KBV-Vertreterversammlung

Versorgung an den Patienten anpassen

Wo bleibt die Freiheit der Selbstverwaltung? Ist der Sicherstellungsauftrag bedroht? Und welche Optionen hat der medizinische Nachwuchs? Auf der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung am 26.5. in Düsseldorf debattierten die Vertragsärzte über aktuelle berufs- und versorgungspolitische Fragen und erörterten Lösungsansätze.

Gleich zu Beginn seines ersten Berichts an die Vertreterversammlung kam der neue KBV-Vorstandsvorsitzende, Dr. Andreas Gassen, auf ein Thema zu sprechen, das den Vertragsärzten derzeit besonders unter den Nägeln brennt: die Freiberuflichkeit der ärztlichen Tätigkeit und die Freiheit der Selbstverwaltung. Vor allem Letzteres gewinne angesichts der gegenwärtigen Diskussionen um Wartezeiten bei Facharztbesuchen und den Plänen der Regierung, hier mit Servicestellen zu vermitteln, immer mehr an Bedeutung.

Bundesgesundheitsminister Herrmann Gröhe habe immer betont, dass er Lösungen aus der Selbstverwaltung heraus den Vorzug geben wolle, skizzierte Gassen. Doch dieses Zugeständnis und die damit gewährte Freiheit schienen nicht bei allen politisch Verantwortlichen in Stein gemeißelt zu sein, kritisierte er. Seine Vermutung sei, dass diese Pläne ein Zugeständnis an die Kritiker der sogenannten Zwei-Klassen-Medizin sei. Das Thema sei das Letzte, was von der Idee einer einheitlichen Bürgerversicherung noch übrig geblieben sei.

Gegen bürokratische Vorgaben

Das Bundesgesundheitsministerium habe gegenüber der KBV signalisiert, auf eine enge gesetzgeberische Vorgabe verzichten zu wollen, wenn die Selbstverwaltung eine Lösungsmöglichkeit biete. „Das werden wir tun“, kündigte Gassen an. Ziel müsse es sein, die ohnehin schon knappen Ressourcen in der ambulanten Versorgung nicht auch noch durch bürokratische Vorgaben weiter zu verknappen.

Überhaupt sei zu hinterfragen, ob es sich bei den Wartezeiten um das wirklich drängendste Problem handele, das man in Deutschland habe. Es gebe zwar hier und dort Terminschwierigkeiten, gab Gassner zu. Solange Praxen aber aufgrund des starken Patientenandrangs überlastet seien, werde auch ein Terminmanagement nicht weiterhelfen, schon gar nicht, wenn dies von außen aufoktroyiert werde. Aufschluss erwartet Gassen von einer Versichertenbefragung der KBV durch die Forschungsgruppe Wahlen, die gerade durchgeführt werde. Dass alles nur eine Frage der Verteilung sei – wie der GKV-Spitzenverband behaupte – bezeichnete Gassen als „Humbug“. Und: „Wo viele Patienten, aber nur wenig Ärzte sind, können auch keine Termine schneller vergeben werden. Da helfen dann auch keine Servicestellen.“

Sorge bereitet den Kassenärzten die Gewährleistung des Sicherstellungsauftrags. Gassen verwies auf das vor zwei Jahren von der KBV verabschiedete Acht-Punkte-Programm, in dem Forderungen an die Politik aufgestellt wurden. Zu den wichtigsten Zielen gehören feste und kostendeckende Preise: „Dieser Sicherstellungsauftrag ist keine Einbahnstraße. Er ist nicht nur dazu da, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Er ist auch für die Ärzte und Psychotherapeuten selbst da.“

Immer schwieriger gestaltet sich in der Ärzteschaft die Suche nach einem Praxisnachfolger. Die KBV und der NAV-Virchow-Bund haben im Frühjahr eine große Befragung, den Ärztemonitor 2014, gestartet und (über das Institut für angewandte Sozialwissenschaften) insgesamt 10 000 niedergelassene Ärzte nach ihrer beruflichen Situation befragt. Die Ergebnisse liegen noch nicht vollständig vor. Nach vorläufigen Tendenzen ist zwar immer noch die eigene Praxis das Maß aller Dinge. Jeder Vierte plant allerdings, in den nächsten fünf Jahren seine Praxis abzugeben. Die Suche nach einem Nachfolger gestalte sich allerdings oft schwierig. Die Befragten stellen ferner eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen fest und drei Viertel der Befragten sind der Auffassung, dass die Praxis ihre Funktion der Altersvorsorge verloren habe. „Ein Skandal!“, so Gassen.

Sorge um die Weiterbildung

„Der Medizinernachwuchs braucht ein größeres Angebot an ambulanten Abschnitten in der Aus- und Weiterbildung. Es muss wieder mehr in die medizinische Lehre investiert werden,“ forderte KBV-Vorstand Dipl.-Med. Regina Feldmann in ihrem Bericht. Praxisrelevante Lehrveranstaltungen und Modellstudiengänge dürften nicht dem Rotstift zum Opfer fallen. Wesentliche Bestandteile der Weiterbildung kämen in der „Durchlaufmaschinerie Krankenhaus“ mit wechselndem Personal offensichtlich zu kurz. Eine Praxis biete da ganz andere Bedingungen“, sagte Feldmann und bezog sich auf eine Umfrage des Marburger Bundes.

Demnach absolvierten 98 Prozent der befragten Ärzte ihre Weiterbildung in einer stationären Einrichtung. Fast zwei Drittel von ihnen zeigten sich unzufrieden mit der Ausbildungssituation. 55 Prozent der Ärzte wünschten sich einen ambulanten Pflichtteil in ihrer Weiterbildung, beispielsweise in einer Praxis, einem Medizinischen Versorgungszentrum oder in einer Ambulanz.

Um die Finanzierung, die Qualität und Koordination der Weiterbildung zu sichern, schlug Feldmann den Aufbau einer Stiftung vor: „Die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung liegt im gesamtgesellschaftlichen Interesse. Deshalb muss ihre Finanzierung auf eine entsprechend breite Basis gestellt werden. Sie darf nicht weiter zulasten der heute tätigen Ärztegeneration gehen“, argumentierte sie.

Ein weiteres Anliegen war Feldmann der Bereich Niederlassung. Bereits das Studium könne als eine entscheidende Stellschraube für mehr Interesse an einer Niederlassung bei jungen Medizinern sorgen. Feldmann verwies auf die aktuelle Nachwuchskampagne der KBV: „Alle Studierenden, die bei unserem Kampagnen-Shooting mitgemacht haben, sahen viele Vorteile in der Niederlassung: der längere und intensivere Kontakt mit Patienten, die flachen Hierarchien, größere Eigenverantwortung und Flexibilität.“

In den kommenden Jahren werde der Ärztemangel vor allem in einigen grundlegenden Fachgruppen zu spüren sein, erläuterte Regine Feldmann weiter. Der Mangel werde sich insbesondere bei Hausärzten, Augenärzten, Chirurgen, Frauenärzten und Hautärzten bemerkbar machen, prognostizierte sie. Entscheidend sei daher die Frage, wie mehr medizinischer Nachwuchs, der durchaus vorhanden sei, von einer Niederlassung überzeugt werden könne. Ein wesentliches Ziel müsse weiterhin sein, den Ärztenachwuchs bei der Praxisgründung finanziell zu unterstützen. Der Erfolg des Förderprogramms Allgemeinmedizin zeige deutlich, dass sich ein weiterer Ausbau solcher Angebote seitens der Kassenärztlichen Vereinigungen lohne.

Korrekturbedarf beim EBM

Bei der ersten Stufe der Reform des Hausarzt-EBM zeige sich Korrekturbedarf, erklärte Feldmann vor den Delegierten. Der Gesamtleistungsbedarf im vierten Quartal 2013 sei gegenüber dem Vorjahresquartal in nahezu allen KVen gestiegen. Der Leistungsbedarf im hausärztlichen Versorgungsbereich – ohne geriatrie- und palliativmedizinische Leistungen – sei in den meisten KVen gesunken. Feldmann unterstrich, dass die zur Verfügung gestellten Gelder für die neu eingeführten geriatrie- und palliativmedizinischen Leistungen in allen KVen nicht ausreichend seien. Handlungsbedarf sieht sie vor allem den bei den Chronikerpauschalen. Bei diesen sei der Leistungsbedarf im vierten Quartal 2013 im Vergleich zum Vorjahresquartal in allen KVen gesunken.

Für die zweite Stufe der EBM-Reform im hausärztlichen Versorgungsbereich forderte Feldmann eine Definition des hausärztlichen Versorgungsauftrags im Bundesmantelvertrag, eine Erweiterung der Möglichkeit zur Delegation von Leistungen auch in nicht unterversorgten Gebieten, eine Abbildung der Praxisausstattung zur Amortisation der Vorhaltefinanzierung sowie die Schaffung einer Konsultationsposition. Hinzu kämen die optionale Einführung neuer Leistungen und die mögliche Bildung von Leistungskomplexen.

Klare Absage an „Arzt-Light“-Modelle

Heftig, aber in der Sache einig diskutierte die Versammlung auch über das Thema Substitution und Delegation. Eindeutig sprachen sich die Delegierten gegen eine Substitution ärztlicher Leistungen durch nichtärztliche akademische Gesundheitsberufe aus. Auch „Arzt-Light-Modellen“ durch die Hintertür über Bachelor-Studiengänge wie dem „physician assistant“ erteilten sie eine klare Absage.

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