Manifestation eines follikulären Lymphoms
Carina Aschenbrenner, Martin Gosau, Torsten E. Reichert
Ein 73-jähriger Patient wurde mit einer seit sechs Monaten langsam größenprogredienten Schwellung rechts temporal und im Bereich der rechten Glandula parotis vom niedergelassenen Kollegen in die eigene Ambulanz überwiesen.
Allgemeinanamnestisch lag beim Patienten eine koronare Herzerkrankung (KHK) mit Zustand nach Myokardinfarkt und Bypass-Operation im Jahr 2008 vor. Zudem waren ein Vorhofflimmern mit der Einnahme von Marcumar, eine Aorteninsuffizienz Grad I-II, eine arterielle Hypertonie und eine Hyperurikämie bekannt. Der Allgemeinzustand des Patienten war gut. Gewichtsverlust, Nachtschweißigkeit, Leistungsabfall und Fieber (B-Symptomatik) wurden nicht festgestellt.
Bei der klinischen Untersuchung war im Seitenvergleich eine deutliche Asymmetrie des Gesichts zu erkennen (Abbildung 1). Im Bereich der rechten Gesichtshälfte konnten durch Palpation zwei Raumforderungen abgegrenzt werden, deren Größe im Durchmesser etwa fünf Zentimeter (Temporal-region) beziehungsweise zwei Zentimeter (Glandula parotis) betrugen. Das betroffene Gewebe stellte sich induriert und nicht schmerzhaft dar. Eine Funktionsstörung des Nervus facialis lag nicht vor. Der intraorale Befund einschließlich Zahnstatus und Speichelfluss war unauffällig. Eine generalisierte Lymphknotenschwellung (Lymphadenopathie) konnte durch Palpation ausgeschlossen werden. Laborchemisch waren im Blutbild des Patienten ebenfalls keine Auffälligkeiten zu diagnostizieren. Es erfolgte eine sonografische Untersuchung der betroffenen Region, die eine homogen strukturierte Raumforderung zeigte. Die Lymphknoten im Bereich Kopf/Hals waren in der Ultraschalldiagnostik unauffällig.
Durch den überweisenden Kollegen wurde bereits zu Beginn des Auftretens der Schwellung vor sechs Monaten neben einer Panoramaschichtaufnahme eine weiterführende Bildgebung veranlasst. In denBefunden der Computertomografie und der Magnetresonanztomografie wurden eine extrakranielle, temporale Raumforderung rechts mit Kontakt zur Muskelfaszie sowie eine Raumforderung am Oberpol der rechten Glandula parotis ohne Hinweis auf ein infiltratives Wachstum beschrieben.
In domo wurde zum Ausschluss eines malignen Geschehens eine Gewebeprobe in Lokalanästhesie aus dem Bereich der temporalen Schwellung entnommen. Das Ergebnis der histopathologischen Untersuchung ergab den Befund eines chronisch rezidivierten entzündlichen Infiltrats. Sowohl in der mikroskopischen Diagnostik als auch in den anschließenden molekularpathologischen Untersuchungen ergaben sich keine Hinweise für ein malignes Geschehen bei deutlich erhöhter B-Zellanreicherung. Nach Besprechung der Befunde wurde der Patient in die heimatnahe kieferchirurgische Nachsorge entlassen.
Bei weiterer Größenprogredienz der unklaren Raumforderung wurde der Patient drei Monate später erneut durch den niedergelassenen Kollegen vorgestellt. In der klinischen Untersuchung stellte sich der Befund bis auf die Schwellungszunahme unverändert im Vergleich zur Voruntersuchung dar. Das allgemeine Befinden des Patienten war weiterhin unbeeinflusst und altersentsprechend gut (keine B-Symptomatik). In der wiederholten sonografischen Untersuchung zeigte sich das Gewebe homogen strukturiert. Es wurde erneut ein MRT durchgeführt (Abbildungen 2a bis 2c). Bildmorphologisch korrelierte nun der Befund im Bereich der Temporalregion und der Parotisloge rechts am ehesten mit einem Lymphom. Zudem waren an Zahl und Größe vermehrt Lymphknoten zervikal erkennbar. In Intubationsnarkose wurde ein 2 cm x 2 cm messendes Gewebsstück aus der Tiefe der temporalen Raumforderung für eine erneute histopathologische Untersuchung entnommen (Abbildung 3). Makroskopisch wies das Gewebe eine käsig bröckelige Konsistenz auf. Zudem wurde eine Gewebeprobe zur mikrobiologischen Untersuchung eingesandt, wobei kein spezifischer Erreger nachgewiesen werden konnte.
Das pathologische Gutachten ergab diesmal das Vorliegen eines B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphoms. Aufgrund der schwierigen Diagnostik des eingesandten Präparats wurde eine referenzpathologische Untersuchung in Würzburg (Referenzzentrum für Lymphknotendiagnostik und Hämatopathologie) durchgeführt. Diese bestätigte die Diagnose eines Non-Hodgkin-Lymphoms der B-Zellreihe. Klassifiziert wurde das Lymphom als teils follikulär, teils diffus wachsendes follikuläres Lymphom Grad 1 (Abbildungen 4 und 5).
Der Patient wurde auf eigenen Wunsch nach Komplettierung des Tumorstagings in eine heimatnahe onkologische Praxis zur Durchführung der tumorspezifischen Immunchemotherapie bestehend aus Rituximab und Bendamustin (R-Bendamustin) überwiesen.
Diskussion
Definitionsgemäß bezeichnen maligne Lymphome eine heterogene Gruppe bösartiger Krankheiten des lymphatischen Systems [Dreyling M, 2007]. Eine einheitliche Lymphomklassifikation stellt die WHO-Klassifikation aus dem Jahr 2001 (Update 2008) dar. Dabei werden die Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) nach Linienzugehörigkeit (B- oder T-Zell-Lymphome) und nach Differenzierungs- beziehungsweise Reifungsgrad (Vorläuferzelllymphome beziehungsweise „periphere Lymphome“) klassifiziert und unterteilt [Hiddemann W, 2005; Swerdlow SH, 2008]. Zudem umfasst die WHO-Klassifikation die lymphatischen Leukämien, das multiple Myelom, die Natürlichen-Killerzell-Tumoren und den Morbus Hodgkin.
Häufig findet man auch die in der Praxis übliche Einteilung in indolent und aggressiv [Dreyling M, 2007]. Man unterscheidet die Lymphome dabei nach ihrer Progredienz: langsam wachsend gegenüber rasch fortschreitend.
Das im Patientenfall vorliegende follikuläre Non-Hodgkin-Lymphom ist das häufigste indolente Lymphom. Neben dem diffusgroßzelligen B-Zell-NHL stellt es die zweithäufigste Entität aller Non-Hodgkin-Lymphome dar, mit einer Inzidenz von 5 bis 7:100 000. Das mittlere Erkrankungsalter beträgt 55 bis 60 Jahre. Das Geschlechterverhältnis ist ausgeglichen [Dreyling M, 2007]. Die Überlebensrate hängt von der Einteilung in die jeweiligen Risikogruppen (siehe unten, FLIPI) ab und beträgt nach fünf Jahren 90 Prozent bei niedrigem Risiko, 75 Prozent bei mittlerem Risiko und 48 Prozent bei hohem Risiko. Die Werte für die Zehn-Jahres-Überlebensrate sind deutlich geringer [Bargetzi M, 2008].
Das follikuläre NHL entsteht aufgrund einer Neoplasie der B-Zellen des Keimzentrums. Auf chromosomaler Ebene ist dabei die Translokation t(14;18) (q32;q21) ausschlaggebend, die eine Apoptosehemmung durch Überexpression des bcl-2-Onkogens induziert [Dreyling M, 2007; Grossbard ML, 2002]. Gemäß der WHO-Klassifikation wird das follikuläre Lymphom in drei Grade (1 bis 3) eingeteilt. Ein hohes Grading (Grad 3) bezeichnet die Präsenz einer hohen Anzahl großer Zellen (Zentroblasten) im histologischen Präparat und ist prognostisch ungünstig. Der klinische Verlauf und die Überlebensrate sind günstiger für die Grade 1 und 2, die definitionsgemäß eine geringere Anzahl an Zentroblasten aufweisen.
Das follikuläre Lymphom kann in ein diffusgroßzelliges B-Zell-NHL transformieren und dadurch sein klinisches Verhalten ändern, mit einer Zunahme der Aggressivität, und dem Auftreten von Symptomen (B-Symptomatik wie zum Beispiel Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust) [Bargetzi M, 2008].
Die Diagnostik der malignen Lymphome und die Bestimmung der Entität stellen oftmals eine Herausforderung dar. Zu den obligaten Untersuchungen zählen die Anamnese (Frage nach B-Symptomatik, Leistungsfähigkeit, Symptombeginn und Progredienz), die körperliche Untersuchung (LK-Status, Inspektion von Mundhöhle und Waldeyerschem Rachenring, Palpation von Leber und Milzlager, gegebenenfalls Blutungs-/Infektzeichen, neurologischer Status), das Labor (wie Blutbild, LDH-Wert und mehr), die Histologie und die bildgebenden Verfahren (Sono, CT/MRT), zudem meist eine Knochenmarkpunktion und gegebenenfalls eine Liquoruntersuchung [Hiddemann W, 2005].
Beim follikulären Lymphom ist beispielsweise in der klinischen Untersuchung bei der Erstvorstellung desPatienten häufig eine generalisierte, jedoch nicht schmerzhafte, Lymphadenopathie feststellbar. Differenzialdiagnostisch müssen entzündlich bedingte Lymphknotenvergrößerungen viraler (Epstein-Barr-Virus, Zytomegalievirus,HIV) oder bakterieller Genese (wie Tuberkulose) ausgeschlossen werden. Ebenso ist die Entität des follikulären NHL von anderen malignen Lymphomen abzugrenzen. Ein auffälliger Lymphknotenbefund kann sich auch als Lymphknotenmetastase eines soliden Tumors erweisen [Buske C, 2010]. Ferner sollten seltenere Erkrankungen, wie zum Beispiel Thymome oder Keimzelltumoren, aber auch die Sarkoidose ausgeschlossen werden [Buske C, 2010].
Die histologische Untersuchung und die Bestimmung der NHL-Entität (Klassifizierung) ist entscheidend für die Wahl der Therapie [Bargetzi M, 2008; Buske C, 2010; Dreyling M, 2007; Hiddemann W, 2005]. Zur Festlegung der Entität sind, neben der üblichen histopathologischen Aufarbeitung einer Gewebeprobe, immunhistochemische Sonderfärbungen und molekularpathologische Untersuchungen notwendig. Voraussetzung dafür ist die Entnahme einer ausreichend großen Gewebeprobe. Weder eine Stanzbiopsie, noch eine Feinnadelbiopsie sind ausreichend [Buske C, 2010; Hiddemann W, 2005].
Mittels molekularpathologischer Methoden (wie PCR) können eine B- beziehungsweise T-Zell-Klonalität nachgewiesen und Translokationen auf Genen festgestellt werden [Wan JH, 1992; Meier VS, 2001]. Aufgrund der hohen Anforderungen an den Pathologen bezüglich Ausstattung und Spezialisierung sollte die Lymphomdiagnostik in hoch spezialisierten Hämatopathologiezentren erfolgen. Zudem ist eine referenzpathologische Untersuchung empfehlenswert [Hiddemann W, 2005].
Einteilung in Tumorstadien
Die malignen Lymphome werden vornehmlich anhand der Ann-Arbor-Klassifikation (1971) in Stadien eingeteilt. Die Tumorstadien I bis IV richten sich nach der Zahl der befallenen Lymphknotenregionen oder extralymphatischen Gebieten und deren Lokalisation in Bezug zum Zwerchfell (Tabelle). Zudem wird mit einbezogen, ob Allgemeinsymptome („B-Symptomatik“) vorliegen oder nicht [Rosenberg SA, 1971].
Für das follikuläre Lymphom (wie im Patientenfall vorliegend) wurde ein prognostischer Index entwickelt, der die Patienten anhand von klinischen Symptomen in drei Risikogruppen (1=niedrig, 2=mittel, 3=hoch) gliedert. Der FLIPI (Follicular lymphoma international prognostic index) umfasst folgende fünf Prognosefaktoren:
• Alter (/ 60 Jahre)
• Ann-Arbor-Stadium (I/II oder III/IV)
• Anzahl der befallenen Lymphknotenregionen (/ 4)
• LDH (im Normbereich oder erhöht)
• Hämoglobinwert (Hb / 120 g/l) [Bargetzi M, 2008; Buske C, 2010].
Therapie des follikulären Lymphoms
Das therapeutische Vorgehen richtet sich nach dem Krankheitsstadium:
• Frühstadien follikulärer Lymphome (Ann-Arbor-Stadium I und II, zehn bis 15 Prozent der Patienten) sind potenziell kurativ therapierbar. Hier zeigt die lokale Radiotherapie („extended“ oder „involved field“) mit einer Gesamtdosis von mindestens 30 Gy gute Ergebnisse [Bargetzi M, 2008; Buske C, 2010; Hiddemann W, 2005].
• Bei fortgeschrittenen Stadien (Ann-Arbor-Stadium III und IV) stehen in erster Linie die Verbesserung der Lebensqualität und die Verlängerung der Lebenszeit im Vordergrund. Ein kurativer Therapieansatz ist in fortgeschrittenen Stadien nicht möglich. Bei klinischer Symptomlosigkeit wird ein abwartendes Vorgehen, sogenanntes „watch and wait“, favorisiert. Die Behandlung wird erst bei Auftreten Lymphom-assoziierter Symptome (wie B-Symptomatik, hämatopoetische Insuffizienz oder Kompression vitaler Organe)begonnen [Bargetzi M, 2008; Buske C, 2010].
Die Erstlinientherapie besteht dann aus Induktions-, Konsolidierungs- und Erhaltungsphase. In der Induktion wird die kombinierte Immunchemotherapie R-CHOP, bestehend aus Rituximab, Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin und Prednison, standardmäßig bei Patienten mit gutemAllgemeinzustand eingesetzt [Buske C, 2010; Hiddemann W, 2003)]. Alternativ findet aktuell immer häufiger das Behandlungsregime Rituximab-Bendamustin Anwendung. Im Rahmen einer randomisierten Studie der deutschen Studiengruppe für indolente Lymphome (StiL) ergab sich ein signifikanter Vorteil im progressionsfreien Überleben für die Patienten im R-Bendamustin-Studienarm im direkten Vergleich mit R-CHOP [Rummel MJ, 2009].
Bei älteren Patienten und mangelnder Compliance für eine Immunchemotherapie ist häufig eine Monotherapie, zum Beispiel mit Trophosphamid oder Rituximab, oder eine Radioimmuntherapie (RIT) indiziert. Vorteile der Monotherapie sind die geringere Toxizität und die hohe Toleranz durch die Patienten, Nachteil jedoch die relativ kurze Remissionsdauer [Bargetzi M, 2008; Buske C, 2010].
Nach Erreichen einer Remission setzt die Konsolidierungs- beziehungsweise die Erhaltungsphase ein. Dabei finden meist interferon-alpha, Rituximab (in klinischen Studien) oder die Radioimmuntherapie (Kombination aus Strahlen- und Immuntherapie) Anwendung [Buske C, 2010].
Entscheidend für den Erfolg der gewählten Therapie sind Untersuchungen zur Verlaufskontrolle sowie die Einbindung in eine regelmäßige Nachsorge, um die Remission zu überwachen, ein Rezidiv zu erkennen und Langzeittoxizitäten zu überprüfen.
Dr. Carina Aschenbrenner
PD Dr. Dr. Martin GosauProf. Dr. Dr. Torsten E. ReichertKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieUniversität RegensburgFranz-Josef-Strauß-Allee 1193053 RegensburgCarina.Aschenbrenner@ukr.de
Fazit für die Praxis
• Jede persistierende/progrediente Gesichtsschwellung unklarer Ursache bedarf einer weiterführenden Diagnostik (Sono, CT/MRT, PE, Labor).
• Auch bei primär unauffälligem histopathologischem Befund muss eine unklare, persistierende Raumforderung engmaschig kontrolliert und gegebenenfalls erneut histologisch untersucht werden (Rebiopsie).
• Allgemeinsymptome wie Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust (B- Symptomatik) deuten auf ein malignes Tumorgeschehen hin.
• Gewebeproben speziell zur Lymphomdiagnostik sollten durch eine Fachklinik vorgenommen und gegebenenfalls referenzpathologisch abgesichert werden.