Das sinonasale Osteom
Tobias Ach, Elisabeth Huber, Antonios Moralis, Torsten E. Reichert
Eine 21-jährige Patientin stellte sich in der Poliklinik für Kieferorthopädie der Universi-tät Regensburg zur Einleitung einer kieferorthopädischen Behandlung vor. Allgemeinerkrankungen, Allergien oder eine regel-mäßige Medikamenteneinnahme wurden, wie auch spezifische Beschwerden im Zahn-, Mund- und Kieferbereich, verneint. In der veranlassten Röntgendiagnostik (Orthopantomogramm und Fernröntgenseitenaufnahme) zeigten sich die Weisheitszähne retiniert und verlagert. Insbesondere der Zahn 18 imponierte hoch verlagert und von einer zystischen Struktur umgeben. Zusätzlich war eine Verschattung im Bereich der rechten Kieferhöhle manifest, die außerdem den Zahn 17 nach distal verdrängte (Abbildung 1). Eine ergänzende digitale Volumentomografie verifizierte eine knöchern erscheinende Raumforderung im Bereich der rechten Kieferhöhle mit zystischen Anteilen und dem hoch verlagerten Zahn 18 (Abbildung 2).
Die operative Exploration und Entfernung der unklaren Raumforderung wurde in Intubationsnarkose geplant. Der Zugang zur rechten Kieferhöhle erfolgte mittels eines freien Knochendeckels nach Lindorf. Dabei imponierte eine harte, glatt begrenzte Tumormasse, die wegen ihrer Größe und knöchernen Konsistenz nicht in toto reseziert werden konnte (Abbildung 3). Nach Separierung der Raumforderung in einzelne Fragmente (Abbildung 4) konnte diese entfernt werden (Abbildung 5). Analog zur präoperativen Diagnostik zeigte sich der hoch verlagerte Zahn 18 in die Raumforderung integriert, die in diesem Bereich zystisch verändert war. Nach vollständiger Resektion der Tumormasse war eine partielle Destruktion der fazialen Kieferhöhlenwand manifest. Nach Anlage eines Nasenfensters zum unteren Nasengang schloss sich in selber Sitzung die Osteotomie der Zähne 28, 38 und 48 an.
Die histopathologische Aufarbeitung der zystischen Struktur zeigte eine entzündlich überlagerte epitheliale Zyste entsprechend einer follikulären Zyste. Die mikroskopische Begutachtung der knochenharten Kieferhöhlenraumforderung ergab von respiratorischem Flimmerepithel überkleidete Proliferate aus lamellärem Knochen mit einzelnen lymphoplasmazellulären Entzündungszellinfiltraten (Abbildung 6). In Zusammenschau aller Befunde wurde die Diagnose eines sinonasalen Osteoms gestellt.
Diskussion
Differenzialdiagnostisch müssen bei einer Verschattung der Kieferhöhle neben entzündungsbedingten Krankheitsbildern (Sinusitis, Kieferhöhlenempyem), einer Kieferhöhlenmykose und einer traumatischen Genese (Hämatosinus) auch zystische Prozesse sowie benigne und maligne Tumoren in Betracht gezogen werden [Metelmann, Kaduk, 2007].
Während inflammatorische beziehungsweise traumatische Erkrankungen in der Regel über eine klinisch-radiologische Untersuchung sicher diagnostiziert werden können, kann vor allem bei asymptomatischen Raumforderungen eine definitive Klassifizierung letztendlich nur über eine histopathologische Aufarbeitung erfolgen.
Unter einem Osteom versteht man dabei nach aktueller WHO-Definition eine benigne Läsion, bestehend aus gut differenziertem reifem Knochengewebe mit überwiegend lamellärer Struktur von sehr langsamem Wachstum [Jundt, 2010].
Pathogenetisch sind Osteome auf eine posttraumatische beziehungsweise post-inflammatorische reaktive Knochenneubildung oder auf eine Ossifikation von bereits vorhandenen knorpeligen Vorläuferläsionen zurückzuführen.
Als primäre Manifestationsorte von Osteomen sind in erster Linie Rippen, Becken, Kiefer und lange Röhrenknochen wie Femur oder Tibia zu nennen [Jundt, 2010].
Bei der Klassifizierung von Osteomen werden drei Gruppen unterschieden [Schajowicz, 1994]:
1. Klassisches Osteom: Dieses findet sich im Bereich der bindegewebig präformierten Schädelknochen (Tabula externa) sowie in der Nasennebenhöhlenregion. Die bevorzugte Lokalisation hierbei sind der Sinus frontalis und die Cellulae ethmoidales. Vereinzelt finden sich Osteome auch – wie im beschriebenen Fall – in der Kieferhöhle.
2. Juxtakortikales/paraossales Osteom: vornehmlich an der Außenfläche der langen Röhrenknochen
3. Medulläres Osteom (Enostom): in spongiösem Knochen
Klassische Osteome manifestieren sich vornehmlich im vierten und im fünften Lebensjahrzehnt mit einer leichten Bevorzugung des männlichen Geschlechts. Treten Osteome bereits in der Pubertät oder im jungen Erwachsenenalter auf, muss auch an das Vorliegen eines Gardner-Syndroms gedacht werden, insbesondere bei multiplem ossärem Befall [Jundt, 2010; Rocha, 2011]. Dabei handelt es sich um eine autosomal-dominante Form der familiären adenomatösen Polyposis, die neben multiplen Osteomen vor allem mit Darmpolyposis, Epidermoidzysten, einer Hypertrophie des retinalen Pigmentepithels und endokrinen Störungen assoziiert ist. In diesem Zusammenhang ist anzuführen, dass sich die extraossären Symptome häufig erst nach einer Latenzzeit von weiteren zehn bis 15 Jahren zeigen [Jundt, 2010], worüber die Patienten aufgeklärt werden sollten.
Nach aktueller Literatur präsentieren zehn Prozent der Bevölkerung Osteome im Becken, in der Wirbelsäule oder in den Rippen, sodass diese in diesen Regionen als Normvariante einzuordnen sind [Jundt, 2010].
Osteome im Bereich der Nasennebenhöhlen sind wesentlich seltener und werden bei 0,5 bis ein Prozent der Nasennebenhöhlenaufnahmen als Zufallsbefund diagnostiziert. Mit circa 80 Prozent bildet dabei der Sinus frontalis den Hauptmanifestationsort im Nasennebenhöhlensystem, gefolgt von den Cellulae ethmoidales [Jundt, 2010; Hosemann, 2010]. Demgegenüber sind Osteome in den Kieferhöhlen als Raritäten zu betrachten [Rocha, 2011]. Radiologisch kommen Osteome als kugelige bis ovale Verschattungen zur Darstellung. Gelegentlich kann auch eine ringförmige Schichtung der einzelnen Mineralisierungszonen beobachtet werden [Jundt, 2010].
Klassische Osteome der Nasennebenhöhlen bleiben in der Regel lange Zeit symptomfrei [Jundt, 2010; Hosemann, 2010] und sind somit häufig – wie auch in diesem Beispiel – Zufallsbefunde im Rahmen einer radiologischen Untersuchung [Woldenberg, 2005].
Erst bei Größenprogredienz entwickeln sich aufgrund der Sekretabflussstörung und der zunehmenden mechanischen Druckwirkung unspezifische Kopfschmerzen respektive Sinusitiden [Jundt, 2010; Hosemann, 2010]. In extremen Fällen ist auch der Einbruch eines Kieferhöhlenosteoms in die Orbitahöhle mit damit verbundener Diplopie und Visusverlust beschrieben worden [Park, 2006].
Die Therapie beinhaltet die Abtragung und histopathologische Begutachtung des Osteoms. Damit soll vor allem ein malignes Geschehen im Sinne eines Osteosarkoms, das speziell im Initialstadium ähnliche klinisch-radiologische Charakteristika aufweisen kann, sicher ausgeschlossen werden [Rocha, 2011]. Die Entfernung von Osteomen der Kieferhöhle kann dabei bei kleineren Tumoren über einen endonasalen Zugang durchgeführt werden. Bei größeren Tumoren empfiehlt sich hingegen ein osteoplastischer Zugang zur Kieferhöhle, um eine vollständige Resektion der Raumforderung zu gewährleisten. Größere Osteome müssen hierbei in aller Regel – wie im vorliegenden Fall – in einzelne Fragmente zerlegt und anschließend geborgen werden [Jundt, 2010; Hosemann, 2010]. Die histopathologische Aufarbeitung ergibt vornehmlich lamellären Knochen, der als kompakter Knochen beziehungsweise in Form von Trabekeln angeordnet ist. Zwischen den Trabekeln zeigen sich Fett- und Bindegewebsanteile, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Vor allem bei deutlich ausgebildetem Bindegewebe kann sich die Abgrenzung zum ossifizierenden Fibrom bisweilen schwierig gestalten [Jundt, 2010]. Differenzialdiagnostisch kommen darüber hinaus Osteoblastome, Odontome und Osteosarkome in Betracht [Rocha, 2011].
Dr. Tobias Ach
Dr. Dr. Antonios Moralis
Prof. Dr. Dr. Torsten E. Reichert
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Universität Regensburg
Franz-Josef-Strauß-Allee 11
93053 Regensburg
Tobias.Ach@klinik.uni-regensburg.de
Dr. Elisabeth Huber
Institut für Pathologie
Universität Regensburg
Franz-Josef-Strauß-Allee 11
93053 Regensburg
Info
Fazit für die Praxis
• Differenzialdiagnostisch müssen bei einer Verschattung der Kieferhöhle entzündliche, traumatische und neoplastische Prozesse bedacht werden.
• Manifestieren sich Osteome bereits im ersten oder im zweiten Lebensjahrzehnt, muss das Vorliegen eines Gardner-Syndroms erwogen werden.
• Solide Prozesse in der Kieferhöhle sollten entfernt und einer histopathologischen Begutachtung zugeführt werden, um einen malignen Prozess auszuschließen.