Wettbewerb statt Einheitsbrei
In dem Antrag „Gesundheit und Pflege solidarisch finanzieren“ stellt die Fraktion Die Linke die Eckpunkte ihres Konzepts einer Bürgerversicherung dar. Mit ihr soll nach Vorstellung der Linken eine für alle umfassende, zuzahlungsfreie Gesundheitsversorgung im Rahmen des Sachleistungsprinzips garantiert werden, die alle erforderlichen Leistungen umfasst und den medizinischen Fortschritt einbezieht. Mitglied soll jeder in Deutschland lebende Bürger werden, die private Krankenversicherung (PKV) soll nur noch Zusatzleistungen anbieten. Zur Finanzierung sollen alle Einkommensarten, also neben Angestellten auch Freiberufler und Selbstständige herangezogen werden. Für alle gesetzlichen Krankenkassen (GKV) soll ein bundesweit einheitlicher Beitragssatz gelten, das Umlageverfahren und der morbiditätsbedingte Risikostrukturausgleich sollen weiterentwickelt werden.
Streit der Experten
Die von der Unionsfraktion in der Anhörung befragten Experten hielten die Bürgerversicherung wenig überraschend für nicht umsetzbar. Sie warnten davor, dass die Abschaffung der PKV über 60 000 sozialversicherungspflichtige Jobs kosten könnte. Im Antrag der Linken würden laut Experten auch die bestehenden solidarischen Elemente in der Sozialversicherung verschwinden, etwa durch die Forderung eines Rücklagenverbots.
Das sei jedoch gegenüber den nachfolgenden Generationen unsolidarisch. Auf der anderen Seite plädierte die Gewerkschaft ver.di ebenso wie die BAG Selbsthilfe, der AWO Bundesverband und der Sozialverband VdK für eine Bürgerversicherung. Der Einzelsachverständige Franz Knieps, ehemaliger Abteilungsleiter unter Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), sagte, dass derzeit kein Systemwettbewerb zwischen PKV und GKV existiere: Der Zugang zur PKV stehe nur einem sehr eingeschränkten Personenkreis offen und werde für viele zu einer Entscheidung auf Lebenszeit. Der Wettbewerb innerhalb der GKV sei dagegen intensiver, weil Versicherte innerhalb bestimmter Fristen ihre Krankenkassen wechseln könnten. Für Familien und Ältere sei der Leistungskatalog der GKV teilweise umfassender formuliert.
In der Anhörung wurde klar, dass die Bürgerversicherung nicht ad hoc eingeführt werden kann, da es erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gibt, was beispielsweise den Bestandsschutz und die Fürsorgepflicht betrifft. Der Beamtenbund sieht in der Abschaffung der Beihilfe unter Umständen eine „massive Verletzung der staatlichen Fürsorgepflicht“, was zu einem Gang nach Karlsruhe führen könnte.
Bekenntnis zur Dualität
In ihrer Stellungnahme zur Anhörung lehnen BZÄK und KZBV das im Antrag der Linken skizzierte Bürgerversicherungs-konzept einhellig ab. Die Vertragszahnärzteschaft bekennt sich zum dualen System aus GKV und PKV. Dass sich beide Systeme im Sinn einer reformierten Dualität verbessern müssen, steht für die Standesorganisationen dabei aber außer Frage.
In einem wettbewerblich ausgerichteten Gesundheitssystem müsse es eine Konkurrenz zwischen GKV und PKV zum Nutzen der Patienten geben, heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme. Durch den Wettbewerb zwischen den Systemen der GKV und der PKV dürften jedoch die Grundsätze der Freiberuflichkeit, der Therapiefreiheit, der Qualität (inklusive einer neutralen und fachlich kompetenten Patientenberatung), der Preisgestaltung auf der Grundlage der privaten Gebührenordnung im Bereich der PKV, der Selbstverwaltung und der freien Arztwahl der Patienten nicht infrage gestellt werden, mahnen KZBV und BZÄK.
Eine Einheitsversicherung wie von den Linken gefordert bietet jedoch keinen Lösungsansatz für die steigenden Kosten im Gesundheitswesen, die durch die demografische Entwicklung und den medizinisch-technischen Fortschritt entstehen. Vielmehr würde durch die Bürgerversicherung ein einheitlicher Versicherungsmarkt entstehen. Eine Vereinheitlichung für GKV und PKV lehnt die Zahnärzteschaft ab.
Dass sich die PKV aber reformieren muss, um zukunftsfähig zu sein, ist für BZÄK und KZBV unausweichlich. Je mehr die Unterschiede zwischen GKV und PKV nivelliert und systemfremde Elemente des anderen Systems übernommen würden, umso mehr würde die PKV ihre Legitimation als eigenständiges Versicherungssystem verlieren, heißt es in der gemeinsamen Stellungnahme. Beispiel GOZ: Mit der von der PKV geforderten Öffnungsklausel im Rahmen der GOZ-Novellierung würde sie sich ein GKV-Instrumentarium aneignen und sich damit die eigene Grundlage entziehen.
Auch der Vorstand der BZÄK hat sich mit der reformierten Dualität im Rahmen seiner jüngsten Klausurtagung befasst. Ziel jeglicher Reformen muss der Erhalt des seit Jahrzehnten bewährten Systems aus GKV und PKV sein, war sich der Vorstand einig. Auch gab er ein klares Bekenntnis für die private Gebührenordnung ab. Nur sie könne garantieren, dass die Patienten auch in Zukunft einen uneingeschränkten Zugriff auf medizinische Innovationen hätten.
Hochwertige Versorgung
Der KZBV-Vorsitzende Dr. Jürgen Fedderwitz wurde von der Unionsfraktion zur zahnmedizinischen Versorgungssituation befragt. Er führte aus, dass es im heutigen System mit GKV und PKV in der zahnmedizinischen Versorgung keine Zwei-Klassen-Medizin gebe. Die zahnmedizinische Versorgung in Deutschland stehe im internationalen Vergleich an der Spitze, sowohl was die Mundgesundheit als auch was den Leistungskatalog anbelangt. Das zeigen epidemiologischen Studien.
Die Mundgesundheit hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren erheblich verbessert. Die außerordentlich positive Entwicklung beruhe auf mehreren Faktoren, erklärte Fedderwitz. Sie sei nicht nur auf die Einführung von Gruppen- und Individualprophylaxe und den Einsatz von Fluoriden zurückzuführen, sondern auch auf die beharrliche Aufklärungsarbeit der Zahnärzteschaft, die Schaffung eines neuen Bewusstseins für Mundgesundheit und -hygiene und die feste Verankerung des Präventionsgedankens. Dies gelte sowohl für GKV- als auch PKV-Versicherte. „Im weltweiten Vergleich ist die soziale Absicherung gegen Zahn-, Mund- und Kiefererkrankungen in Deutschland außergewöhnlich weitreichend“, sagte der KZBV-Vorsitzende. Alle GKV-Versicherten könnten hier auf einen umfassenden, solidarisch finanzierten Leistungskatalog inklusive einer weitgehenden Regelversorgung mit Zahnersatz und entsprechenden Regelungen zur Vermeidung sozialer Härten zurückgreifen. Im europäischen Umfeld sei die zahnmedizinische Versorgung nur in sehr begrenztem Umfang solidarisch versichert. „Das ist auch auf den Wettbewerb zwischen PKV und GKV zurückzuführen“, sagte Fedderwitz.
Der Systemwettbewerb zwischen GKV und PKV sichert den Patienten eine gute Versorgung zu. Er sei ein Innovationsmotor zum Vorteil der GKV- und der PKV-Versicherten, erläuterte der KZBV-Chef. Er äußerte in der Anhörung die Befürchtung, dass die heutige hochwertige, wohnortnahe Versorgung in einer einheitlichen Bürgerversicherung nicht mehr zu gewährleisten sei.