Die Ausgrenzung nimmt zu
Die Zahlen von psychisch Erkrankten ohne Job steigen doppelt so schnell wie die anderer Personen in der EU, zeigt eine aktuelle Studie aus dem Fachjournal „PLoS ONE“. Dafür wurden Daten von 20 000 Personen aus allen 27 EU-Mitgliedstaaten ausgewertet.
Die Autoren vom Institut für Psychiatrie des Londoner King’s College fanden heraus, dass die Arbeitslosenquote von Menschen mit psychischen Problemen zwischen 2006 und 2010 von 12,7 auf 18,3 Prozent stieg. Das heißt: Vor Beginn der Finanz-/Eurokrise, die 2007 ihren Anfang nahm, lag die Quote um knapp 45 Prozent niedriger als während-dessen. Für die anderen Arbeitnehmer stieg die Quote der Beschäftigungslosen nur von 7,1 auf 9,8 Prozent. Die Unterschiede in der Beschäftigungsquote zwischen Menschen mit und ohne Psychoprobleme sind also während der Krise noch größer geworden.
Für psychisch Erkrankte ist eine wirtschaftliche Krise besonders kompliziert, weil sie neben dem höheren Risiko eines Jobverlusts durch den problematischeren Arbeitsmarkt auch schwieriger wieder eine Beschäftigung finden. Insbesondere Männer mit psychischen Störungen trifft es hart: Ihre Arbeitslosenquote erhöhte sich in der EU von 13,7 auf 21,7 Prozent. Das könnte damit zusammenhängen, dass mehr Männer als Frauen in stark konjunkturabhängigen Branchen wie beispielsweise der Bauwirtschaft beschäftigt sind.
Vorurteile zeigen Wirkung
Dass eine höhere (Aus-)Bildung vor Arbeitslosigkeit schützt, ist bekannt. Bei psychisch Erkrankten ist dieser Zusammenhang aber noch stärker ausgeprägt als bei der Durchschnittsbevölkerung, zeigt die Studie. Doch auch Vorurteile in der Bevölkerung haben Einfluss auf die Arbeitslosenquote von psychisch Erkrankten. In EU-Ländern, in denen generell ein negativeres Bild von Menschen mit psychischen Störungen vorherrscht, liegt die Quote in der Krise höher als in Ländern, die eine positivere Einstellung haben.
Die allermeisten Menschen mit Psychoproblemen wollen auch arbeiten, haben aber allgemein einen schwierigeren Zugang zum Arbeitsmarkt. Das ist insofern problematisch, da ein geregeltes Arbeitsleben signifikant zur Erholung von der psychischen Störung beiträgt. Nach Berechnungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO belaufen sich die gesamtgesellschaftlichen Kosten, die durch psychische Erkrankungen entstehen, auf drei bis vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU.
Programme gefordert
Für die Londoner Wissenschaftler zeigen die Ergebnisse, dass sich in Krisenzeiten die soziale Ausgrenzung von psychisch Erkrankten verstärkt, insbesondere von Männern und weniger Gebildeten. Sie fordern von der Politik, die ökonomische Ausgrenzung zu bekämpfen und soziale Teilhabe zu fördern. Es sollten Programme aufgelegt werden,die Menschen mit psychischen Störungen helfen, mit den negativen Effekten eines Jobverlusts umzugehen und einer weiteren Verschlechterung ihres Zustandes entgegen-zuwirken. Eine Schuldnerberatung etwa könnte nach Meinung der Forscher ihre mentale Gesundheit und gleichzeitig ihre finanziellen Probleme verbessern.
Aber gerade in Zeiten von Budgetkürzungen und der Einstellung von Sozialprogrammen in Europa und auch aufgrund der fehlenden Lobby ist die Einrichtung solcher Programme – anders als für jugendliche Arbeitslose – zweifelhaft. Wahrscheinlicher ist, dass in der anhaltenden Krise eine zunehmende Zahl von psychisch Erkrankten von Jobverlust und anhaltender Arbeitslosigkeit bedroht ist. Spanien, wo die Arbeitslosigkeit bei rund 26 Prozent liegt, meldet aktuell eine Zunahme von psychischen Diagnosen.