In der zweiten Reihe
Die Bundespressekonferenz ist ein einzigartiger Verein. Sein Zweck besteht darin, der Regierung Fragen zu stellen, dreimal in der Woche. Weil Regierungssprecher Steffen Seibert und seine 14 Kollegen nicht alle hinter den Tresen passen, müssen einige in die zweite Reihe. Das sind die, die nicht so oft gefragt werden, worüber die Bundespressekonferenz genau Strichliste führt. Sie ist ein Indikator dafür, was auf dem Informationsmarkt gängig ist, welcher Minister in der Tagesschau, im Radio oder in der Zeitung eine Rolle spielt.
Neben Seibert sitzen die Leute aus dem Auswärtigen Amt, dem Innen-, Finanz-, Verteidigungs-, Arbeits- und Wirtschaftsministerium. Seit Juli gehört auch der Sprecher von Familienministerin Kristina Schröder (CDU) dazu. Schröder, gerne als Leicht- gewicht porträtiert, ist eins nach vorn gerückt. Sie hat Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) in die zweite Reihe verdrängt: Betreuungsgeld schlägt Pflegeversicherung.
Vielleicht ist die Rochade mehr als nur ein zufälliges Ergebnis des Abzählens von Journalistenfragen, denen im Zweifel der Euro, die Energiewende und der täglich Zoff um das (überflüssige) Betreuungsgeld näher gehen, als die Feinheiten der Apotheken- und Hebammenhonorierung. Es macht den Eindruck, als hätte die Gesundheitspolitik ihre Munition verschossen. Die „großen“ Reformen zur Finanzierung mit Beitrags-satzanhebung und Zusatzbeitrag liegen politische Lichtjahre zurück.
Wenn über Geld geredet wird, dann darüber, wie die Milliardenüberschüsse – am Jahresende könnten es 23 Milliarden Euro sein – am besten verteilt werden. Bahr möchte die Praxisgebühr gerne abschaffen, die Union nicht. Da gilt es für Bahr, öffentlich eher kleine Brötchen zu backen, Streit zu vermeiden.
Auch das Arzneimittelneuordnungsgesetz liegt weit zurück. Mit Staunen hatten Kritiker wie Anhänger der Koalition verfolgt, wie Minister Philipp Rösler (FDP) die Pharmaindustrie rasierte. Das hat so viel Eindruck hinterlassen, dass sein Nachfolger sich scheut, sinnvolle und vielleicht notwendige Begradigungen vorzunehmen. Zu leicht könnte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, das Gesetz sei reparaturbedürftig oder, schlimmer, der FDP-Minister sei „vor der Pharmalobby“ umgefallen.
Auch das Wortpaar „Apotheker und FDP“ klingt wie „Mövenpick und FDP“. Weil die Liberalen alles tun, den Eindruck zu vermeiden, sie betrieben Klientelpolitik, dürfen die Apotheker nur davon träumen, künftig 9,14 Euro statt 8,10 Euro für die ausgereichte Pillenpackung zu bekommen. Realistisch sind jene 8,35 Euro, die Spahn in die Welt gesetzt hat. Dass 9,14 Euro und mehr Geld für den Nacht- und Notdienst tatsächlich berechtigt sein könnten, steht auf einem anderen Blatt. Besser, es wird nicht drüber geredet.
Nicht anders ergeht es der Gebührenordnung der Ärzte. Die Änderungen, die die Ärzte wollen, wird der Minister im Wahljahr kaum akzeptieren wollen, die Änderungen, die der Minister politisch verträglich verkaufen kann, werden Ärzte und PKV nicht froh machen. Also bleibt es beim Alten.
Ein bisschen so ist es auch mit der Pflegereform, wo Bahr es niemandem recht machen konnte. Den Pflegeverbänden nicht, die mehr verlangen, den Arbeitgebern nicht, denen eh alles zu teuer ist, und den Kassen nicht, die die neue private Pflegevorsorge ablehnen. Die ist indes so schwachbrüstig ausgefallen, dass man sich um ihr Gedeihen ernstlich Sorge machen muss.
Bleiben Prävention und Patientenrechte. Auch das sind keine Reißerthemen, die die Nation bewegen. Der politische Streit um das richtige Zukunftskonzept für die Krankenversicherung (Stichwort Bürgerversicherung) wird auch nur aufflammen, wenn die Kassenfinanzen in Not geraten. Danach sieht es nicht aus. Bahr kann in der zweiten Reihe bleiben. Vermutlich ist ihm das im bevorstehenden Kampf um den politischen Klassenerhalt gar nicht so unrecht.