Mündigkeit hat viele Facetten
Arzt und Patient – wie viel Selbstbestimmung darf´s denn sein? Können beide auf gleicher Augenhöhe reden? Oder braucht der Patient wegen des ungefilterten Zugangs zu Informationen nicht umso mehr die Expertise des Arztes? Diese Fragestellungen umriss der KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Köhler zur Einleitung der Diskussionsveranstaltung. Köhler verwies auf die Notwendigkeit von gesicherten Informationen als Voraussetzung zu selbstbestimmten Entscheidungen, vor allem durch das Internet.
Er wies auf Entwicklungen wie das bald zu erwartende Patientenrechtegesetz hin. Dieses werde zwar von der Ärzteschaft begrüßt, dennoch würden Teile davon kritisch gesehen, wie etwa die geplante Kodifizierung des Arzthaftungssystems und die Dokumentationspflicht bei Fehlern, Risiken oder Beinahe-Schäden. „Denn“, so Köhler, „während die Patienten an Autonomie gewonnen haben, finden sich Ärzte immer mehr Restrisiken ausgesetzt, die ihr Handeln fremdbestimmen oder zumindest beeinflussen.“ Diese Aspekte sollte man nicht außer Acht lassen.
Aktiv mitwirken
Die Frage, ob der Patient in Deutschland entmachtet oder souverän sei, beantworteten die Experten der ersten Diskussionsrunde, die von Andreas Mihm, FAZ, moderiert wurde, auf jeweils sehr unterschiedliche Art. Dr. Carl-Heinz Müller, Vorstand der KBV, unterstrich, dass der mündige Patient sich mit seiner Krankheit auseinandersetzen müsse. Ein Blick ins Internet reiche aber nicht aus, denn im Dschungel der Informationen sei es problematisch, die richtigen Optionen herauszufiltern. Dabei müsse der Patient natürlich aktiv mitwirken, den eigenen Heilungsprozess zu fördern. Es gelte, die Risikofaktoren der Lebensführung in den Griff zu bekommen.
Selbsthilfe stärken
Karin Stötzner, Patientenvertreterin im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und Patientenbeauftragte für Berlin, betonte, dass der Patient immer mehr die Rolle des Kunden einnehme, der auf dem Gesundheitsmarkt Leistungen einkauft. Das strukturelle Ungleichgewicht zwischen ihm und dem Arzt sei immer noch sehr mächtig. Sie plädierte deshalb für andere Formen der Information, die eine vertrauensvolle Form des Miteinanders ermöglichten. Zudem solle die Selbsthilfe gestärkt werden, dort kumuliere sich Expertenwissen in eigener Sache.
Wolfram-Arnim Candidus, Präsident der Bürgerinitiative Gesundheit und der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten (DGVP), kritisierte, dass der Patient dazu erzogen sei, sich systemgläubig zu verhalten, „das System“ werde es schon richten. Man beschäftige sich erst dann mit der Gesundheit, wenn man krank sei. Stattdessen plädierte er dafür, sich schon als Gesunder mit Prävention zu beschäftigen, zum Beispiel seien entsprechende Bildungsangebote in der Schule sinnvoll.
Verlässlich informieren
Für den Vertreter des AOK-Bundesverbands Dr. Gerhard Schillinger, Geschäftsführer Stab Medizin, unterstrich die Wichtigkeit verlässlicher Informationen für Patienten, etwa durch Webseiten oder Hotlines. Hier sieht er die Krankenkassen in der Pflicht, ihre Versicherten in die Lage zu versetzen, mit ihrem Arzt auf Augenhöhe zu kommunizieren. Schillinger verwies auf Internetportale wie den Arztnavigator der AOK, die Angebote der Barmer GEK oder das Projekt Weisse Liste. Statt des bloßen Erstatters solle die Kasse den Fokus des Patienten einnehmen, hier sei ein Wandel eingetreten.
Im zweiten Diskussionspanel ging es um das Thema „Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen“. Es diskutierten KBV-Chef Köhler, Ingo Kailuweit, Vorstandsvorsitzender der KKH-Allianz, Wolfgang G. Lange, Geschäftsführer des MC. B Verlags und Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Leiter der Forschungsgruppe Public Health am Wissenschaftszentrum Berlin, unter der Moderation von Dr. Albrecht Kloepfer, Büro für gesundheitspolitische Kommunikation. Fazit: Viel Schelte für die Regierung und die Gesetzgebung, da die derzeitigen Schritte zur Stabilität im Gesundheitswesen nicht ausreichten, das System sei von einer „Enkeltauglichkeit“ weit entfernt.