Gastkommentar

Kampfansage

Im innerärztlichen Diskurs um die tarifliche Vertretung der wachsenden Zahl angestellter Ärzte im ambulanten Bereich steckt viel machtpolitischer Sprengstoff, meint Andreas Mihm, FAZ-Korrespondent in Berlin.

Die vielleicht interessantesten Debatten auf dem Deutschen Ärztetag fanden statt, als die Öffentlichkeit Hannover den Rücken gekehrt, der Gesundheitsminister seine Rede beendet, das Parlament der Ärzte die Resolutionen gegen die Bürgerversicherung und die Ökonomisierung der ärztlichen Tätigkeit verabschiedet hatte. Innerärztliche Themen, also die, bei denen ein Ärztetag seine wahre Kompetenz ausspielen kann, finden in der Öffentlichkeit selten Widerhall. So verwundert nicht, dass der Beschluss zur Stärkung der ambulanten Weiterbildung einem breiten Publikum verborgen blieb. Dabei zeigt nicht nur die zweitägige Debatte, wie viel Sprengstoff hinter diesem Thema steckt.

Vordergründig geht es darum, junge Ärzte zu bewegen, sich auf eine Karriere als niedergelassener Arzt einzulassen. Ein probates Mittel dafür ist die Weiterbildung. Die findet bisher fast nur im Krankenhaus statt. Doch werden hier manche Krankheitsbilder gar nicht mehr therapiert: Der HNO-Arzt entfernt die Mandeln ambulant, gegen den „grauen Star“ setzt der Augenarzt das Skalpell fast nur noch ambulant an. Wer das lernen will, braucht Praxiserfahrung.

Die Frage verbindlicher Zeiten für ambulante Weiterbildungsabschnitte stand nur zum Schein im Zentrum des Streits zwischen niedergelassenen und Krankenhausärzten, stellvertretend ausgefochten durch Kassenärztliche Bundesvereinigung und Marburger Bund (MB). Der MB-Vorsitzende Rudolf Henke hatte die Linie vorgegeben: Tausende Ärzte seien im ambulanten Bereich angestellt, „häufig ohne angemessenes Gehalt“.

Deren Interessen wolle die Ärztegewerkschaft stärker vertreten. Eine kaum verhohlene Kampfansage im innerärztlichen Wettstreit um Macht und Einfluss an die Organisationen der Niedergelassenen.

Der Ärztetag verlangte nicht nur, dass den Ärzten in einer ambulanten „mindestens die gleichen tariflichen Konditionen wie an einer stationären Weiterbildungsstätte“ garantiert würden. Er schrieb auch das Vertretungsrecht des MB fest: Es müsse „mit der für die im stationären Versorgungsbereich für die Tarifgestaltung ärztlicher Vergütungen maßgeblichen ärztlichen Organisation“ ein Vertrag abgeschlossen werden. Damit der MB einen tariffähigen Verhandlungspartner bekommt, wurden KBV und Berufsverbände aufgefordert, ein funktionsfähiges Organisationsmodell zu entwickeln.

Denn die KVen können nicht Vertragspartner des MB sein. Sie sind gesetzlich beauftragt, als Körperschaften die Interessen aller ambulant tätigen Ärzte zu vertreten. Jetzt wird aufseiten der Niedergelassenen nach einer Lösung gesucht, die den rechtlichen Erfordernissen genügt und machtpolitische Optionen nicht verbaut. Längst geht es nicht mehr um die „Weiterbildungsassistenten“. Der MB will auch jene schnell wachsende Zahl angestellter ambulant tätiger Ärzte organisieren, die in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) oder als „Entlastungsassistenten“ in Praxen arbeiten. Zusammen waren das Ende des vergangenen Jahres 19 100. Die Zahl steigt rapide. Fünf Jahre zuvor gab es erst 8 500 angestellte am- bulant tätige Ärzte. 2012 arbeiteten allein 9 900 in MVZ.

Viele junge Ärzte scheuen die wirtschaftlichen Risiken der freien Praxis, sie lieben dagegen die zeitlich und finanziell klar geregelten Verhältnisse des Angestelltendaseins mit 40-Stunden-Woche und Urlaubsanspruch.

Für die völlig auf die Interessen des selbstständigen Praxisinhabers ausgerichtete KV-Welt ist das eine völlig neue Erfahrung. Sie wird sich darauf einstellen müssen.

Auf Bundesebene will die KBV nun die Niedergelassenen einstweilen stärker gegen die Krankenhausärzte in Stellung bringen. Immerhin 140 der 250 Delegierten auf dem Ärztetag sind Niedergelassene. Dennoch stellt der MB seit 1979 den Präsidenten der Bundesärztekammer. In zwei Jahren steht die nächste Wahl an.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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