Die klinisch-ethische Falldiskussion

Dissens zwischen Hauszahnarzt und Kieferorthopädin

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Dominik Groß
Der vorliegende Fall behandelt den kommunikativen und kollegialen Umgang bei unterschiedlichen Behandlungsansätzen eines Hauszahnarztes und einer Kieferorthopädin in einer Praxisgemeinschaft.

Der Fallbericht:

Der Zahnarzt Dr. AM und die Kieferorthopädin Dr. KW sind in einer Praxisgemeinschaft tätig. Vordergründig haben beide ein passables kollegiales Auskommen. Allerdings vertreten sie bei der fachlichen Beurteilung von Therapiemaßnahmen häufiger unterschiedliche Positionen, ohne dass diese offen ausdiskutiert würden.

Im vorliegenden Fall stellt sich ein etwa 16-jähriger Patient auf Vorschlag des Zahnarztes bei besagter Kieferorthopädin zur Weiterbehandlung vor. Zahnarzt und Patient stören sich insbesondere an der ästhetisch unbefriedigenden, aber auch funktionell korrekturbedürftigen Schneidezahnstellung (Dreh- und Engstände, zum Teil kombiniert mit Proklinationen).

Die Kieferorthopädin erstellt eine umfassende und den Regeln der Kunst entsprechende Anfangsdiagnostik und – darauf basierend – eine Behandlungsplanung. Im Rahmen ihrer fachzahnärztlichen Diagnostik gelangt sie zu dem Ergebnis, dass die Korrektur der Schneidezähne nur dann zum Erfolg führt, wenn eine Extraktionstherapie der ersten Prämolaren erfolgt. Sie bespricht die Planung ausführlich mit dem Patienten und der Mutter. Beide geben nach umfassender Aufklärung auf einem Einverständnisbogen die Erlaubnis für die Behandlungsplanung nebst der Entfernung der Zähne. Nach Genehmigung des Kassenplans verweist die Kieferorthopädin den Patienten mit der Bitte um Extraktion der ersten Prämolaren wieder an den Zahnarzt. Nachfolgend soll die geplante festsitzende Apparatur eingegliedert werden.

Der Zahnarzt begrüßt den Patienten und dessen Mutter und erklärt allein nach der klinischen Inspektion, dass er eine Extraktionstherapie für nicht indiziert halte. Obwohl sich die Kieferorthopädin aufgrund eines spontanen internen Hinweises ihrer Fachangestellten zum Gespräch dazugesellt, richtet der Zahnarzt seine Aufmerksamkeit weiterhin ausschließlich auf den Patienten und dessen Mutter und fährt mit seiner Begründung fort. Dabei erklärt er beiden, dass die Fehlstellung der Schneidezähne keine Extraktionen rechtfertige, dass letztere eine Veränderung des Erscheinungsbildes des Patienten nach sich ziehen könne und dass er die Zähne deshalb nicht extrahieren werde. Da die Kieferorthopädin von ihrem Kollegen nicht ins Gespräch eingebunden wird, beschränkt sie sich für eine Weile mit der Rolle der Zuhörerin, um dann das Zimmer vorzeitig zu verlassen.

Patient und Mutter nehmen letztlich von einer kieferorthopädischen Behandlung Abstand. Eine Aussprache zwischen Kieferorthopädin und Zahnarzt erfolgt zu keinem Zeitpunkt – weder vor noch nach dem Gespräch des Zahnarztes mit dem Patienten.

KW ist gekränkt, aber auch verunsichert:

• War das Vorgehen von AM mit dem Gebot der Kollegialität vereinbar oder hat er womöglich seine eigenen Vorstellungen zu sehr bei der Beratung zum Ausdruck gebracht und dadurch den Patienten und dessen Mutter bei deren Entscheidungsbildung beeinflusst?

• Hätte sie als Kieferorthopädin ihre fachzahnärztliche Entscheidung für eine Extraktionstherapie vorab von ihrem Kollegen „absegnen“ lassen sollen?

• Hätte sie den aufgetretenen Konflikt durch eine vollständige Aufklärung des Patienten und dessen Mutter über alle möglichen Behandlungsalternativen die Konfliktsituation vermeiden können beziehungsweise sollen?

• Hätte sie ihren Kollegen im entscheidenden Gespräch mit dem Patienten und dessen Mutter – oder gegebenenfalls danach – zur Rede stellen sollen?

• Wie sollte und könnte das weitere kollegiale Miteinander geregelt werden?

Dominik Groß

Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik GroßInstitut für Geschichte, Theorie und Ethik der MedizinUniversitätsklinikum der RWTH AachenWendlingweg 2D-52074 Aachengte-med-sekr@ukaachen.de

Dr. med. dent. Klaus HöckerFachzahnarzt für ParodontologieBerufsverband der Fachzahnärzte für Parodontologie e.V.Brandstrasse 2945127 Essenkhoe@paro-praxis.de

Dr. med. dent. Alexander SpassovPoliklinik für KieferorthopädieErnst-Moritz-Arndt-Universität GreifswaldRotgerberstr. 817475 Greifswaldalexspas@uni-greifswald.de

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