Zahnmedizin und Qualität
Ziel des Gutachtens war, zu überprüfen, ob eine Stärkung des Wettbewerbs an der Schnittstelle zwischen stationärer und ambulanter Versorgung zu einer verbesserten Gesundheitsversorgung der Bevölkerung führen kann.
Nach Ansicht der Autoren kann ein verstärkter Wettbewerb zu einer bedarfsgerechten Versorgung beitragen, wenn er eine Konkurrenz um die bessere Qualität und nicht um Preise bedeutet. Zu den Voraussetzungen für einen zielführenden Wettbewerb im Gesundheitswesen gehören für die Gutachter wettbewerbliche Optionen von Krankenkassen und Leistungserbringern, eine quantitativ und qualitativ ausreichende Personalausstattung sowie eine gestärkte Kompetenz von Patienten, um entsprechende Wahlentscheidungen treffen zu können.
Qualität im Zentrum
Die Sachverständigen identifizieren vier Felder, in denen sie sich einen Qualitätswettbewerb wünschen. Das erste ist der private Gesundheitsmarkt, in dem die Leistungserbringer um die Nachfrage der Patienten konkurrieren. Im zweiten Feld, dem kollektivvertraglichen System der gesetzlichen Kassen, gibt es durch gemeinsam und einheitlich geschlossene Verträge zwar keinen direkten Wettbewerb der Kassen. Trotzdem stehen sie in Konkurrenz um die Nachfrage der Kunden und können durch qualitativ hochwertige Angebote punkten. Im Versicherungsbereich, dem dritten Feld, stehen die Krankenkassen im Wettbewerb um Versicherte. Im letzten Feld, dem selektivvertraglichen System, verhandeln die einzelnen Krankenkassen mit den Leistungserbringern Verträge über Preis und Qualität der Leistung. Insgesamt sehen die Gutachter im Gesundheitswesen in den meisten Bereichen noch recht wenig Wettbewerbsmöglichkeiten. „Der Qualitätswettbewerb fristet im Vergleich zum Mengen- und Preiswettbewerb ein Schattendasein“, sagte der neue Vorsitzende des Sachverständigenrates, Prof. Ferdinand M. Gerlach, auf dem Symposium.
Forderungen der Experten
Im zahnärztlichen Bereich plädieren die Gesundheitsweisen für eine stärkere sektorenübergreifende Zusammenarbeit mit anderen Humanmedizinern. Fehlbehandlungen und Komplikationen würden hier nur äußerst selten zur Weiterbehandlung in anderen Sektoren führen, heißt es im Gutachten. Nur Mundhöhlenkarzinome bildeten hier eine Ausnahme. Eine bessere Zusammenarbeit könne beispielsweise die Abstimmung über medikamentöse Wechselwirkungen zwischen Zahnmediziner und Hausarzt umfassen. Die Wissenschaftler fordern bessere Anreize und Verfahren für eine vergleichende Qualitätsmessung über den bereits bestehenden zum Zahnersatz hinaus, was zu einer verbesserten Präventionsarbeit führen soll. Allerdings wird in der eigenständigen Struktur des zahnärztlichen Bereichs eine Einschränkung der Qualitätssicherungsmöglichkeiten gesehen, weil es kaum Schnittpunkte mit anderen Sektoren gibt und so ein Vergleich schwierig ist. Als Beispiel führen die Sachverständigen an, dass es kaum Verträge zur integrierten Versorgung unter zahnärztlicher Beteiligung gibt.
Kein Gespräch im Vorfeld
KZBV und BZÄK teilen in ihrer Stellungnahme zum Gutachten ausdrücklich die allgemeinen Aussagen zu Qualität und Qualitätsförderung. Problematisch ist jedoch, dass die Gesundheitsweisen im Vorfeld mit Vertretern der Zahnärzteschaft keine Gespräche geführt oder deren Anregungen aufgegriffen haben – im Gegensatz zu anderen Sektoren und Organisationen. Daher komme das Gutachten zu einer lückenhaften und teilweise falschen Analyse, heißt es bei den Verbänden. Daraus würden wenige Handlungsoptionen abgeleitet, die nicht am richtigen Ende ansetzen und in Sanktionen enden.
Das schlägt sich im Endeffekt in den Ausführungen zur Zahnmedizin nieder. Denn anders als behauptet, sind die Zahnärzte nach Ansicht der Standesorganisationen als eigener Sektor zu betrachten, und als solche auch gegebenenfalls Teil einer sektorenübergreifenden Versorgung und dementsprechend auch in die sektorenübergreifende Qualitätssicherung einbezogen. Der Schwerpunkt der sektorenübergreifenden Versorgung und Qualitätssicherung sei jedoch eindeutig in der Verzahnung des ambulanten ärztlichen Bereichs mit dem stationären Bereich zu sehen.
Qualitätssicherungsverfahren sind in der Zahnheilkunde sehr wohl vorhanden – sie sind nur anders ausgestaltet als im ambulanten ärztlichen und stationären Bereich. Das liegt an den Besonderheiten der zahnärztlichen Versorgung. Sie bildet einen eigenen, weitgehend geschlossenen Sektor. Durch zunehmende wissenschaftliche Erkenntnisse über die Zusammenhänge oraler mit systemischen Erkrankungen weist sie eine steigende Zahl von Berührungspunkten mit dem ambulanten ärztlichen und stationären Sektor auf. Regelungen der Haus- und Fachärzte könnten jedoch kein Vorbild für den zahnmedizinischen Sektor sein, da die Besonderheiten des gewachsenen zahnärztlichen Bereichs mit seinen eigenen vertraglichen Regelwerken und besonderen gesetzlichen Vorgaben berücksichtigt werden müsse, heißt es in der Stellungnahme. Das Gesetz sieht auch ausdrücklich Ausnahmen von sektorübergreifender Qualitätssicherung vor, wenn eine angemessene Qualitätssicherung nur durch sektorbezogene Regelungen möglich ist und dafür sachliche Gründe vorliegen.
Anders als von den Sachverständigen bemängelt, gibt es Qualitätssicherungsmaßnahmen nicht nur bei Zahnersatz. Bereits seit 1993 ist die Gewährleistung bei Füllungen geregelt. Darüber hinaus verweisen die zahnärztlichen Standesorganisationen noch auf weitere qualitätssichernde Vorgaben wie die Allgemeinen Behandlungsrichtlinien für die vertragszahnärztliche Versorgung und die Zahnersatzrichtlinien. Zudem gibt es Regelungen im kieferorthopädischen Bereich (KFO-Richtlinien), die Röntgenverordnung, die Hygienevorschriften, die Qualitätszirkel und das Gutachterverfahren. Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung existieren bei der Zahnärzteschaft also längst in gewachsenen Regelwerken.
Prävention ist erfolgreich
Der kurze Exkurs zu Zahnärzten im Gutachten werde den vielfältigen zahnärztlichen Bemühungen um Qualitätsförderung der letzten Jahre in keiner Weise gerecht, so KZBV und BZÄK einhellig. Es scheine als sei die Darstellung ohne profunde Kenntnis der zahnmedizinischen Versorgung geschrieben worden. Die deutsche Zahnärzteschaft habe in den letzten Jahrzehnten unter anderem mit der erfolgreichen Einführung der zahnmedizinischen Prävention bewiesen, dass Qualitätsförderung mit dem Ziel der hohen Ergebnisqualität für den Patienten hauptsächlich durch Motivation, Kompetenz und kontinuierliche Arbeit zu erreichen sei.
Und das ist sehr erfolgreich: Sowohl die Deutsche Mundgesundheitsstudie als auch die epidemiologische Begleituntersuchung zur zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe haben in den letzten Jahren eine deutliche Verbesserung der Mundgesundheit und einen zunehmenden Zahnerhalt festgestellt. Auch die von der BZÄK bereits 2004 formulierten Gesundheitsziele haben viel erreicht – mit ihnen liegen Qualitätsindikatoren vor, nach denen sich regionale Präventionsaktivitäten richten und Mundgesundheits- aktionspläne entwickelt werden.
Im Bereich des Mundhöhlenkrebs, auf den der Sachverständigenrat verweist, spielt der Zahnarzt eine wichtige Rolle bei der Prävention (Früherkennung von Tumoren) und der Rehabilitation. Der einzelne Zahnarzt sieht aber Mundhöhlenkrebs sehr selten in seiner Praxis. Deshalb ist die Arbeitsgruppe des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) „Qualitätssicherung Zahnmedizin“ zu dem Schluss gekommen, dass sich das Thema nicht für eine Qualitätssicherungs-Richtlinie des G-BA eignet. Die von den Gesundheitsweisen vorgeschlagene Messung des Tumorstatus im Krankenhaus als Grundlage für eine Qualitätsmessung der Zahnärzte ist nach Ansicht von BZÄK und KZBV nicht umsetzbar und setzt viel zu spät an. Sinnvoller ist, Patientenaufklärung, Präventionskampagnen und Früherkennung zu verstärken und weiter auf Mundhöhlenkarzinome weiter als Schwerpunktthema der zahnärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung zu festigen.
Kollektiv statt selektiv
Der Annahme, dass Selektivverträge die Effektivität und Effizienz der Versorgung verbessern könnten, widersprechen die Standesorganisationen. Für eine bessere Patientenversorgung bedürfe es keiner selektiv- vertraglichen Regelungen, sondern der Schaffung von Möglichkeiten, das kollektivvertragliche System der vertragszahnärztlichen Versorgung kreativ fortzuentwickeln. Die Sicherstellung einer bedarfsgerechten, wohnortnahen und flächendeckenden Versorgung dürfe nicht zum Spielball im Vertragswettbewerb werden. Es bestehe die Gefahr eines „Flickenteppichs“ in der Versorgung, womit die freie Arztwahl der Versicherten zur Disposition stehe. „Daher müssen die kollektiven Vertragsstrukturen und körperschaftliche Interessenvertretung bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen für die zahnmedizinische Grundversorgung erhalten bleiben“, heißt es in der Stellungnahme. Selektivverträge, die das Kollektivsystem ersetzen, werden abgelehnt, weil man sie in der vertragszahnärztlichen Versorgung kaum sinnvoll einsetzen kann. Vielmehr sollte die Möglichkeit bestehen, innovative Verträge mit den Kostenträgern abschließen zu können, die die vertragszahnärztliche Versorgung ergänzen.
Für die Zukunft wünscht man sich bei KZBV und BZÄK, dass – anders als beim jetzigen Gutachten – die in der Zahnärzteschaft vorhandene Expertise einbezogen und berücksichtigt wird, um zu einer angemessenen Beurteilung zu kommen. eb