Das Eagle-Syndrom
Tarik Mizziani, Martin Kunkel
Ein 24-jähriger Patient stellte sich im Notdienst mit starken Halsschmerzen stechenden Charakters und Schluckbeschwerden vor. Er gab an, dass diese seit circa drei Jahren rezidivierend bestehen würden. Zum Vorstellungszeitpunkt war es dem Patienten nicht mehr möglich, den Kopf schmerzfrei zu wenden oder Nahrung aufzunehmen, ohne stechende Schmerzsensationen während des Schluckakts zu haben. Die Einnahme unterschiedlich potenter Analgetika und Physiotherapien im Lauf der Jahre brachten dem Patienten keine längerfristige Beschwerdefreiheit.
Bei Erstkontakt war der Patient in einem mäßigen Allgemein- und guten Ernährungszustand. Es lagen keine Allgemeinerkrankungen vor.
Die extraorale Untersuchung zeigte eine linksbetonte beidseitige Druckdolenz im Trigonum caroticum ohne rubor und calor und ohne Einschränkung der horizontalen Kopfbeweglichkeit. Ein sensibel-neurologisches Defizit der Kopf-Hals-Region lag nicht vor. Palpatorisch war eine Krepitation mit Druckdolenz im lateralen Anteil des Os hyoideum links wahrzunehmen. Intraoral gab es keinen Hinweis auf eine dentogene Schmerzursache, insbesondere im Sinne eines dentogenen entzündlichen Geschehens.
Zur bildgebenden Diagnostik erfolgte die Darstellung des Viscerocraniums mittels digitaler Volumentomografie. Hier zeigten sich sehr ausgedehnte Megastyloides beidseits mit der typischen Lagebeziehung zum Os hyoideum (Abbildung 1).
In Anbetracht der mehrjährigen Anamnese mit Resistenzen gegenüber analgetischer und antiphlogistischer Therapie, der zunehmenden Einschränkung des Patienten im Alltag und der erheblichen abnormen Länge der Processus styloidei wurde dem Patienten die Resektion empfohlen. Der Patient konnte sich zunächst nicht zu einer operativen Intervention entschließen und verfolgte zunächst weitere konservative Therapieansätze (Physiotherapie / Schienentherapie bei CMD). Diese erbrachten aber keine Besserung. Nach vier Monaten erfolgte schließlich in Intubationsnarkose die Reduktionsplastik der Processus styloidei über einen lateralen zervikalen Zugang (Abbildung 2). Rund sechs Wochen nach der Operation war der Patient bis auf ein leichtes Druckgefühl beim „Kraftsport“ beschwerdefrei.
Diskussion
Das „Eagle-Syndrom“ ist nach dem Hals-Nasen-Ohrenarzt Watt Weems Eagle benannt. Es handelt sich um einen bi- oder unilateralen Symptomenkomplex, der sich aus Dysphagien, unspezifischen Gesichtsschmerzen, Odynophagien und schmerzhaften Kopfwendebewegungen zusammensetzen kann. Ferner werden Hypersalivation, Globusgefühl und schmerzhafte Zungenbewegungen beschrieben.
In einer Publikation aus dem Jahr 1937 führte Eagle erstmalig in der medizinischen Literatur den Begriff der „Stylalgia“ ein. Er beschrieb zwei Fälle von Patienten mit Schmerzsensationen der Kopf-Hals-Region, die mit einer Reduktionsplastik der Processus styloidei therapiert wurden. Ursächlich machte Eagle für dieses Krankheitsbild eine abnorme Länge des Processus styloideus mit oder ohne Kalzifikation des ligamentären Styloidkomplexes verantwortlich.
Diese anatomischen Strukturen (Processus styloideus, Ligamentum stylohyoideum, Cornu minus des Os hyoideum) leiten sich embryogenetisch vom Reichert-Knorpel ab, einem Derivat des zweiten Kiemenbogens. Der Processus styloideus zieht vom Os temporale anterior des Processus mastoideus lateral entlang der Tonsillenloge in enger Lagebeziehung zur A. carotis interna und externa. Er kann das Os hyoideum bei abnormer Länge erreichen. Die durchschnittliche Länge wird in der Literatur mit 20 Millimetern angegeben. Varianten bis zu einer nahezu vollständigen Knochenspange sind möglich (Abbildung 3). Als ursächlich für die Schmerzproblematik wird eine mechanische Irritation der Carotisscheide im Bereich des perivaskulären sympathischen Geflechts angesehen, die Schmerzen im seitlichen Halsareal triggern kann.
Therapeutisch werden konservative Maßnahmen mit Kortikoidinjektionen in die Tonsillenloge, Neuroleptika oder – wie im vorliegenden Fall – bei therapierefraktären Beschwerden die Reduktionsplastik des Processus styloideus eingesetzt.
Relevant für die zahnärztliche Praxis ist das Eagle-Syndrom als seltene, klinisch schwer differenzierbare Schmerzursache, das aber in der einfachen Panorama-Schichtaufnahme in der Regel bereits als Blickdiagnose erfassbar ist.
Dr. Tarik Mizziani
Prof. Dr. Dr. Martin Kunkel
Klinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie
Ruhr-Universität Bochum
Knappschaftskrankenhaus Bochum-Langendreer
In der Schornau 23-25
44892 Bochum
Fazit für die Praxis
• Unklare Schmerzsensationen in der Kopf-Hals-Region bedürfen generell einer diagnostischen Klärung. Die Diagnostik erfolgt zum einen mit dem Ziel, lokale, therapierbare Schmerzursachen zu erkennen, zum anderen aber auch, um Neoplasien, die im Verlauf der großen Trigeminusäste auftreten können, auszuschließen.
• Das Eagle-Syndrom ist eine seltene Schmerzursache, ist aber in der Regel als Blickdiagnose im Orthopantomogramm erkennbar.
• Differenzialdiagnostisch kommen weitere seltene Ursachen, wie Neuralgien der Hirnnerven, zum Beispiel die Glossopharyngeus-Neuralgie infrage.
• Sind die Schmerzen trotz konservativer Therapiemethoden therapierefraktär, ist die Resektion indiziert.