Games machen gesund
Lernen mit ernsthaften Computerspielen soll leichter fallen, weil die Spieler das frisch erworbene Wissen direkt anwenden können und Informationen dadurch nachhaltiger abgespeichert werden. Der Spaßfaktor sorgt für die nötige Motivation. So definiert auch das Onlinelexikon Wikipedia diese Gattung der Videospiele: „Unter Serious Games versteht man digitale Spiele, die nicht primär oder ausschließlich der Unterhaltung dienen, wohl aber derartige Elemente zwingend enthalten. Gemein haben Serious Games das Anliegen, Information und Bildung zu vermitteln. Das sollte in einem möglichst ausgeglichenen Verhältnis zu Unterhaltungsaspekten geschehen.“
Ernsthafte Spiele finden in vielen Bereichen Anwendung. Anfangs wurden sie vor allem beim Militär eingesetzt. Als Trainingsmodule dienten sie dazu, Soldaten in Strategie und Kriegsführung zu schulen – eine Praxis, die bis heute beibehalten wird. Andere Spiele widmen sich politischen und sozialen Themen. Dazu gehören Games, deren Teilnehmer Lösungen für humanitäre Katastrophen und politische Konflikte erarbeiten. Darüber hinaus gibt es unzählige Angebote im Bildungsbereich, vom virtuellen Chemielabor bis hin zu Lernspielen für Erwachsene mit Lese- und Rechenschwäche. Rund acht Prozent aller Serious Games beschäftigen sich mit den Themen Medizin und Gesundheit.
Entwickler entdecken Gesundheitsbranche
Die Entwicklung von Serious Games for Health gewinnt seit dem Jahr 2000 mehr und mehr an Bedeutung. Das schlägt sich in einer zunehmenden Institutionalisierung des Bereichs nieder: 2004 wurde mit dem „Games for Health Project“ das erste Institut gegründet, das sich speziell mit Computerspielen und Gesundheit auseinandersetzt. Drei Jahre später folgte das „Health Games Research Program“ an der University of California in Santa Barbara. In den USA kommen Wissenschaftler und Spieleentwickler seit sieben Jahren auf der „Games for Health“-Konferenz in Boston zusammen. Im Jahr 2007 wurde zum ersten Mal in Deutschland die „Serious Games Conference“ im Rahmen der Cebit in Hannover veranstaltet sowie der „Serious Games Award“ des hessischen Wirtschaftsministeriums vergeben. Unter den Preisträgern 2011 befand sich auch ein Health Game: das Geschicklichkeitsspiel „Dr. Bonneys Zappelix Zaubert“, das in der AD(H)S-Therapie verwendet wird.
Spiele simulieren die Behandlungssituation
Serious Games for Health sind nicht zu verwechseln mit sogenannten Exergames, wie sie Nintendo mit seiner Wii-Sports oder Sony mit Eye Toy anbieten. Letztere steigern zwar die Fitness des Spielers, ein langfristiger Lerneffekt wird jedoch nicht angestrebt.
Computerbasierte Gesundheitsspiele kommen vor allen Dingen in drei Bereichen zum Einsatz: in der Aus- und Fortbildung von medizinischem Personal, zur Unterstützung von Therapien und im Bereich Prävention und Gesundheitsförderung. Dabei werden sie genutzt, um praktische und theoretische Fertigkeiten einzuüben, um leitliniengerechtes Vorgehen zu trainieren und um verschiedene Arbeitssituationen durchzuspielen, zum Beispiel das Notfallmanagement. Neben dem reinen Faktenwissen sollen sie konzeptuelles Denken und Teamgeist fördern.
Ein aktuelles Beispiel für Serious Health Games in der Medizinerausbildung ist das SimMed-Projekt, eine Kooperation der Charité und der Archimedes Solutions GmbH, einer Berliner Agentur für Architektur, Medien, Design und Ausstellungsgestaltung. Gemeinsam entwickeln beide aktuell ein Lernszenario, mit dessen Hilfe Ärzte üben können, unter Zeitdruck zur richtigen Diagnose zu kommen. Trainiert wird an einem Screendesk, einer esstischgroßen Touch-screen-Oberfläche, auf der ein erkranktes Kind in Lebensgröße abgebildet wird und dessen Haut – je nach Übungssituation – Ausschläge oder andere oberflächliche Veränderungen zeigt. Um die Simulation möglichst realistisch wirken zu lassen, spricht und reagiert das Kind altersgemäß. Mit verschiedenen Instrumentensets können die Spieler Untersuchungen und Behandlungen vornehmen oder das Kind bewegen.
Ärzte steigern spielend ihr Wissen
Auch Computer- und Videospiele, die den Gesundheitszustand eines Patienten positiv beeinflussen sollen, zeigen Wirkung. Laut einer Studie von Tom Baranowski, Professor für Kinderheilkunde am Baylor College for Medicine in Houston, konnten bei 24 von 25 untersuchten Videospielen für den Medizin- oder Gesundheitsbereich ein Wissenszuwachs sowie Verhaltens- und Einstellungsänderungen bei den Patienten festgestellt werden. „Die Anwendung von Serious Games in der Gesundheitsversorgung kann für Patienten und deren Angehörige in allen Altersgruppen eine sinnvolle ergänzende Intervention darstellen, die den Behandlungserfolg und die Compliance von Patienten unterstützen kann“, stimmt die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS) zu. Auch in der Prävention lassen sich mit Serious Games Erfolge erzielen.
Fünf Bewerber buhlen um eine Auszeichnung
Einen guten Einblick in das vielschichtige Angebot an therapie- und präventionsunterstützenden Computerspielen gewähren jene fünf Wettbewerbsbeiträge, die im Oktober vergangenen Jahres bei der Konferenz „Games for Health Europe“ in Amsterdam für den mit 200 000 Euro dotierten „Future of Health Award“ nominiert wurden:
• Chain of Foods
In diesem Spiel produzieren die Teilnehmer ihre Nahrung mit eigenen (natürlich virtuellen) Händen selbst – vom Ursprungsprodukt bis hin zum fertigen Gericht auf ihrem Teller. Lernziel ist, gesunde von ungesunden Nahrungsmitteln unterscheiden zu lernen und die Essgewohnheiten im realen Leben anschließend umzustellen.
• Day Dream
Dieses Game richtet sich an Menschen mit schweren und schwersten körperlichen Behinderungen. Es gehört zur Kategorie der sogenannten BCI-Spiele (Brain-Computer-Interfaces), bei denen die Aktionen und Bewegungen auf dem Monitor direkt aus der Übersetzung von Gehirnströmen generiert werden. Konkret versuchen die Spieler in Day Dream, in einem vordefinierten Gebiet für ein gutes Klima zu sorgen.
• Figure Running
Kreativ Joggen heißt das Ziel dieses Spiels. Mittels GPS können die Teilnehmer die von ihnen zurückgelegte Strecke auf einer digitalen Straßenkarte grafisch dokumentieren und so beispielsweise geometrische Figuren oder aber auch komplexere Bilder zeichnen. Der Spaßfaktor des Spiels soll mehr Menschen zum Laufen motivieren, so die Hoffnung der Entwickler.
• Domestic Violence
Zielgruppe dieses Spiels sind junge Frauen, die häusliche Gewalt erleben. Die Teilnahme soll sie psychisch stabilisieren, indem sie lernen, wie sie in verschiedenen Bedrohungssituationen besser reagieren können.
• Heartville
Anfangsszene des Spiels: Im Dörfchen Heartville ist das Chaos ausgebrochen. Die Spielteilnehmer sollen die Ordnung wiederherstellen. Dieses Game richtet sich an Patienten mit schweren psychischen Störungen und soll ihnen helfen, neue Verhaltensformen zu erlernen. Indem sie ihr Verhalten im wahren Leben verbessern, können sie Punkte für das Spiel sammeln.
Die Gewinner des „Future of Health Award“ werden am 2. April 2012 bei der TEDx Maastricht, einer Messe für innovative Ideen im Gesundheitsbereich, bekannt gegeben.
Susanne TheisenFreie Journalistin in Berlininfo@susanne-theisen.de