Intraorbitales Osteom
Tarik Mizziani, Martin Kunkel
Eine 49-jährige Patientin wurde von Ihrer Hausärztin aufgrund eines unklaren Bulbushochstands zur weiteren Abklärung zugewiesen. Anamnestisch ließ sich eruieren, dass die Patientin seit rund einem Jahr eine zunehmende Veränderung der Position des Auges links wahrgenommen hatte. Zusätzlich klagte die Patientin über ein neu aufgetretenes Druckgefühl im Bereich des linken Augapfels, das letztlich der aktuelle Anlass der hausärztlichen Vorstellung war.
Die klinische Untersuchung (Abbildung 1) zeigte eine Bulbuselevation von rund drei Millimetern links mit gleichzeitiger Protrusio bulbi gegenüber dem rechten Bulbus oculi. Die Motilität der Augen war nicht beeinträchtigt und nicht schmerzhaft. Palpa- torisch waren die Bulbi weich und ohne Schmerzsensationen. Eine ziliare Injektion im Sinne einer inflammatorischen Reaktion lag ebenfalls nicht vor. Die periorbitale Gesichtshaut war reizlos. Subjektive Visusstörungen oder Doppelbilder wurden von der Patientin verneint. Ein Sensibilitätsdefizit im Bereich des N. supra- oder infraorbitalis lag nicht vor. Die Vorstellung der Patientin in der Augenklinik des Hauses ergab einen regelgerechten Visusbefund ohne pathologische Tonometrie. In der Computertomografie des Mittelgesichts zeigte sich ein raumfordernder, basalständiger, knochendichter Tumor der linken Orbita ohne Anhalt für einen infiltrativen Charakter (Abbildung 2).
Daraufhin erfolgte in Intubations-narkose die operative Entfernung des Tumors über einen infra- orbitalen Zugangsweg. Der Tumor stellte sich hier glatt begrenzt dar (Abbildung 3) und ließ sich in Piezo-Technik atraumatisch vom knöchernen Orbitaboden trennen. Das Resektat (Abbildung 4) zeigt einen soliden Knochentumor, der vom klinischen Bild einem typischen Osteom entspricht. Die histopathologische Untersuchung bestätigte diese klinische Diagnose. Die Patientin war postoperativ unmittelbar beschwerdefrei.
Diskussion
Osteome sind gutartige Tumoren, die durch ein langsames Wachstum charakterisiert sind. Sie können ihren Ursprung sowohl von der Kompakta als auch von der Spongiosa nehmen und spontan in jedem Lebensalter auftreten. Eine Geschlechtsprävalenz findet sich nicht einheitlich, sondern wird – je nach Studienpopulation – in der Literatur wechselnd für das weibliche oder männliche Geschlecht beschrieben. Die häufigste Lokalisation stellt der Unterkiefer zumeist im Kieferwinkelbereich dar, gefolgt von den Nasennebenhöhlen. Innerhalb der Nasennebenhöhlen ist am häufigsten der Sinus frontalis betroffen (Abbildung 5), Ethmoidalzellen und Kieferhöhle sind mit jeweils circa zwei Prozent eher selten betroffen. Eine Lokalisation in der Orbita ist eine Rarität.
Osteome verbleiben in aller Regel lange Zeit ohne eine klinische Symptomatik und sind häufig radiologische Zufallsbefunde, beispielsweise in Rahmen der Trauma- diagnostik. Mit der Ausdehnung der DVT-Bildgebung (digitale Volumentomografie) in der Zahnheilkunde werden solche Befunde aber zunehmend auch im Rahmen der zahnärztlichen Diagnostik erfasst und müssen dann bei der Befunderstellung auch erkannt werden. Tatsächlich stellen sie damit viel häufiger ein differenzialdiagnostisches als ein therapeutisches Problem dar.
In Abhängigkeit von der Lage und der Wachstumstendenz können Osteotome im Verlauf aber auch klinisch in Erscheinung treten und – wie im vorliegenden Fall – durch ihren raumfordernden Charakter eine Resektion erforderlich machen.
Histomorphologisch handelt es sich um dichtes, reifes Knochengewebe ohne atypische Zellen. Pathogenetisch können Osteome entwicklungsbedingt post-traumatisch oder post-inflammatorisch entstehen, wobei es keine einheitlichen Vorstellungen zur Pathogenese gibt. Die Hypothese einer entwicklungsbedingten Entstehung geht davon aus, dass Osteome aus Überresten persis- tierender embryonaler periostaler Gewebe oder embryonaler Knorpelresiduen entstehen.
Die Erklärungen zur postinflammatorischen oder posttraumatischen Genese gehen von einer entzündlichen oder einer traumatischen Aktivierung periostaler Zellen mit der Fähigkeit zur Knochenbildung aus.
Neben den zahlenmäßig weit überwiegenden isolierten Formen können Osteome aber auch im Zusammenhang mit syndromalen Grunderkrankungen auftreten. Am bekanntesten ist hierbei das Gardner- Syndrom (familiäre adenomatöse Polyposis, FAP). Bei dieser seltenen autosomal-dominanten hereditären Erkrankung treten Osteome der Gesichtsschädel-Region zusammen mit multiplen Adenomen des gesamten Kolons auf. Die Problematik der Erkrankung liegt in der häufigen Entartung der Colon-Adenome, so dass den Osteomen hier vor allem die Bedeutung einer Index-Läsion zukommt.
Anlass zur Entfernung von Osteomen gibt seltener eine klinische Symptomatik als vielmehr die abschließende diagnostische Sicherung, insbesondere, wenn keine Vorbefunde vorhanden sind, die Auskunft über die Wachstumscharakteristik geben können.
Dr. Tarik MizzianiProf. Dr. Dr. Martin KunkelKlinik für Mund-, Kiefer- und plastische GesichtschirurgieUniversitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus BochumIn der Schornau 23-2544892 Bochumtarik.mizziani@ruhr-uni-bochum.demartin.kunkel@ruhr-uni-bochum.de
Fazit für die Praxis
• Osteome des Gesichtsschädels fallen meistens als Zufallsbefunde bei Röntgenaufnahmen des Gesichtsschädels auf.• Mit der Verbreitung der DVT-Bildgebung werden Osteome immer häufiger in der zahnärztlichen Diagnostik erfasst und müssen dann erkannt und im Befund gewürdigt werden.• Klinische Symptome von Osteomen sind selten und werden vor allem durch den raumfordernden Charakter der Läsionen bestimmt.• Multiple Osteome des Gesichtsschädels sollten immer an eine syndromale Erkrankung denken lassen.