Notfalltraining

Die Reanimation

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Martin Emmel, Peer Kämmerer, Monika Daubländer, Gepa Schwidurski-Maib

Ein „typischer“ Montagmorgen in einer stark frequentierten zahnärztlichen Gemeinschaftspraxis: das Wartezimmer brechend voll, der junge Kollege übers Wochenende krank geworden, keine Zeit mehr, Termine umzulegen, und dazu noch eine Vielzahl von Schmerzpatienten. Einige Patienten beschweren sich bereits lautstark über die ungewöhnlich langen Wartezeiten. Der Seniorchef, 61 Jahre alt, muss heute alleine „die Stellung halten“. Er ist gerade damit beschäftigt, die Patienten an der Anmeldung zu beruhigen, als er sich plötzlich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Brust greift und im nächsten Moment in sich zusammensackt. Die außergewöhnlichen Ereignisse haben alle Anwesenden verstummen lassen. Eine Helferin ergreift die Initiative und durchbricht die Stille: „Chef! Was ist denn los? Geht es Ihnen gut?“, während sie ihn an den Schultern greift und schüttelt. Doch keine Reaktion. Die Helferin ruft laut um Hilfe durch ihre Kolleginnen und bittet die umstehenden Patienten zu einem späteren Zeitpunkt wiederzukommen.

Die regelmäßigen praxisinternen Notfallschulungen machen sich nun bezahlt: Die Handgriffe laufen wie von selbst ab, und so dreht die Helferin ihren Chef auf den Rücken und überprüft anschließend sofort die Atmung. In diesem Moment kommen zwei weitere Kolleginnen hinzu. „Er atmet nicht!“ Die jetzt neben ihrem Chef kniende Helferin weist ihre Kolleginnen an: „Du rufst den Notarzt und Du holst den Notfallkoffer und den Defibrillator. Ich beginne mit der Herzdruckmassage.“ Wie selbstverständlich sucht die Helferin den Druckpunkt auf der Mitte des Brustbeins und beginnt mit den Thoraxkompressionen. Die Kollegin kommt mit Notfallkoffer und Defibrillator zurück. Der Oberkörper des leblosen Zahnarztes wird mittels Rettungsschere von der Kleidung befreit, die AED-Elektroden werden aufgeklebt. „Schock empfohlen.“ Bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes defibrillieren die Helferinnen ihren Chef zweimal, während sie im Wechsel 30 Thoraxkompressionen und zwei Beatmungen durchführen. Dem Notarzt gelingt es, den zahnärztlichen Kollegen innerhalb kurzer Zeit für einen Transport ins nahegelegene Krankenhaus zu stabilisieren, wo er umgehend einer Herzkatheterintervention zugeführt wird. Nach zweiwöchigem Krankenhausaufenthalt kann der Seniorchef das Krankenhaus ohne neurologisches Defizit und auf eigenen Beinen verlassen.

Diagnose dieses Falles: Herz-Kreislauf-Stillstand

Als Kreislaufstillstand bezeichnet man den Ausfall des Herz-Kreislauf-Systems. Synonym wird oft der Begriff klinischer Tod benutzt. Dieser Zustand ist potenziell reversibel und lässt sich durch die Einleitung einer Herz-Lungen-Wiederbelebung (kardiopulmonale Reanimation) therapieren. Es gelingt jedoch nur, einige der Betroffenen wiederzubeleben, denn die Maßnahmen sind nur in einem Zeitfenster von wenigen Minuten Erfolg versprechend.

Ohne solche Maßnahmen tritt der Hirntod ein, der durch den irreversiblen Funktionsverlust von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm definiert ist. Er ist der Individualtod des Menschen. Der biologische Tod – als letztes Stadium – ist das Ende aller Organ- und Zellfunktionen.

Differenzialdiagnose

• vagale Reaktionen

• metabolische Störungen (Hypoglykämie)

• Intoxikation (wie Lokalanästhetika)

Pathophysiologie

Der plötzliche Kreislaufstillstand stellt eine der Haupttodesursachen in Europa dar. Je nach Definition betrifft er zwischen 350 000 und 700 000 Menschen pro Jahr. Die häufigste präklinische Ursache eines Kreislauf stillstands ist in westlichen Industrienationen mit über 80 Prozent der plötzliche Herztod, als Folge eines Herzinfarkts oder von Herzrhythmusstörungen. Andere innere Erkrankungen wie Lungenerkrankungen (vier Prozent), Erkrankungen des Gehirns wie ein Schlaganfall (zwei Prozent) oder Lungenembolien nehmen etwa einen Anteil von neun Prozent ein.

Der Kreislaufstillstand, also ein Versagen der Blutpumpfunktion, kann in mehrere Formen unterteilt werden:

• Kammerflimmern (VF)

• pulslose ventrikuläre Tachykardie (pVT)

• elektromechanische Entkoppelung

• Asystolie

Defibrillierbare Herzrhythmusstörungen sind das Kammerflimmern und die pulslose ventrikuläre Tachykardie. Zum Zeitpunkt der ersten Herzrhythmusanalyse weisen etwa 25 bis 30 Prozent der Patienten ein Kammerflimmern auf. Allerdings liegt wahrscheinlich zum Zeitpunkt des Kollapses bei weitaus mehr Patienten ein Kammerflimmern oder eine pulslose ventrikuläre Tachykardie vor. Bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes und der ersten EKG-Aufzeichnung hat sich der Rhythmus allerdings häufig zu einer Asystolie verschlechtert. Kommt frühzeitig, also noch vor dem Eintreffen des Rettungsdienstes, ein AED zum Einsatz, steigt der Anteil von Patienten mit Kammerflimmern auf 59 bis 65 Prozent. Die Prognose und die Überlebenswahrscheinlichkeit dieser Patienten könnten durch eine sofortige Therapie positiv beeinflusst und somit viele dieser Patienten gerettet werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass unverzüglich eingeleitete Wiederbelebungsmaßnahmen die Überlebensraten nach einem plötzlichen Kreislaufstillstand verdoppeln oder sogar verdreifachen. Für die frühzeitige Durchführung von Wiederbelebungsmaßnahmen in Kombination mit einer frühzeitigen Defibrillation innerhalb von drei bis fünf Minuten nach Kollaps erhöhte sich die Überlebensrate je nach Studie auf 49 bis 75 Prozent. Jede Minute Verzögerung vor der Defibrillation vermindert die Überlebenswahrscheinlichkeit bis zur Entlassung aus der Klinik um zehn bis zwölf Prozent. Liegt zu Beginn von Reanimationsmaßnahmen bereits eine Asystolie vor, ist die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Wiederbelebung sehr viel geringer.

Allgemeine Diagnostik

Wird ein regungsloser Patient aufgefunden, erfolgt im ersten Schritt die Überprüfung des Bewusstseins. Dies geschieht durch lautes Ansprechen (etwa „Herr/Frau X, können Sie mich hören?“) und gleichzeitiges leichtes Schütteln an den Schultern. Reagiert der Betroffene nicht, wird ein Schmerzreiz gesetzt. Reagiert der Patient weiterhin nicht, wird um Hilfe gerufen beziehungsweise das Notfallsystem aktiviert, um auf die Notlage aufmerksam zu machen. Anschließend wird der Patient auf den Rücken gedreht, die Atemwege werden durch Überstrecken des Kopfes freigemacht. Mittels „Sehen, Hören, Fühlen“ wird nun die Atmung überprüft: Sind Bewegungen des Brustkorbs zu „sehen“, sind Atemgeräusche am Mund des Patienten zu „hören“, kann der Helfer einen Luftstrom „fühlen“ (Hände auf den Thorax, ob er sich bewegt)?

Die Überprüfung der Atmung sollte nicht länger als zehn Sekunden in Anspruch nehmen, dann muss der Helfer entscheiden, ob die Atmung normal, unnormal oder nicht vorhanden ist. Etwa 40 Prozent der Patienten im Kreislaufstillstand zeigen, insbesondere innerhalb der ersten Minuten nach Eintreten, noch vereinzelte, langsame oder geräuschvolle Atemzüge (sogennannte Schnappatmung). Hierbei handelt es sich nicht um eine normale Atmung. Bestehen irgendwelche Zweifel bezüglich normaler oder unnormaler Atmung, wird weiterhin so verfahren, als sei die Atmung nicht normal. Erfahrene Helfer können versuchen, parallel zur Kontrolle der Atmung den Carotispuls zu tasten (etwa für zehn Sekunden). Allerdings haben Studien gezeigt, dass die Prüfung des Carotispulses im Rahmen der Diagnostik eines Kreislaufstillstands sowohl für Laien- als auch für professionelle Helfer eine ungenaue Methode darstellt.

Fehlen Lebenszeichen und atmet der Patient gar nicht oder nicht normal, liegt eine reanimationspflichtige Herz-Kreislauf-Störung vor. Verfügbares Personal wird unverzüglich veranlasst, den Rettungsdienst zu alarmieren.

Sind eine Notfallausrüstung und ein Automatischer externer Defibrillator (AED) vorhanden, werden diese ebenfalls angefordert und durch weiteres Personal zum Ort des Geschehens verbracht. Der Patient wird nur verlassen, wenn es gar keine andere Möglichkeit gibt. Prognoseentscheidend für den Patienten ist jetzt die frühzeitige Einleitung von Maßnahmen zur Wiederbelebung.

Allgemeine Therapie

Liegt eine reanimationspflichtige Herz-Kreislauf-Störung vor, wird wie folgt vorgegangen: Kompression vor Ventilation. Der Helfer kniet sich seitlich neben den Patienten, legt den Ballen einer Hand auf die Mitte der Brust, entsprechend der unteren Sternumhälfte des Patienten und den Ballen der anderen Hand auf die erste Hand. Die Finger werden ineinander verschränkt. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass der Druck nicht auf die Rippen oder den Oberbauch des Patienten ausgeübt wird. Mit durchgedrückten Armen wird nun das Brustbein mindestens fünf Zentimeter nach unten gedrückt. Der Brustkorb wird nach jeder Herzdruckmassage vollständig entlastet, ohne den Kontakt zwischen Händen und Brustbein zu verlieren. Be- und Entlastung sollten gleich lang andauern und nicht ruckartig erfolgen. Die Thoraxkompressionen werden mit einer Frequenz von mindestens 100 pro Minute durchgeführt. Nach einem Zyklus von 30 Kompressionen folgen zwei Beatmungen. Dazu wird der Kopf des Patienten erneut überstreckt und zwei effektive Beatmungen werden durchgeführt. Beatmungen sind dann als effektiv zu beurteilen, wenn sich der Thorax des Patienten sichtbar hebt und senkt. Für beide Beatmungen sollen zusammen nicht mehr als fünf Sekunden aufgewendet werden. Sind beide Beatmungsversuche nicht effektiv oder möglich, wird kein weiterer Versuch unternommen, sondern direkt zu einem weiteren Zyklus von 30 Thoraxkompressionen übergegangen. Die Reanimation wird nur unterbrochen, falls der Patient aufwacht, sich bewegt, die Augen öffnet oder sich wehrt. Ist der Helfer nicht willens oder nicht in der Lage den Patienten zu beatmen, werden nur Thoraxkompressionen durchgeführt, bis die entsprechende Notfallausrüstung (Beatmungs-(Ambu-)beutel) oder der Rettungsdienst eintrifft. Die Taschenmaske dient allein der präklinischen Therapie auf der Straße.

Falls mehr als ein Ersthelfer vor Ort ist, werden nach zwei Minuten Beatmung und Thoraxkompressionen von der anderen Person übernommen, um eine Ermüdung zulasten der Qualität der Herzdruckmassage zu verhindern. Dabei muss sichergestellt werden, dass die Unterbrechung der Thoraxkompressionen durch den Wechsel möglichst minimal ausfällt.

Ist ein AED verfügbar, sollte dieser schnellstmöglich zur Anwendung kommen. Nach Einschalten des Geräts werden die selbstklebenden Elektroden/Pads auf der entblößten Brust des Patienten angebracht. Ist mehr als ein Helfer anwesend, sollten die Reanimationsmaßnahmen während des Anbringens der Elektroden fortgesetzt werden. Gerätespezifisch erfolgen akustische beziehungsweise visuelle Anweisungen zum weiteren Vorgehen. Sicherzustellen ist, dass der Patient während der Analysephase nicht berührt wird (Kommando: „Weg vom Patienten!“). Erkennt das Gerät eine defibrillationspflichtige Herzrhythmusstörung, wird der Helfer aufgefordert, einen Schock durch Drücken einer entsprechenden Taste am AED abzugeben. Wurde ein Schock abgegeben, wird unverzüglich erneut mit Wiederbelebungsmaßnahmen im Verhältnis von 30 Thoraxkompressionen zu zwei Beatmungen fortgefahren. Erkennt das Gerät keine defibrillationspflichtige Herzrhythmusstörung, wird der Helfer aufgefordert, direkt mit Thoraxkompressionen fortzufahren.

Kritische Wertung dieser Notfallsituation

Im beschriebenen Fallbeispiel reagieren die Helferinnen in idealer Form auf die Konfrontation mit dem Herz-Kreislauf-Stillstand ihres Chefs. Das Vorgehen ist algorythmenkonform und entspricht den Leitlinien des European Resuscitation Councils (ERC) in der aktuellen Version aus dem Jahr 2010. Das Abrufen und die Anwendung von notwendigem Wissen und Fertigkeiten im Notfall in der dargestellten Art und Weise kann allerdings nur durch regelmäßige Schulungen im Rahmen von Notfallkursen mit praktischen Übungen im gesamten Praxisteam erreicht werden.

Univ.-Prof. Dr. Dr. Monika DaubländerPoliklinik für Zahnärztliche ChirurgieUniversitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (KöR)Augustusplatz 255131 Mainzdaublaen@uni-mainz.de

Dr. Dr. Peer KämmererKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieUniversitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (KöR)Augustusplatz 255131 Mainz

Dr. Martin EmmelPraxis Dr. MohrThilmanystr. 554634 Bitburg

Dr. Gepa Schwidurski-MaibHans-Katzer-Str. 450858 Köln

INFO

Notfallserie ab 2012

Eine Notfallsituation ist eine besondere Herausforderung. Aber nicht jedes Praxisteam hat gemeinsam eine Beatmung geübt und für den Tag X geprobt. Doch nur ein eingespieltes Team kann schnell und richtig handeln. Die zm stellen in jeder geraden Ausgabe eine Notfallsituation vor, die im Praxisteam besprochen werden sollte, damit im Notfall jeder seinen Handgriff wirklich beherrscht. Denn Kompetenz rettet Leben.

Bereits veröffentlichte Themen:

zm 2/2012: Die Synkope

zm 4/2012: Die Hypoglykämie

zm 6/2012: Der Schlaganfall

zm 8/2012: Der Infarkt

zm 10/2012: Die Anaphylaxie

zm 12/2012: Der epileptische Anfall

INFO

Mögliche Fehler bei der Therapie

• zu langes Suchen nach Kreislaufzeichen

• Verzögerung bei der Einleitung von Reanimationsmaßnahmen

• zu zaghaftes Vorgehen aus Angst, etwas falsch zu machen (wie Rippenfraktur)

INFO

Präventive Maßnahmen

• Vermeidung von Stress während der Behandlung vor allem bei kardialen Risikopatienten

• regelmäßige Notfallfortbildung mit praktischen Übungen

• Trainieren im Team unter Praxisbedingungen

• Erarbeitung eines individuellen Notfallplans für die Praxis

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