VG-Urteil zur Sterbehilfe

Kein pauschales Verbot

pr
Das Verwaltungsgericht (VG) Berlin hat in einem wegweisenden Urteil klargestellt, dass Ärzte selbst entscheiden dürfen, ob sie im Einzelfall todkranken Patienten Medikamente für einen geplanten Selbstmord überlassen. Ein ausnahmsloses standesrechtliches Verbot der ärztlichen Beihilfe zum Suizid verstoße gegen die Freiheit der Berufsausübung und gegen die Gewissensfreiheit des Arztes.

Ärzte dürfen todkranken Sterbewilligen im Einzelfall helfen, Selbstmord zu begehen. So jedenfalls sieht es das Berliner Verwaltungsgericht. Konkret urteilten die Richter, dass die Ärztekammer (ÄK) Berlin „kein uneingeschränktes Verbot der Überlassung todbringender Medikamente an Sterbewillige gegenüber einem Arzt“ aussprechen darf. Mit anderen Worten: Ein Arzt muss selbst entscheiden dürfen, ob er einem Patienten bei der Selbsttötung hilft oder nicht – ohne berufsrechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen.

Im fraglichen Fall ging es um einen Berliner Urologen, der 2007 einer Patientin aus Bayern Medikamente in tödlicher Dosis für deren geplanten Selbstmord überlassen wollte. Die ÄK Berlin untersagte ihm dies und drohte bei Zuwiderhandlung mit einem Zwangsgeld in Höhe von 50 000 Euro. Der Fall landete 2011 vor Gericht. Das Urteil erging Ende März dieses Jahres.

Seit Kurzem liegt die schriftliche Begründung des Richterspruchs vor. Darin heißt es: „Die gesetzliche und die satzungsgemäßen Generalklauseln reichen […] nicht als Rechtsgrundlage aus, um per Untersagungsverfügung ein zwangsgeldbewährtes Verbot für ein Verhalten ausnahmslos auszusprechen, dessen ethische Zulässigkeit in bestimmten Fallkonstellationen auch innerhalb der Ärzteschaft äußerst kontrovers diskutiert wird und dessen Verbot in diesen Ausnahmefällen intensiv in die Freiheit der Berufsausübung des Arztes und seine Gewissensfreiheit eingreift.“

Die ÄK Berlin hatte nämlich mit Verweis auf die Berufsordnung argumentiert, dass ein Arzt seinen Beruf grundsätzlich nach seinem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit auszuüben habe. Und die Mitwirkung eines Arztes bei einer Selbsttötung sei nach den Grundsätzen der Bundesärztekammer darüber hinaus keine ärztliche Aufgabe.

Der Urologe hatte dem entgegengehalten, dass er den hippokratischen Eid für überholt halte. Ferner sei die generelle Verweigerung der ärztlichen Begleitung eines Suizids ethisch unvertretbar. Der Heilauftrag des Arztes sei unter Beachtung der Menschenwürde „weit“ zu verstehen.

Berufsausübung darf nicht eingeschränkt werden

Für das Berliner Verwaltungsgericht wogen letztlich die Freiheit der Berufsausübung und die Gewissensfreiheit des Arztes mehr als die standesrechtliche Klausel, wonach die ärztliche Beihilfe zum Suizid ausnahmslos verboten ist. Denn bei der Gewissensentscheidung des Arztes sei zu respektieren, dass dieser womöglich in einer längeren persönlichen Beziehung zu seinem Patienten stand, führten dieRichter aus. „In dieser Situation ist eine schwierige Güterabwägung erforderlich, die […] gegebenenfalls einer ausdrücklichen Regelung bedarf.“

Das Urteil ist nach Ansicht des Präsidenten der Bundesärztekammer, Dr. Frank Ulrich Montgomery, jedoch kein Freibrief für einen ärztlich begleiteten Suizid. Auch leite es keinen rechtsphilosophischen Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung ein. Denn das VG Berlin habe sehr wohl deutlich gemacht, dass das Verbot des ärztlich assistierten Suizids grundsätzlich rechtmäßig und dass jede Form organisierter Sterbehilfe – wie sie beispielsweise der Verein Dignitas anbietet – unzulässig sei.

Nicht zur Debatte gestanden habe außerdem die Musterberufsordnung (MBO) der deutschen Ärzteschaft. Der Deutsche Ärztetag hatte erst im vergangenen Jahr in Kiel einen Passus in der MBO neu gefasst, um Unklarheiten bei den Grundregeln zum ärztlich begleiteten Suizid zu beseitigen. In Paragraf 16 heißt es nunmehr: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“

Das Gericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles eine Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zugelassen.

Petra Spielberg

Altmünsterstr. 1

65207 Wiesbaden

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