Ein Konzept mit Breitenwirkung
„Zu uns kann jeder kommen – die Unterversorgten, die Unterversicherten, die Unversicherten. Niemand wird weggeschickt.“ So beschreibt Dr. Lawrence Johnson das Hauptprinzip seines Gesundheitszentrums. Er ist Medizinischer Direktor des „Park West Health Center“ in Baltimore, Maryland, an der Ostküste der USA. Unter einem Dach finden sich dort Zahnmedizin, Innere Medizin, Jugend- und Kindermedizin, Gynäkologie und Geburtshilfe, Gesundheitsdienste für Frauen sowie HIV- und Arzneimittelversorgung. „Park West“ ist Versorgungseinrichtung und nebenbei auch Ausbildungsstätte für Ärzte im Praktikum.
Das Zentrum ist eine Non-Profit-Organisation. Es bildet einen wesentlichen Baustein in der Gesundheitsversorgung unterprivilegierter Bevölkerungsgruppen in einem sozialen Brennpunkt im Nordwesten Baltimores. Dort sind vier Fünftel der Bewohner Afroamerikaner. Die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss ist doppelt so hoch wie im Durchschnitt des Bundesstaats. Die Arbeitslosigkeit ist doppelt so hoch, das jährliche Durchschnittseinkommen mit 30 000 Euro ein Viertel niedriger als in den USA insgesamt. Deprimierend ist die Kriminalitätsrate im Viertel „Park Heights“, wo das Gesundheitszentrum liegt. In dieser „Neighborhood“ – umgangssprachlich „Hood“ genannt – wird dreimal häufiger ein Fahrzeug gestohlen und neunmal häufiger jemand ermordet als im Durchschnitt der Vereinigten Staaten. Kein Wunder, dass viele Bewohner weggezogen und manche Türen und Fenster zugenagelt sind.
Gesundheitszentrum gegründet
Umso wichtiger ist die Arbeit des Gesundheitszentrums. „Es fing im Jahr 1972 damit an, dass eine Gemeindekrankenschwester zusammen mit Gleichgesinnten für Menschen im Viertel, die zu medizinischer Versorgung sonst kaum einen Zugang gehabt hätten, diese Versorgung aufbaute. Anfangs nutzten sie das Untergeschoss einer Kirche“, erläutert Dr. Johnson. Mittlerweile, nach 40 Jahren, sieht das anders aus. Das „Park West Health System“ verfügt über vier Standorte. Damals wie heute ist es das Ziel, Menschen aus der Gegend in die Lage zu versetzen, ihre eigene Gesundheitsversorgung zu planen und für die Verwirklichung Mittel bereitzustellen.
Die Patienten entscheiden mit
Tatsächlich ist die Einbeziehung der Betroffenen in ihre Gesundheitsbelange hier weit ausgebaut. Der Vorstand muss zu mindestens 51 Prozent aus Patientenvertretern bestehen. Der Vorstandsvorsitzende Allen J. Bennett, Apotheker und Public-Health-Spezialist, erläutert, dies sei die Voraussetzung dafür, den Status eines bundesstaatlich anerkannten Gesundheitszentrums (Federally Qualified Health Center, FQHC) zu erlangen.
Damit geht die Möglichkeit einher, gegenüber dem Sozialversicherungsprogramm Medicare für die Behandlung von über 65 Jahre alten und behinderten Patienten abzurechnen. Das Gleiche gilt für das Programm Medicaid, das die Gesundheitsversorgung für Familien mit niedrigem Einkommen organisiert. Hinzu kommt, dass der Staat einige Kosten übernimmt und die Möglichkeit eröffnet, Medikamente und Impfstoffe zu reduzierten Preisen einzukaufen. In Maryland gibt es 16 solcher FQHCs mit 95 Standorten.
Wie wirkt es sich aus, wenn die Patienten selbst über die Geschicke des Gesundheitszentrums mitbestimmen? „Bei manchen Einrichtungen gut, bei anderen eher schlecht. Das hängt von den Beteiligten ab. In den „Park West Gesundheitszentren“ sind wir sehr zufrieden, weil wir einen informierten und engagierten Vorstand haben. Es herrscht eine offene Kommunikation. Die meisten unserer Patientenvertreter sind selbst Patienten der Einrichtung, oder sie waren es. Sie nehmen die Einrichtung in Anspruch, ohne dass die Beschäftigten immer wissen, dass sie zum Vorstand gehören. Auf diese Weise erfahren die Vorstandsmitglieder, was sich wirklich abspielt: Werden ich als Patient tatsächlich nicht von oben herab behandelt, wie es sein soll? Wird mir das ‚Wir kümmern uns‘ vermittelt?“
Guter Service für die Gemeinschaft
Der leitende Zahnarzt, Dr. Steward Butler, begrüßt den Besucher aus Deutschland sehr herzlich in seiner Abteilung. Er und sein Kollege Dr. Elliot Einbinder arbeiten Vollzeit, die Kollegin Dr. Hyathinta Dunstan Teilzeit. Alle drei haben in Baltimore studiert, damit an der ältesten Dental School der Welt – gegründet 1840. Butler nahm 1968 als einer der ersten afroamerikanischen Studenten sein Studium auf. Mittlerweile machen farbige Absolventen etwa zehn Prozent aus. Im Vergleich zum Bevölkerungsanteil in Baltimore, wo fast zwei Drittel schwarz sind, ist das trotzdem wenig. Afroamerikanern gelingt es demnach vergleichsweise selten, den Weg zum Zahnmedizinstudium zu beschreiten. Da heißt es Mut machen, sich von Widrigkeiten nicht abschrecken zu lassen. Das ist wohl der Hintergrund für Slogans wie „Schwarz sein und stolz darauf!“, wie es am Eingang der Sozialstation heißt.
Sicherlich könnten die Zahnärzte in niedergelassener Praxis ein höheres Einkommen erzielen als im Gesundheitszentrum. Sie bringen dort aber ihr besonderes soziales Engagement ein. Außerdem finanziert das Gesundheitszentrum ihnen die in den USA teure Berufshaftpflichtversicherung. Einbinder berichtet über einen zusätzlichen Anreiz. Ihm gewährt der Bundesstaat drei Jahre lang einen ansehnlichen steuerfreien Zuschuss zur Rückzahlung seines Studiendarlehens. Jährlich erhalten sechs Zahnärzte in Maryland einen solchen Ansporn für die Tätigkeit in unterversorgten Gebieten, sei es auf dem Land oder in der Stadt.
Im „Park West Gesundheitszentrum“ stehen fünf Zahnarztstühle zu Verfügung. Zwei Röntgengeräte sind in Schränke eingebaut und nach rechts oder links zur jeweiligen Behandlungseinheit schwenkbar. Panoramaröntgen- und Entwicklungsgerät, Autoklav und Laborarbeitsplatz sind getrennt untergebracht. Viel Platz ist nicht. Die Zahnärzte tragen die Anamnese und die Behandlungsfortschritte sorgfältig in Karteikarten ein. Demnächst wird die Patientendokumentation auf ein elektronisches System umgestellt. Das Leistungsspektrum im Gesundheitszentrum ist anders als in der niedergelassenen Praxis. Unter den 20 häufigsten Leistungen finden sich neun diagnostische und acht präventive, nur zwei therapeutische Leistungen: einflächige Komposit- und Amalgamfüllungen. Eine prothetische Versorgung ist selten. Sowohl die Zahnmedizinischen Fachangestellten als auch die Zahnärzte führen Zahnreinigungen durch. Nach Fluoridapplikation und einer kurz gefassten Mundhygieneinstruktion erhält der Patient eine Zahnbürste.
Patienten kommen immer wieder
Anthony Garrett, Verkäufer in einem Schuhladen, kommt herein, um einen Termin auszumachen. Schon seit Kinderzeiten ist er Patient in der Zahnstation des Park West Gesundheitszentrums. Er kommt regelmäßig zu Kontrolle und zum Zahnsteinentfernen. Vor ein paar Jahren waren einige Füllungen fällig. Er ist absolut zufrieden mit dem Service. Nicht zuletzt, weil die finanziellen Fragen geklärt sind. Sein Arbeitgeber hat eine Versicherung abgeschlossen, die seine Zahnbehandlung umfasst. Der junge Schwarze wohnt in der Umgebung. „Wie lebt es sich im Viertel?“ Er zögert etwas mit der Antwort. „Ich bin hier aufgewachsen, da ist man daran gewöhnt.“
Kiara Karim, Altenpflegehelferin und alleinerziehende Mutter eines neunjährigen Sohnes, ist ebenfalls im Viertel aufgewachsen. „Meine ganze Familie kommt her, alle sind sehr zufrieden. Meine Schwester kommt mittlerweile auch wieder hierher. Sie war eine Zeit lang nicht versichert. Während dieser Zeit ging sie nicht zum Zahnarzt. Sie hat keine Kinder, und in dem Fall ist es schwer, Unterstützung von der Regierung wie Medicaid zu erhalten. Nun aber kommt sie wieder hierher ins Gesundheitszentrum.“
Die Patienten stammen keineswegs nur aus der direkten Umgebung. Wer einmal Patient war, kommt wieder, auch wenn er unterdessen weiter weg gezogen ist. Betagte und behinderte Patienten können Fahrdienste oder eine Taxifahrt in Anspruch nehmen, um hergebracht zu werden.
Versicherungen und andere Lösungen
Möchte jemand einen Termin vereinbaren, lautet eine der ersten Fragen von Deidra Johnson, der Rezeptionistin: „Welche Krankenversicherung haben Sie?“ „Es ist schon schlimm – die Versicherung zahlt dieses nicht, zahlt das nicht …“, klagt Butler. Auch im Gesundheitszentrum haben die Patienten häufig Zuzahlungen zu leisten. Allerdings richten sich diese dort nach Familiengröße und -einkommen. „Gleitende Gebührenskala“ nennt sich das. Die Patienten legen Belege vor, die geprüft werden. Aber selbst für Einwanderer ohne Papiere gibt es Lösungen. Sie werden ermuntert, einen Antrag zu stellen.
Bei Mr. Jones, einem älteren Herrn, dem im vierten Quadranten bereits die meisten Zähne fehlen, mussten drei untere Frontzähne entfernt werden. Die Extraktionen kosteten etwa 60 Euro je Zahn. Mr. Jones zahlt bar an der Rezeption. Wie geht es weiter? Eine Prothese würde knapp 600 Euro kosten, das dürfte für ihn kaum leistbar sein.
Wie steht es insgesamt um die Mundgesundheit in Maryland? Zwar erhalten 93 Prozent der Bewohner fluoridiertes Trinkwasser. Aber dennoch haben 30 Prozent der Achtjährigen mindestens eine Füllung, und ebenfalls 30 Prozent haben mindestens einen kariösen Zahn, wobei der Prozentsatz je nach ethnischem Hintergrund zwischen 17 und 46 Prozent variiert. Auch die Präventionsleistungen sind unterschiedlich verteilt. Während nur 17 Prozent der schwarzen Kinder Versiegelungen haben, trifft das auf 37 Prozent der weißen, nicht Spanisch sprechenden Kinder zu.
Mundgesundheitsziele aufgestellt
Maryland ist der Staat mit dem höchsten Durchschnittseinkommen der USA. Die Zahnarztdichte ist hoch. Über 4 000 Zahnärzte sind tätig, hinzu kommen 2 600 Dentalhygienikerinnen. Der im sozialen und medizinischen Bereich fortschrittliche Bundesstaat hat Ziele für die Mundgesundheit bis ins Jahr 2015 aufgestellt.
Vertreter des Gesundheitsministeriums und der Universität haben einen konkreten Plan erarbeitet und in einer breiten „Aktionskoalition für Zahnmedizin“ abgestimmt. An dieser „Maryland Dental Action Coalition“ beteiligten sich unter anderem die Zahnärztekammer, Zahnärzte und Dentalhygienikerinnen, Behindertenorganisationen, die „Liga für Schulgesundheit an Schulen“, die Wohnverwaltungsbehörde sowie die Vor-Ort-Dienste der Gemeinden und Stadtteile.
Als zu lösendes Problem werden Defizite der Mundgesundheit bei Behinderten, Kindern und Erwachsenen mit niedrigem Sozialstatus und Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen benannt. Die Vision ist, alle Einwohner Marylands in die Lage zu versetzen, einen Zahnarzt am Ort zu finden, der sie zeitnah behandelt.
Bis 2015 soll ein systematisches Präventionsprogramm für Erkrankungen und Verletzungen im Mund- und Kieferbereich entwickelt und eingeführt sein. Gesetzt wird auf die Partnerschaft von privaten, nichtstaatlichen sowie staatlichen Akteuren. Das Programm soll standardisiert und institutionell ab- gesichert sein und – so die Dental Action Coalition – „in ganz Maryland alltägliche Realität werden.“ Die Beteiligten möchten das Mundgesundheitswissen der Bevölkerung fördern, indem auch andere Professionen im Gesundheitswesen geschult werden, gleichlautende Botschaften zu verbreiten und klar zu kommunizieren, wie wichtig Mundgesundheit ist. Die Fähigkeit der Angehörigen der Mundgesundheits- berufe, mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zu arbeiten, soll durch Training ihres kultursensiblen professionellen Verhaltens gestärkt werden.
Die „Mundgesundheitskoalition“ strebt an, das Bewusstsein über evidenzbasierte Präventionsstrategien zu verbessern: lokale und systemische Fluoridierung sowie Fissurenversiegelung.
Bedürftige im Zentrum des Handelns
Wie ordnet sich das Park West Gesundheitszentrum in die Gesamtstrategie ein? Anfangs wähnte sich der Besucher aus Deutschland dort wohl eher am Rand des Gesundheitswesens. Aber Zahnärzte, Staat und Zivilgesellschaft haben die Fürsorge für die besonders Bedürftigen ins Zentrum ihres Wollens gestellt. Dafür ist die Arbeit des Gesundheitszentrums tatsächlich zentral. Vorbildlich ist dort die Mitwirkung der „Community“. Versorgungseinrichtungen wie die dortige werden es allerdings allein nicht leisten können, die Mundgesundheitsprobleme nachhaltig und breitenwirksam anzugehen. Es bleibt dort Herausforderung, Prävention und Gesundheitsförderung außerhalb der Mauern von Zahnarztpraxen und Gesundheitszentren erheblich zu verstärken.
Dr. med. dent. Harald Strippel,M.Sc. in Dental Public HealthWrangelstr. 17a45472 Mülheimschaestrip@aol.com
Info
Ringen um eine bessere Versorgung in den USA
Der Kongressabgeordnete für Maryland, Elijah E. Cummings, hat es sich zu seinem persönlichen Anliegen gemacht, eine bessere zahnmedizinische Versorgung für alle Teile der Bevölkerung zu erreichen. Auslöser war der Todesfall eines zwölfjährigen schwarzen Jungen, Deamonte Driver, der 2007 an einem odontogenen Hirnabszess verstarb. Die „Washington Post“ schrieb:
Eine Routineextraktion hätte ihn wohl retten können. Wenn seine Familie nicht die Medicaid-Versicherung verloren hätte. Wenn ein Medicaid-Zahnarzt nicht so schwierig zu finden gewesen wäre.“
Der Fall schlug hohe Wellen mit dem Effekt, dass sich tatsächlich Verbesserungen ergaben. Beispielsweise erweiterte Maryland 2008 den Kreis der Medicaid-Berechtigten. Dort, wie in anderen Bundesstaaten, sind die Probleme aber keinesfalls bewältigt. Im vergangenen Jahr legte die maßgebliche nationale Forschungseinrichtung, das Institute of Medicine, eine auch weiterhin ernüchternde 350-Seiten-Analyse vor: In den USA erhalten fast fünf Millionen Kinder keine notwendige zahnmedizinische Versorgung, weil ihre Familien diese nicht bezahlen konnten. 33 Millionen US-Bürger leben in unterversorgten Regionen. Nur 38 Prozent der Rentner sind zahnmedizinisch versichert.
Der streitbare unabhängige US-Senator Bernard Sanders legte daraufhin im Juni 2012 einen Gesetzentwurf vor, um den Zugang von besonders gefährdeten und unterversorgten Bevölkerungsgruppen zur zahnmedizinischen Versorgung zu verbessern” und für die „Krise der Zahnmedizin in den USA“ Abhilfe zu schaffen.
Die Amerikanische Zahnärztevereinigung (ADA) begrüßte in einer umfangreichen Stellungnahme „Senator Sander bei diesem Kampf“. Die ADA unterstützte die Ausdehnung von Medicaid auf weitere Gruppen unter den Erwachsenen, auf behinderte und alte Menschen. Die Bundesstaaten sollten verpflichtet werden, den Zahnärzten für die Behandlung dieser Bevölkerungsgruppen mindestens 70 Prozent der im Land üblichen Honorare zu zahlen, die Verwaltungsabläufe zu beschleunigen und organisatorische Unterstützung zu gewähren.
Die Vertreter der Zahnärzteschaft befürworteten die Entwicklung von Fallmanagement-Programmen. Sie brachten die selbst erstellte Konzeption eines neuen Berufsbilds „Zahngesundheitskoordinator auf kommunaler Ebene“ ein. Dieser soll neben den Koordinationsaufgaben auch Mundgesundheitserziehung und einfache Präventionsleistungen erbringen. Auch befürwortete die ADA die Fortbildung von Ärzten, Krankenpflegern und Apothekern zum Durchführen von Mundgesundheitserziehung, lokaler Fluoridanwendung und Mundgesundheitsscreening.
Die Trinkwasserfluoridierung als Eckstein einer breit wirkenden Kariespräventionsstrategie solle ausgebaut, die Medicaid-Versicherung jedoch nur für Bedürftige ausgeweitet werden. Nicht einverstanden war die Zahnärztevereinigung mit der Idee, das Gesundheitsministerium solle landesweit festlegen, wer als Anbieter von zahnmedizinischen Gesundheitsleistungen fungieren dürfe. Dies könne die Rolle des Zahnarztes als desjenigen unterminieren, der diagnostiziert und einen Behandlungsplan entwickelt.
Sehr klar propagiert die nationale Zahnärztevereinigung einen Public-Health-Ansatz, um mit den unbehandelt bleibenden Mundkrankheiten Schluss zu machen. Dieser Ansatz erfordere einen grundlegenden Wandel weg vom derzeitigen Modell der „chirurgischen Intervention“ hin zu einem, bei dem Krankheit vor dem Ausbrechen verhindert wird. „Die Nation wird sich niemals aus der ‚stillen Epidemie‘ der Mundkrankheiten herausbohren, herausfüllen oder herausextrahieren können.“
Die Gesundheitsversorgung ist auf der nationalen Ebene ein heiß umstrittenes Thema (siehe zm 15/2012). Mitt Romney, der bei den Präsidentschaftswahlen gemessen an den Wählerstimmen nur knapp unterlegene Kandidat der Republikaner, meinte, die rund 50 Millionen Unversicherten hätten doch Zugang zur Gesundheitsversorgung. Und zwar zur Notfallversorgung. Die „New York Times“ kommentierte, er übersehe, dass dies die teuerste Art der Versorgung sei.
Tatsächlich ist es ökonomisch ineffizient, wenn Krankheiten verschleppt und schwere Komplikationen dann in den extrem kostenaufwendigen „Emergency Rooms“ behandelt werden müssen. Deamonte Driver, der oben erwähnte Junge mit einer apikalen Parodontitis und nachfolgender Logeninfektion, wurde übrigens notversorgt. Danach folgte eine längere Zeit im Krankenhaus. Insgesamt kostete das 150 000 Euro.hs
Info
Baltimore – „Stadt mit Charme“
Baltimore ist mit 620 000 Einwohnern die größte Stadt im Bundesstaat Maryland und dessen wirtschaftliches Zentrum. 1729 in einer lang gestreckten Bucht des Atlantik als Hafen für den Tabakhandel gegründet, wuchs Baltimore rasch. Die erste Eisenbahnlinie der USA wurde hier gegründet. Hinzu kamen Schiff- und Eisenbahnbau, Stahlverarbeitung und Autoindustrie.
Der Niedergang dieser Industriezweige in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts kostete die Stadt Zehntausende gering qualifizierter, aber gut bezahlter Jobs und ein Drittel der Einwohner. Dennoch blieb Baltimore ein wichtiger Industriestandort. Außerdem etablierte sich die Stadt zunehmend als Dienstleistungszentrum für die ganze Region. Der Gesundheitssektor trägt wesentlich dazu bei. Beispielsweise ist die Johns Hopkins University in Baltimore eine der weltweit angesehensten Forschungseinrichtungen und Ausbildungsstätten für Ärzte und Public-Health-Fachleute.
Touristisch bietet Baltimore eine Menge: Das Meeresaquarium ist eines der größten der Welt, die Stadt verfügt über sehenswerte Museen, eine historische Festung sowie den attraktiven Innenhafen mit Restaurants, Bars und Veranstaltungsstätten. Eine „Stadt mit Charme“, so die Eigenwerbung.
Die TV-Serie „The Wire“, die auch hier- zulande lief und als Meilenstein der Fernsehgeschichte gelobt wurde, porträtierte dagegen die dunklen Seiten Baltimores – Armut, Drogensucht und Kriminalität. Die Stadtverwaltung leugnet die Existenz dieser Probleme nicht und packt sie aktiv an. Regiert wird Baltimore von der Demokratischen Partei. Die farbige Bürgermeisterin Baltimores, Stephanie Rawlings-Blake, sieht ihre Hauptaufgabe darin, Baltimore attraktiver zu machen und für den Zuzug neuer Einwohnern zu sorgen.hs