GKV-Leistungskatalog

Güte kontra Knappheit

Für eine intensivere öffentliche Diskussion über das Thema Rationierung im Gesundheitswesen sprachen sich die Teilnehmer eines Symposiums in Hannover aus. Einig waren sich die Diskutanten aus den unterschiedlichsten Disziplinen jedoch nur darin, dass die Problematik es erfordert, interdisziplinär aus allen gesellschaftlichen Bereichen zusammenzuarbeiten.

Vertreter aus Wissenschaft, Theologie, Justiz, Medizin und Politik diskutierten auf der Tagung, die von der Leibniz Universität Hannover und der Medizinischen Hochschule Hannover am 27.01.2012 ausgerichtet wurde, über verschiedene Aspekte des Themas. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, der anhaltend hohen Kosten der medizinischen Versorgung und dem medizinischen Fortschritt müsse darüber nachgedacht werden, was zukünftig noch über die gesetzliche Krankenversicherung leistbar ist, hieß es. Ethik und Rationierung müssten kein Widerspruch sein. Vielmehr sei es hingegen unethisch, weiterhin so zu tun, als ob im Gesundheitsbereich nach wie vor alles für alle bezahlt werden könne. Andererseits wurde auf der Tagung auch danach gefragt, ob sich ein derartiges Kostendämpfungsmittel mit einem christlichen Weltbild vertrage.

In seinem Grußwort unterstrich etwa Prof. Dieter Bitter-Suermann als Präsident der Medizinischen Hochschule in Hannover, dass die notwendige öffentliche Diskussion über das Thema weiter verstärkt werden müsse. So zeige auch die Versorgungsforschung auf der einen Seite eine Über- und Fehlversorgung in der Gesundheitsversorgung, während auf der anderen Seite von einer Verknappung der Mittel die Rede ist. Um die Versorgungslage auch zukünftig abzusichern, forderte Bitter-Suermann eine aktivere Rolle der Politik. „Es darf nicht sein, dass die Politik das Problem aussitzt und die Betroffenen im Stich lässt.“

Auf die schlechte Datenlage beim Thema wies Prof. Johann Matthias Graf von der Schulenburg von der Leibniz Universität hin. Bislang gebe es wenig Studien, die sich wissenschaftlich mit der Rationierung von Gesundheitsleistungen befassen. Dabei sei die Knappheit von medizinischen Ressourcen bereits Gegenwart in deutschen Kliniken und Praxen. Nicht nur unter Ärzten sei es schon längst kein Geheimnis mehr, dass etwa Arzneimittel nicht mehr verschrieben werden, wenn das Budget erschöpft ist. Man müsse dazu übergehen, von der bereits heimlichen Rationierung, die teilweise mit dem Anschein der Willkürlichkeit, ohne objektive Kriterien, geschehe, hin zu einer offenen Rationierung mit eindeutigen Leitlinien und Mindeststandards, zu gelangen. Die jeweiligen Verteilungskriterien seien außerhalb der üblichen medizinischen und politischen Beteiligten festzulegen. Von der Schulenburg sprach von einem institutionalisiertem Gremium, „das weit über das hinausgeht, was wir bislang haben“. Vielmehr brauche es Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen, die allesamt kompetent und involviert sind im Themenbereich, aber dennoch Unbeteiligte im System und den „Schleier der Unwissenheit“ tragen.

Ärzte im Konflikt

Prof. Benno Ure von der Klinik der Kinderchirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover bestätigte, dass in deutschen Kliniken Rationierung ein Thema sei und täglich stattfinde. Vorenthalten würden etwa Pflegeleistungen und Medikamente. Umfragen belegten auch, dass sich Ärzte durch Rationierungsmaßnahmen einem starken Konflikt ausgesetzt sehen. Sie fühlten sich dabei oft im Stich gelassen und wünschten eine Regelung, die außerhalb der Arzt-Patienten-Beziehung getroffen werde. Ure kritisierte, „dass die Politik nicht in der Lage ist, sich diesem Thema anzunehmen“.

Dass Ökonomie an sich nichts Böses sei, so wie sie bei der Diskussion um Entwicklungen im Gesundheitswesen bisweilen dargestellt werde, darauf verwies Dr. Anne Prenzler von der Forschungsstelle für Gesundheitsökonomie der Leibniz Universität. Ökonomie sei vielmehr in der Lage mitzuhelfen, die notwendige Effizienz von Kosten, die mit der Gesundheitsversorgung entstehe, zu hinterfragen. Es werde bisweilen der Vorwurf erhoben, ökonomisches Denken sei unethisch. „Dabei ist es unethisch, die Kosten, die im Gesundheitssystem entstehen und von einer Solidargemeinschaft getragen werden, außer Acht zu lassen“, so Ure. Die Ökonomie biete Methoden an, um herauszufinden, wie eine Gesellschaft mit begrenzten Ressourcen umgehen kann. Ure: „Ohne Ökonomie ist eine ethische Rationierung nicht möglich.“

Gegen den Begriff der Rationierung wandte sich Prof. Dietmar Hübner vom Institut für Philosophie der Leibniz Universität. Der Begriff komme mit dem Impetus daher, die Vorenthaltung von Gesundheitsleistungen sei unumkehrbar und impliziere, dass es bislang einen Überfluss (Überversorgung) gegeben und sich plötzlich eine Knappheit eingestellt habe. Dies lege bei vielen den Verdacht nahe, bei bestimmten Gesundheitsleistungen ausgeschlossen zu sein und öffne Vermutungen, dass PKV-Patienten bevorzugt und GKV-Versicherte benachteiligt sein würden, Tür und Tor.

Einen theologischen Blick auf die Diskussion warf Hanns Martin Heineman, Stadtsuperintendent des evangelisch-lutherischen Stadtkirchenverbands Hannover. „Entspricht Rationierung dem Welt- und Menschenbild einer ethisch-christlichen Kultur?“, fragte Heinemann. Angemessenheit als christlicher Grundgedanke und als entscheidendes Kriterium täte der Diskussion als notwendiges Zusatzelement gut. Rationalisierung könne nur Hilfsmittel sein und sei kein Prinzip, „was die Welt ein für alle Mal gerechter machen würde“. Als Übergangslösung müsse sich Rationierung fragen lassen, ob sie mit einer christlichen Wertegemeinschaft einhergehen könne. Heinemann setzte die christlichen Leitmotive Güte, Nächstenliebe, Fürsorge, Barmherzigkeit und Gnade gegen die weitverbreitete Haltung, die Vorenthaltung medizinischer Leistungen sei unvermeidlich. sg

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