Tendenz zur Konvergenz
„Das Thema Konvergenz hat durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ein neue Dimension erreicht“, erläuterte der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Eßer in seiner Einführung. „Der Wettbewerb ist seitdem eine verwurzelte Realität im Gesundheitswesen.“ Als Beispiele nannte er den Basistarif und die Selektivverträge wie auch den Gesundheitsfonds und die Fusionsproblematik der Kassen. Unterm Strich sei bei beiden Systemen ein deutlicher Wandel zu erkennen.
Unterschied verschwimmt
Eßer zufolge verschwimmen die Unterschiede zwischen den Gesetzlichen und den Privaten zunehmend: „Die PKV auf der einen Seite versucht mittlerweile die Vergünstigungen, die die GKV im Rahmen der Kostenerstattung erzielt hat, auch für sich zu reklamieren. Und fordert zugleich neben der Öffnungsklausel die Budgetierung in der GOZ, die wir auf GKV-Ebene gerade abschaffen wollen. Das GKV-Finanzierungsgesetz auf der anderen Seite hat durch die sukzessive Einführung einkommensunabhängiger Zusatzbeiträge die Voraussetzungen für einen Preiswettbewerb unter den gesetzlichen Krankenkassen geschaffen.“ Eßer: „Je stärker die Differenzen in den Versicherungsprinzipien aufgehoben werden, umso mehr wird die PKV ihre Legitimation als eigenständiges Geschäftsmodell verlieren.“
Überzeugt, dass sich nach wie vor zwei Säulen gegenüberstehen, war dagegen Dr. Ulrich Orlowski, Abteilungsleiter für den Bereich Krankenversicherung und Pflegeversicherung im Bundesgesundheitsministerium (BMG). Er bezweifelt, dass die Entwicklung die Bürgerversicherung und damit das Sachleistungsprinzip mit allen Eigenarten einläutet: „Ein zukunftsbezogenes Gesundheitssystem braucht Pluralismus und Wettbewerb.“ Aber auch die völlige Privatisierung habe kaum Chance auf Realisierung.
Wichtig sei, dass die Wettbewerbsbedingungen von PKV und GKV so ausgestaltet werden, dass jede Säule seine Versicherungsfunktion eigenständig erfüllen kann. Und dass man ihr die notwendigen Instrumente an die Hand gibt, um die Vollversicherung anzubieten. Was die von der PKV angestrebte Öffnungsklausel betrifft: Sie sei allein schon deshalb nicht mit der GOZ-Novellierung vereinbar, weil man die Patienten vor finanzieller Überforderung schützen wolle. Orlowski: „Die GOZ ist eine staatliche Gebührenordnung.“ Geschützt werde aber auch der Zahnarzt in seiner selbstständigen Tätigkeit – hier komme die ordnungspolitische Idee vom freiberuflich tätigen Mediziner zum Tragen. Orlowski: „Therapiefreiheit und freie Arztwahl wären durch eine Öffnungsklausel gefährdet!“
Kleiner Stiefbruder
Im Unterschied zur GKV, der der Gesetzgeber Wahlmöglichkeiten einräume, sei die PKV mit ihren jetzigen Instrumenten nicht überlebensfähig – daher verlange sie mehr Steuerungsmöglichkeiten, verdeutlichte der Ökonom Prof. Dr. Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen. „PKV und GKV bewegen sich aufeinander zu. Doch diese Konvergenz führt nicht automatisch zu einer Vereinheitlichung der Systeme – das bedarf einer Entscheidung des Gesetzgebers.“ Für die Konvergenz spreche, dass die Bürger ihre Präferenzen in einem solchen System besser realisieren könnten. Wasem: „Chroniker werden zum Beispiel in Selektivverträgen unter Umständen besser versorgt.“
Da die Versicherungsgemeinschaft mit GKVRessourcen in Zukunft deutlich sorgfältiger umgehen müsse, plädiert er für ein einheitliches Versicherungssystem. Was laut Wasem nicht zwingend den Ausschluss der PKV aus der Vollversicherung bedeutet. „Aber der Versicherte muss die Wahl haben zwischen Kostenerstattung und Sachleistung: Krankenkassen müssen Selektivverträge mit den Leistungerbringern schließen. Da bleibt kein Platz für Kollektivverträge!“ Wasem schlägt für PKV und GKV ein Mindestversicherungsniveau mit darüber hinausgehenden Wahlleistungen vor. Freimütig bekennt er sich zur Konvergenz: „Wir brauchen in der Grundversorgung einheitliche Rahmenbedingungen, deshalb bin ich für ein einheitliches Versicherungssystem.“
Annäherungsversuche
Auch Jurist Prof. Dr. Helge Sodan, Direktor des Deutschen Instituts für Gesundheitsrecht, beobachtet eine Annäherung von GKV und PKV. Zum Beispiel, indem die Regelungen der GKV – Kontrahierungszwang, Risiko-Ausgleich, Sicherstellungsauftrag – via Basistarif auf die PKV übertragen werden. Umgekehrt führten die Selbstbehalte zu einer Angleichung der GKV an die PKV – für Sodan eine Schwächung des Solidarprinzips.
„Die Öffnungsklausel wiederum schränkt die freie Arztwahl ein, sobald PKV-Patienten nur noch zu Zahnärzten gehen dürfen, mit denen eine Separatvereinbarung getroffen wurde“, führte er aus. „1913 wurden die kollektivvertraglichen Strukturen und die Selbstverwaltung eingeführt, weil die Ärzte der Macht der Kassen nichts entgegensetzen konnten. Denn Wettbewerb muss mit gleich langen Spießen erfolgen.“ Zwar sei derzeit eine Übereinstimmung nur in Einzelfällen sichtbar, die Tendenz zur Konvergenz jedoch unverkennbar. Nichtsdestotrotz könne man nicht von einer Nivellierung sprechen – dieser Begriff werde der Intention des Gesetzgebers nicht gerecht. Sodan stellte gleichwohl klar: „Jede weitere Annäherung muss kritisch beobachtet werden.“
Mit den Selektivverträgen sei es im Übrigen „ganz einfach“, meinte Prof. Dr. Ulrich Wenner: „Als Zahnarzt haben Sie gar nichts davon!“ Der Vorsitzende Richter am Bundessozialgericht findet es allerdings heikel, dass Hartz-IV-Beziehern via Gericht oft medizinische und zahnmedizinische Leistungen zugesprochen werden, die nicht im GKV-Katalog enthalten sind, sondern zur privaten Versorgung zählen.
Dass die Gestaltungsmöglichkeiten für Ex-Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler in Sachen Gesundheitsreform äußerst bescheiden ausfielen, da die ganzen Grundsatzentscheidungen bereits vorher getroffen worden waren, beschrieb der frühere Abteilungsleiter im BMG, Franz Knieps. Die dadurch angestoßene Konvergenz hält er für richtig.
Dagegen hob PKV-Direktor Volker Leienbach auf die Unterschiede ab, die seiner Meinung nach immer noch charakteristisch für das duale System sind. Leienbach: „Die PKV lebt vom Unterschied! Und zwar hinsichtlich der Finanzierung und der Leistung. Wir wollen keine Konvergenz!“ Die PKV sei immer noch ein Korrektiv, weil sie eine weitgehende Distanz zum Staat halte. Das gelte auch für die GOZ. Leienbach: „Wenn wir eine einheitliche Gebührenordnung gewollt hätten, dann hätten wir schon eine. Auch bei der GOZ leben wir vom Unterschied.“ Die PKV wolle keine Budgetierung – dazu sei die Öffnungsklausel auch kein Widerspruch, sondern eine betriebswirtschaftliche Basis, die nicht unterschritten werde. Verbunden, so Leienbach, mit mehr Geld für Ärzte und Zahnärzte. Sofern sie eine dokumentierte Qualität und einen entsprechenden Service für die Versicherten garantieren. Den Basistarif lehne die PKV nach wie vor ab.
„Die PKV hatte bei der Anhörung das BMG aufgefordert, zu prüfen, ob die Honorarsteigerung bei der neuen GOZ die vorhergesagten sechs Prozent nicht überschreitet und falls ja, dies zu begrenzen. Diese Kontrolle wiederum ist nichts anderes als die Forderung nach einer Budgetierung“, hielt KZBV-Chef Dr. Jürgen Fedderwitz dagegen. „Konvergenz ist mir egal“, behauptete indes Wilfried Jacobs, Chef der AOK Rheinland/ Hamburg. „Hauptsache, ich habe in meinem System die Spielräume, die ich brauche.“ Eine entscheidende Rolle bei den Zusatzversicherungen und Wahltarifen erhalte jetzt die Pflegezusatzversicherung. Jacobs: „Die GKV muss lernen, mit dem Instrument Wahltarife umzugehen. Wahltarife, das hat der Gesetzgeber so gewollt, werden sich in der GKV durchsetzen.“
Mischwesen unerwünscht
Für den Zahnarzt zähle, dass er die notwendige Therapiefreiheit besitzt, um vernünftig Zahnheilkunde zu betreiben, betonte Fedderwitz. „Das Festzuschussmodell beim Zahnersatz ist ein herausragendes Beispiel dafür, dass wir Zahnärzte Vorbildgeber sind.“ Dieses anerkannte Steuerungsinstrument ermögliche den Versicherten die Teilhabe am medizinischen Fortschritt. Selbst Hartz-IV-Empfängern garantierten die Festzuschüsse ein hohes Maß an Versorgungsqualität. Der Basistarif sei hingegen in ordnungspolitischer Zielrichtung problematisch. Fedderwitz: „Entscheidend ist, dass die Patienten am medizinischen Fortschritt partizipieren. Das aber ist mit einer Annäherung der Systeme nicht möglich.“ Absolutes No-go sei, den Steigerungssatz beim Festzuschuss zu begrenzen. Fedderwitz: „Die Freiheitsgrade müssen stimmen, um das Versorgungsniveau zu halten. Wollen wir uns diese Freiheit in Diagnose und Therapie bewahren, dann brauchen wir ein duales System. Zwei Ebenen sind folglich erforderlich. Außer Dualismus gibt es dann auch Koexistenz und Kooperation.“