der submandibulären Region rechtsseitig und einer eingeschränkten Mundöffnung von 15 mm stellte sich in der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums Jena vor (Abbildung 1). Nach einem erfolglosen Versuch der Osteotomie des retinierten Zahnes 48 wurde alio loco ein Wurzelfragment in das Diaphragma oris disloziert. Um die Lokalisation des Wurzelrests zu bestimmen, wurden ein Orthopanthomogramm (Abbildung 2) sowie ein Computertomogramm (Abbildung 3) angefertigt. Dieses zeigte eine röntgendichte Struktur, die positiv mit der klinischen Annahme eines versprengten Wurzelrests im Mundboden korrelierte.
Daraufhin wurde der Patient stationär aufgenommen und mit einer intravenösen Antibiose, bestehend aus Amoxicillin und Sulbactam, prophylaktisch abgeschirmt. Die Entfernung des Wurzelrests erfolgte in Intubationsnarkose, mit der Präparation eines üblichen Mukoperiostlappens durch zwei Inzisionen, vom Ramus ascendens bis zum ersten Molaren. Der lingual liegende Mukoperiostlappen wurde schonend von der Linea obliqua ab präpariert und der Wurzelrest wurde unter sachgerechter Darstellung (Abbildung 4) des Nervus lingualis geborgen und extrahiert (Abbildung 5). Die postoperative Wundheilung verlief unauffällig und komplikationslos.
In einem zweiten Patientenfall wurde uns eine Patientin mit einem ähnlichen Kasus in die Universitätsklinik Jena überwiesen. Nach einem Versuch der operativen Weisheitszahnentfernung des Zahnes 48 alio loco (Abbildung 6), wurde ein Wurzelrest in den Mundboden versprengt. Der Fall verdeutlicht die Wichtigkeit der dritten Dimension bei der Beurtei-lung des Wurzelrests und die daraus resultierende, signifikant verbesserte Diagnostik (Abbildung 7). Bei dem Wurzelrest handelte es sich um ein Fragment, das 10 mm² groß war. Die Entfernung gestaltete sich dementsprechend diffizil. In der operativen Intervention konnte der Wurzelrest, dessen Lokalisation zuvor durch das Computertomogramm (Abbildung 8) gestützt war, in toto entfernt werden.
Zusammenfassung
Studien zu Komplikationen nach Weisheitszahnentfernungen im Unterkiefer sind selten vorzufinden. Für Komplikationen bei Weisheitszahnentfernungen sind mehrere Faktoren anzunehmen. Dabei spielt die anatomische Ausgangssituation des Zahnes eine wichtige Rolle dafür, inwieweit der Zahn anguliert respektive retiniert ist. Auch das Alter des Patienten ist von großer Bedeutung, denn evidenzbasiert ist, dass Patienten die über 25 Jahre alt sind, eine signifikant höhere Komplikationsrate aufweisen. Dabei gilt das erwähnte Alter als Referenzwert [DeBoer, 1995]. Bei der Komplikation der Luxation nehmen Erfahrung und Routine des Operateurs eine wichtige Rolle ein. Darüber hinaus ist die Luxationsrichtung in jedem Fall zu berücksichtigen. Im Unterkiefer ist die linguale Knochenlamelle dünner als die bukkale, weshalb man einen adäquaten Rotationsdruck verwenden sollte um eine Dislokation zu verhindern. Eine Präventionsmaßnahme zur Vermeidung einer Luxation des unteren Weisheitszahns beziehungsweise des Wurzelrests ist die palpatorische Abstützung auf der lingualen Seite. Bei der Luxation des Wurzelrests wird gleichzeitig eine Eintrittspforte für die Keime der Mundflora in das Diaphragma oris eröffnet [Locher, 2003]. Eine weitere Komplikation bei der Entfernung des Wurzelfragments im Mundboden stellt die Nervenläsion dar. Bei sachgerechter Darstellung der anatomischen Strukturen ist die Wahrscheinlichkeit einer reversiblen beziehungsweise irreversiblen Schädigung des Nervus lingualis gegeben. Obwohl ein Retraktor, wie ein Raspatorium oder ähnliche Instrumente, ein gewisses Maß an Traumatisierung hegt, sollte man darauf nicht verzichten. Der Vorteil der guten Übersicht des Operationsfeldes und der Schutz des Nervus lingualis sollten bei der Entfernung eines Wurzelrests oberste Priorität besitzen [Moss, 2002]. Nach der Versprengung eines Wurzelrests in den Mundboden sollten jegliche Anstrengungen vermieden werden, blind ohne radiologische Hilfsmittel nach dem Fragment zu suchen, da dies den Prozess der Verschleppung in andere Logen bestärken könnte [Gay-Escoda et al., 1993]. Einige Autoren sprechen sich dafür aus, nach Dislokation eines Wurzelfragments einige Wochen zu warten, um eine Fibrosierung des Fragments zu erreichen, damit die Wurzel eine beständige Position einnimmt und die Lokalisation besser zu ermitteln ist. Jedoch birgt die verzögerte Intervention die Gefahr einer Keimverschleppung sowie einer Abwanderung des Zahnfragments in andere Logen [Dormer et al., 1973].
Tipps für die Praxis
• Präoperativ soll stets eine angemessene röntgenologische Diagnostik durchgeführt werden.
• Rotationsdruck und Rotationsrichtung müssen immer angepasst werden.
• Lingual sollte eine palpatorische Abstützung erfolgen.
• Nach Dislokation stets eine Überweisung in eine Fachklinik vornehmen.
• Nach einer Dislokation ist die dritte Ebene unumgänglich zur Lokalisationsbestimmung.
Korosh RoshanghiasProf. Dr. Dr. Stefan Schultze-MosgauKlinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie/ Plastische ChirurgieUniversitätsklinikum JenaKlinikum 2000Erlanger Allee 10107747 JenaKorosh.Roshanghias@med.uni-jena.deStefan.Schultze-Mosgau@med.uni-jena.de