Gastkommentar

Überraschend reibungslos

Entgegen der anfänglich von verschiedenen Seiten gegenüber dem fachfremd gestarteten Bundesgesundheitsminister geäußerten Skepsis kommt der Politiker Hermann Gröhe in seinem Ressort gut voran, resümiert Thomas Grünert von Vincentz Network, Berlin, dessen erste 100 Tage im BMG.

Neuen Ministern gewährt man gerne die sprichwörtliche 100-Tage-Schonfrist. Erst recht, wenn diese vorher nicht unmittelbar mit den Themen ihres Ressorts beschäftigt waren. Gesundheitsminister Hermann Gröhe müsste sich also nun auf einen härteren Alltag einstellen. Trotz großer Umstellungen, vielen neuen Köpfen in der Leitungsebene, haben Gröhe und sein Team aber offenbar den Schwimmkurs im Haifischbecken Gesundheitspolitik extrem schnell absolviert. War noch bei den Koalitionsverhandlungen von der „Sollbruchstelle Gesundheitspolitik“ für das Regierungsbündnis die Rede, läuft die Gesetzgebung unter Gröhe überraschend reibungslos und effektiv. Nach dem Vorschaltgesetz, das vorwiegend zur Verlängerung der Zwangsrabatte auf hochwertige Arzneimittel diente, stehen auf der Agenda dieses Jahres noch mindestens acht Gesetzes- und Regelungsvorhaben mit weitgehenden Strukturveränderungen.

Tatsache ist: Die Agenda des Koalitionsvertrags wird konsequent abgearbeitet. Man mag darüber spekulieren, ob vieles in der vergangenen Legislaturperiode bereits vorbereitet war – beispielsweise eine weitere Pflegereform – oder ob die zurzeit noch immer üppige Finanzausstattung von Kassen und Gesundheitsfonds Streitereien um Details verblassen lässt.

Was bleibt, ist festzustellen: Man kommt voran. Dabei spielt es offenbar eine große Rolle, dass der ideologische Streit um die von den linken Parteien geforderte Bürgerversicherung ruht. Um die polarisierten Protagonisten dieses Themas ist es erstaunlich still geworden. Im Gesundheitsausschuss, in dem gut zur Hälfte neue Abgeordnete sitzen, konzentriert man sich ohnehin erst einmal darauf, fachkundig handlungsfähig zu werden.

Damit kommt die dritte Handlungsebene wieder mehr ins Spiel – die Selbstverwaltung. Mit der Ausweitung der Kompetenzen des Gemeinsamen Bundesausschusses hat die Politik in der vergangenen Legislaturperiode einen untergesetzlichen Normgeber geschaffen, der nun nicht mehr nur Erstattungsfragen regelt, sondern Grundlagen der Versorgung gestaltet. Die spannende Frage wird sein, wie sich das Zusammenspiel der drei Normgeber BMG, Parlament/Länder und G-BA, künftig gestalten wird.

Einen ersten Lackmustest dürfte die Frage nach der Errichtung des in diesen Tagen gesetzlich verankerten Qualitätsinstituts darstellen. Aber auch das Justieren vorhandener und neuer Vertragsformen (etwa DMPs, ASV) oder der Umgang mit dem Innovationsfonds dürften wegweisend sein. Dass das faktische Übergewicht der GKV im G-BA bereits jetzt für Stirnrunzeln in der traditionellen Selbstverwaltung sorgt, sollte der Politik trotz aktuellen Burgfriedens zu denken geben.

Wichtig sind jedoch zunächst konkrete Lösungen. Dass die Kassen ab dem 1.1.2015 wieder bedingte Finanzautonomie bekommen, ist eine gute Chance, Wettbewerb zu gestalten. Dass Pflege weiter gefasst wird und auch den Versorgungsbedarf im Alter einschließt, ist ein lange erwarteter positiver Ansatz. In diesem Zusammenhang darf man auch den Plan sehen, noch in diesem Jahr ein Präventionsgesetz auf den Weg zu bringen, das bewusst auch die Lebenswelten im Alter einschließt. Er schafft Möglichkeiten, bisherige positive Ansätze wie beispielsweise die Alterszahnheilkunde auf breiterer Basis zu verankern und zu gestalten.

Jetzt ist die Zeit, gute Konzepte und Versorgungsideen vorzulegen. Selbst wenn der Streit um Ressourcen oder ideologische Weichenstellungen schon bald wieder vieles blockieren sollte, so hätte man doch wenigstens entsprechende Wegweiser gesetzt.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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