Leitartikel

Recht ja, aber nicht billig

Sehr geehrte Frau Kollegin,

sehr geehrter Herr Kollege,

mit viel Emotion wird diskutiert, ob und wie ein im System der gesetzlichen Krankenversicherung erzielter Milliardenüberschuss „ausgeschüttet“ werden kann. Dabei sind alle schnell zur Stelle: Die, die das Geld bekommen oder behalten wollen, genauso wie die, die es eingezahlt haben. Krankenkassen, Arbeitgeber wie -nehmer, aber auch das Finanzressort der Bundesregierung reklamieren – jeder auf seine Weise – ihre Rechte an der vermeintlich überschüssigen Geldmenge. Und nur der Bundesgesundheitsminister wird nicht müde, genau davor zu warnen. Seiner Meinung nach wird dieses Geld schon bald wieder gebraucht.

Sicherlich gibt es systemisch sinnvollere Alternativen zum Behalt des Überschusses im Risikostrukturausgleich. Aber es ist schon erstaunlich, wie schnell gesellschaftliche Solidarität – das ist ja die für das Sachleistungssystem reklamierte Basis – und humanistische Grundwerte wie Gesundheit und medizinische und zahnmedizinische Versorgung vernachlässigt werden, wenn Bargeld winkt. Gesundheit soll in unserer Gesellschaft zwar Recht, aber vor allem billig sein. Dabei gibt es durchaus von uns dokumentierte Bereiche, in denen die zahnmedizinische oder auch die medizinische Versorgung besser laufen könnte. Warum das Geld nicht dort einsetzen? Wer mit opportuner Wirtschaftlichkeit nach der Maßgabe „rein ins System – raus aus dem System“ verfährt, sei noch mal daran erinnert: Unser Berufsfeld ist kein x-beliebiger Markt! Das Gesundheitswesen ist keine Bank! Die Anamnese und Diagnose des Arztes oder Zahnarztes hat kein Korrelat zur notwendigen Finanzierung des Systems. Und für Therapien gilt spätestens seit Hippokrates genau dasselbe! Das muss vorrangig – und von Jedem – bedacht werden, der Hand an die Finanzierung des Systems legt.

Gerade anlässlich der aktuellen Überschuss-Diskussion muss mal wieder vergegenwärtigt werden, dass Finanzierung und Leistung im Gesundheitswesen voneinander zu trennende Systeme sind. Diagnose und Therapiewahl gehören allein in das Entscheidungsgefüge von Arzt und Patient. Entscheidend ist aber, dass dieser Bereich qualitativ und quantitativ funktioniert. Und wer Engpässe benannt bekommt, der sollte nicht leichtfertig Gelder aus dem System abziehen. Ökonomie und Medizin sind keine Verwandten! Aber ohne finanzielle Grundlagen funktioniert Medizin nicht.

Eine wichtige Erkenntnis ist aber auch: Wer ärztliches und zahnärztliches Tun deutlich von der Diskussion um die Grundlagen seiner Finanzierung, der Versicherung und der organisatorischen Planung zu trennen weiß, läuft nicht Gefahr, das notwendige Gut Gesundheitswesen leichtfertig kaputtzusparen. Krankenversicherungen, das muss deutlich gesagt werden, machen nicht gesund. Sie schaffen dafür allenfalls die notwendigen Voraussetzungen. Wer sich klar macht, dass sich Gesundheit prinzipiell mit Geld nicht kaufen lässt, man sie den Menschen durch Sparen aber durchaus nehmen kann, der wird einsehen, dass es nicht reicht, nur in den angestammten Kanälen der Ökonomie zu denken. Wer so denkt, wird mitsamt dem System und seinen vielen Partikularinteressen über kurz oder lang austrocknen.

Die vor uns liegenden demografischen Herausforderungen und die vorhandenen strukturellen Unzulänglichkeiten des Systems brauchen andere Herangehensweisen als das schnelle Jonglieren mit Haushaltsmitteln. Wir werden in den nächsten Jahren sehr sachgerecht überlegen müssen, wie stark Ökonomie als Verwalter etwas beherrschen darf, dessen Werte sich letztlich in Geld nicht messen lassen. Gesundheit, darüber sind wir uns in dieser Gesellschaft ja alle einig, gehört zu den Dingen, die in unserer gesellschaftlichen Werteskala ganz oben stehen bleiben müssen. Das bedeutet, dass wir alle eine hohe Verantwortung tragen, wenn wir am System herumbasteln. Wer die Rahmenbedingungen des Systems sukzessive verschlechtert, gleichzeitig aber sämtliche Verantwortung für Leben und Tod auf uns Leistungsträger abschiebt, erweist der Gesellschaft einen Bärendienst.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen

Dr. Peter Engel

Präsident der Bundeszahnärztekammer

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