Subduralempyem infolge einer odontogenen Infektion
Odontogene Infektionen treten in der Regel lokal begrenzt und selbstlimitierend auf. Liegt eine ausgeprägte Virulenz der Erreger beziehungsweise eine reduzierte Abwehrlage des Patienten aufgrund von Komorbiditäten vor, ist eine Ausbreitung der Entzündung per continuitatem entlang anatomischer Strukturen oder auch im Sinne einer hämatogenen Dissemination möglich. Eine entsprechend resultierende auf- beziehungsweise absteigende Infektion stellt eine lebensbedrohliche Notfallsituation dar, die frühzeitig erkannt werden muss und ein interdisziplinäres Behandlungskonzept erfordert.
Ein 30-jähriger Patient gab anamnestisch erstmals vor etwa zwei Monaten aufgetretene Zahnschmerzen im Oberkiefer rechtsseitig an, die nach einigen Tagen spontan sistierten. Im weiteren Verlauf traten grippeähnliche Symptome mit Schnupfen, leichten Kopfschmerzen und Schwindelgefühl auf. Bei konservativem Ansatz zeigte sich eine Progredienz der Schmerzsymptomatik frontal rechtsseitig mit Druckschmerz beim Vornüberbeugen im Bereich der rechten Kieferhöhle und über dem rechten Auge. Nach Konsultation verschiedener Fachdisziplinen (Hausarzt, Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Zahnarzt) erfolgte eine Überweisung des Patienten zum niedergelassenen Oralchirurgen zur Extraktion des Zahnes 16 sowie des Wurzelrests 17 bei Pussekretion aus dem Parodontalspalt und dem Verdacht einer odontogenen Sinusitis maxillaris und frontalis rechtsseitig. Vor Beginn dieser Behandlung kollabierte der Patient in der Zahnarztpraxis, und es kam zu zweimaligen generalisierten Krampfanfällen, die spontan sistierten. Daraufhin wurde er in der Zentralen Notaufnahme des Universitätsklinikums Jena vorgestellt. Der Patient war wach, kontaktierbar und orientiert ohne fokalneurologisches Defizit, reagierte jedoch auffällig verlangsamt. Paraklinisch bestanden eine Erhöhung des C-reaktiven Proteins auf 97 Milligramm pro Liter sowie Fieber bis 39 Grad Celsius.
Das angefertigte Computertomogramm sowie das Magnetresonanztomogramm des Kopfes zeigten einen raumfordernden kontrastmittelaufnehmenden Erguss rechts frontal im Sinne eines subduralen Empyems. Zusätzlich fanden sich eine subtotale Verschattung der Stirnhöhle beidseits, der Ethmoidalzellen rechts betont sowie eine komplette Verlegung der rechtsseitigen Kieferhöhle mit Kontrastmittel-positivem Erguss. Dies sprach für eine eitrige Sinusitis maxillaris, die dentogen fortgeleitet und nach intrakraniell durchgebrochen schien.
In einer interdisziplinären Operation erfolgte die notfallmäßige Entlastung des subduralen Empyems über eine frontale Kraniotomie rechts durch die Kollegen der Klinik für Neurochirurgie sowie aus mund-, kieferund gesichtschirurgischer Sicht die Extraktion der Zähne 17 und 16 mit Entfernung des apikalen Granuloms Regio 16 und scharfer Kieferhöhlenfensterung zur Entlastung des Empyems der Kieferhöhle. Des Weiteren erhielt der Patient eine primär kalkulierte antibiotische Begleittherapie mit Vancomycin, Metronidazol und Ceftriaxon. Diese wurde nach Erhalt des mikrobiologischen Befunds (überwiegend Streptococcus constellatus und Metronidazol-resistente Bacteroides-Stämme) auf Ampicillin/Sulbactam und Ceftriaxon umgestellt. Im postoperativen Verlauf zeigten sich bei täglicher Spülung der Kieferhöhle rückläufige Entzündungsparameter sowie in den Röntgenverlaufskontrollen eine zunehmend verbesserte Transparenz im Bereich des Sinus frontalis beidseits und des Sinus maxillaris rechtsseits mit Rückgang der polypoiden Schleimhautschwellung.
Nachdem sich an drei aufeinanderfolgenden Tagen im Rahmen der Spülung klares Sekret entleerte, erfolgten die operative Entfernung des noch vorhandenen Granulationsgewebes und eine lokalplastische Deckung der Kieferhöhle rechtsseitig. Zusätzlich wurde der Wurzelrest Regio 36 entfernt.
Auch das Magnetresonanztomogramm zeigte im Verlauf einen Rückgang der entzündlichen Veränderungen im Bereich des Frontalhirns, so dass der Patient nach einem stationären Aufenthalt von 23 Tagen in eine Rehabilitationsklinik verlegt wurde. Die Antibiose wurde aus neurochirurgischer Indikation oral für weitere acht Wochen fortgeführt und der Patient anschließend ohne Anhalt eines verbleibenden neurologischen Defizits und bei Beschwerdefreiheit im Mund-, Kiefer- und Gesichtsbereich stufenweise in seine berufliche Tätigkeit wieder eingegliedert.
Die abschließende Röntgenverlaufskontrolle belegt eine vollständige Ausheilung der Sinusitis maxillaris und frontalis beidseits. Eine konservierende Versorgung und die Planung der prothetischen Rehabilitation wurden beim Hauszahnarzt des Patienten begonnen.
Diskussion
Unbehandelt können odontogene Infektionen in seltenen Fällen als Folge einer aufsteigenden Infektion nach intrakraniell fortgeleitet werden und zu lebensbedrohlichen Komplikationen im Sinne eines Epiduralempyems, eines Subduralempyems oder eines Hirnabszesses führen. Während dentogene Kieferhöhlenabszesse keine Seltenheit darstellen, ist eine Fortleitung dieser nach intrakraniell in der Literatur nur spärlich beschrieben [Nathoo et al., 1999; Sprott et al., 1981]. Bei der größten publizierten Studie mit 699 Fällen bezüglich des Auftretens eines Subduralempyems waren lediglich fünf dieser Fälle (0,7 Prozent) als Folge einer odontogenen Infektion zu verzeichnen. Häufigste Ursache eines Subduralempyems stellten mit etwa 65 Prozent rhinogene Sinusitiden dar, gefolgt von Meningitiden, Otitiden und Traumata [Nathoo et al., 1999]. In 62 Prozent der Fälle waren Männer in der zweiten und in der dritten Lebensdekade betroffen.
In der Mehrzahl der beschriebenen Fälle mit Fortleitung nach intrakraniell ist eine Beteiligung des Sinus frontalis belegt [Kanu et al., 2011]. Es besteht die Vermutung, dass die erhöhte Komplikationsrate beim Auftreten einer Sinusitis im Erwachsenenalter durch die fortgeschrittene Pneumatisierung der Stirnhöhle und eine ausgeprägte Vaskularisierung der Spongiosa des Schädelknochens durch die Venae diploicae begünstigt wird [Fountas et al., 2004]. Als klinische Symptome werden plötzlich auftretende lokalisierte oder generalisierte Kopfschmerzen, Fieber, Übelkeit, Erbrechen, Bewusstseinstrübung, Krampfanfälle, Hirnnervenausfälle, kontralaterale Hemiparesen und Aphasie beschrieben [Silverberg et al., 1985; Fountas et al., 2004].
Als prädisponierende Faktoren für Komplikationen im Rahmen einer odontogenen Infektion werden in der Literatur neben den Wirtsfaktoren (Alter, Systemerkrankungen, Immunsupression, Mangelernährung, Alkoholabusus, Nikotinabusus, Drogenabusus) auch lokale anatomische Voraussetzungen und soziale Umstände des Patienten diskutiert [Green et al., 1996; Wong et al., 2000; Chidzonga et al., 2005; Riggio et al., 2007]. Da bei dem genannten Patienten kein Anhalt einer systemischen Erkrankung oder Immuninkompetenz besteht, ist von einer hohen Virulenz der Erreger, ungünstigen lokalen anatomischen Voraussetzungen in Kombination mit Nikotinabusus und reduzierter Compliance des Patienten als Ursache des fulminanten Verlaufs der odontogenen Infektion auszugehen.
Die Diagnostik erfolgt anhand klinischer und radiologischer Untersuchungen, wobei die Spezifität der Magnetresonanztomografie mit 97 Prozent, der Computertomografie mit 87 Prozent und der klinischen Untersuchungen mit 82 Prozent angegeben wird. Die Sensitivität der Computertomografie und der Magnetresonanztomografie für die Erkennung intrakranieller Abszesse liegt bei 92 beziehungsweise 100 Prozent [Younis et al., 2002]. Hierbei bietet das Computertomogramm die beste Darstellung knöcherner Strukturen sowie die kostengünstigste Möglichkeit zur Diagnostik eines intrakraniellen Abszesses. Das Magnetresonanztomogramm dient jedoch der Unterscheidung zwischen einem epiduralem und einem subduralem Empyem sowie der Darstellung einer möglichen Verbindung zu benachbarten extrakraniellen Strukturen [Fountas et al., 2004; Pradilla et al., 2009] und gilt somit als diagnostisches Mittel der Wahl [Brennan et al., 1995].
Die Behandlung sich ausbreitender odontogener Infektionen folgt einem allgemein anerkannten Protokoll, das die Eliminierung der Entzündungsursache, die Drainage des Abszesses und eine hoch dosierte antibiotische Begleittherapie umfasst. Hierbei ist initial eine kalkulierte, parenteral applizierte Stoffkombination mit breitem Wirkspektrum im aeroben und im anaeroben Bereich sowie mit adäquater Penetration in das Zentralnervensystem indiziert [Savitz et al., 1988].
Nach mikrobiologischer Untersuchung und Erstellung eines Antibiogramms erfolgt die entsprechende resistenzgerechte Umstellung der Antibiose. Aus neurochirurgischer Sicht ist eine Fortführung dieser für einen Zeitraum von bis zu acht Wochen in Abhängigkeit des Therapieverlaufs empfohlen [Kombogiorgas et al., 2007]. Bei odontogenen Infektionen folgt die Wahl des Antibiotikums den aktuellen Empfehlungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft [Lode et al., 2006; Scholz et al., 2002]. In diesem Sinne wird bei Erwachsenen die Kombination eines Aminopenicillins und eines Beta-Lactamase-Inhibitors empfohlen [Lode et al., 2006; Al-Nawas, 2002]. Bei bestimmten Resistenzlagen hat sich zusätzlich die parenterale Applikation von Ceftriaxon bewährt [Boffano et al., 2011].
Die Mortalitätsrate ist in der Literatur trotz frühzeitiger chirurgischer Intervention mit etwa zwölf Prozent angegeben [Nathoo et al, 1999].
Eine frühzeitige Diagnosestellung, eine aggressive chirurgische Intervention mit Beseitigung der Entzündungsursache sowie eine resistenzgerechte, hoch dosierte, intravenös applizierte Antibiose sind bei der Behandlung einer dentogen fortgeleiteten Infektion mit Ausbildung eines Subduralempyems zur Vermeidung anhaltender neurologischer Defizite entscheidend [Nathoo et al, 1999].
Tipps für die Praxis
• Auch bei jungen Patienten ohne Komorbiditäten ist bei ausgeprägter Virulenz der Erreger und bei ungünstigen lokalen Voraussetzungen ein fulminater Verlauf odontogener Infektionen möglich.
• Als Symptome einer aufsteigenden Infektion gelten plötzlich auftretende lokalisierte oder generalisierte Kopfschmerzen, Fieber, Übelkeit, Erbrechen, Bewusstseinstrübungen, Krampfanfälle, Hirnnervenausfälle, kontralaterale Hemiparesen und Aphasie.
• Bei der Therapie fortgeleiteter odontogener Infektionen sind eine frühzeitige Einweisung in eine entsprechende Fachklinik zwecks konsequenter chirurgischer Inter - vention und eine hoch dosierte antibiotische Begleittherapie prognostisch entscheidend.
Dr. Stefanie FröbischProf. Dr. Dr. Stefan Schultze-MosgauKlinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie / Plastische Chirurgie Universitätsklinikum JenaKlinikum 2000Erlanger Allee 10107747 JenaStefanie.Froebisch@med.uni-jena.deStefan.Schultze-Mosgau@med.uni-jena.de