Die Macht solider Daten
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Gegenstand der Versorgungsforschung ist die letzte Meile des Gesundheitssystems – also der unmittelbare Versorgungsalltag von uns. Von einem Wissenschaftsbetrieb im Elfenbeinturm ist das weit entfernt. Vielmehr geht es um ganz konkrete Fragen für den Praxisalltag: Wie dockt sich die Zahnmedizin an die Medizin an? Wie sehen künftige Behandlungsbedarfe aus? Welche zahnmedizinischen Leistungen werden eine Rolle spielen? Oder wie wird sich die Patientenstruktur in Zukunft darstellen? All dies und vieles mehr sind Themenbereiche, mit denen sich die Versorgungsforschung beschäftigt und die auch für den Zahnarzt in der Praxis relevant sind.
Aus solchen Daten und Fakten sind ganz konkrete Strukturen ablesbar: Sie machen deutlich, wo es im System Defizite gibt, wo Unterversorgung herrscht, aber auch, wo gute Versorgungsansätze zu finden sind. Sie bilden darüber hinaus die Grundlage für die zahnärztliche Standespolitik, eine eigene Standortbestimmung vorzunehmen und entsprechende gesundheitspolitische Forderungen abzuleiten.
Auf diesem Feld hat das Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ) langjährige, kontinuierliche Forschungsarbeit geleistet. Ganz prominent stehen hier die großen DMS-Studien. Sie haben wichtige Ergebnisse zur Mundgesundheit der deutschen Bevölkerung beigetragen und sind wissenschaftlich national wie international in der Fachöffentlichkeit wie in der Wissenschaft anerkannt.
Dazu noch zwei weitere Beispiele: Fragen der Versorgung von älteren Menschen und von Menschen mit Handicap rücken aufgrund der demografischen Entwicklung zunehmend in den Fokus der Gesundheitspolitik.
Die vor Kurzem erschienene IDZ-Studie zur Mundgesundheit von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen in Deutschland hat verlässliche Zahlen auf den Tisch gelegt. Die politische Arbeit zur Umsetzung des AuB-Konzepts der Zahnärzteschaft in ein zahnärztliches Versorgungskonzept für diese Menschen geht nicht zuletzt auch auf Basis dieser Erkenntnisse weiter.
Beispiel zwei: In Kürze wird im IDZ eine Studie zur frühkindlichen Karies erscheinen, in der erstmals Erkenntnisse zum Problemaufriss und zu notwendigen Präventionskonzepten für Kleinkinder präsentiert werden – eine Lücke, bei der großer Handlungsbedarf herrscht und bei der die Zahnmedizin stärker in gesundheitspolitische Förderprogramme eingebunden werden sollte.
Versorgungsforschung ist weiterhin gefragt, wenn es darum geht, den Zusammenhang von Medizin und Zahnmedizin darzulegen. Es gilt, die wechselseitigen Beeinflussungen von Zahn-, Mund- und Kiefererkrankungen und Allgemeinerkrankungen – so etwa bei Diabetes und Parodontitis oder beim Tabakkonsum – im Blick zu behalten und entsprechende interdisziplinär ausgerichtete Konzepte im Sinne des gemeinsamen Risikofaktorenansatzes einzufordern.
Auch die zukünftigen Herausforderungen zur zahnärztlichen Versorgung im ländlichen Raum, stärkeren Konzentrationsprozessen in den Städten oder die veränderte Rolle des zahnärztlichen Behandlungsteams aufgrund der demografischen Entwicklung sind Gegenstand der Untersuchung der Versorgungsforscher – mit ganz speziellen Erkenntnissen für den Praxisalltag.
Ganz wichtig ist, dass der Forschungsbereich nicht überlagert wird von vordergründigen interessengebundenen Absichten, indem statistisch korrekt erhobenes Zahlenmaterial und empirisch fundierte Problemanalysen für falsche Schlussfolgerungen politisch missbraucht werden – wie etwa das Beispiel des jüngst veröffentlichten Barmer-GEK-Zahnreports zeigt. Die Intention solcher Datenfehldeutungen ist durchsichtig und einseitig. Versorgungsforschung muss aufklären und Optionen aufzeigen. Schwierig wird es immer dann, wenn Daten fehlinterpretiert und schlagzeilenträchtig aufpoliert werden. Vielmehr müssen Faktenlagen genau analysiert werden, der Umgang mit ihnen muss verantwortungsvoll erfolgen.
Wer in der Gesundheitspolitik ernst genommen werden will, sollte solide forschen, aber auch solide agieren.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Prof. Dr. Dietmar OesterreichVizepräsident der Bundeszahnärztekammer