Kurz, kürzer, am kürzesten
Zuweilen könnte man den Eindruck gewinnen, dass kurze Implantate eine aktuelle Erscheinung, zumindest eine Erfindung des laufenden Jahrtausends darstellen. Dabei reichen die Ursprünge weit zurück. Schon vor über fünfzehn Jahren betitelte beispielsweise Chris M. ten Bruggenkate eine Veröffentlichung: „Short (6-mm) Nonsubmerged Dental Implants: …“. Daraus lassen sich zwei Schlüsse ableiten: Erstens gibt es die Idee, besonders kurze Implantate einzusetzen, schon lange, und zweitens stand schon immer die Frage im Raum, wie lang denn ein Kurzimplantat sei. Darum präzisierte die Arbeitsgruppe damals „short“ bereits im Titel mit „6 mm“ [ten Bruggenkate et al., 1998].
Die Indikation von Kurzimplantaten skizzieren die Autoren der Studie folgendermaßen: Ein begrenztes Knochenangebot schränkt die Verwendung langer Implantate ein, doch können an ihrer statt Kurzimplantate gewählt werden. Gemeint sind klinische Situationen, in denen invasive chirurgische Eingriffe angezeigt sind (zum Beispiel Sinuslift), aber eine Alternative gewünscht ist. Um Chancen und Grenzen auszuloten, inserierten die Autoren über eine Dauer von sechs Jahren 253 Kurzimplantate mit einer Länge von sechs Millimetern bei 126 Patienten, die anschließend über einen Zeitraum von ein bis sieben Jahren nachuntersucht wurden. Die in dieser multi- zentrischen Studie ermittelte Überlebensrate erwies sich als vergleichbar mit den klinischen Ergebnissen für andere (längere) Implantate des verwendeten Implantatsystems. Zur Sicherheit empfahlen die Autoren jedoch für die klinische Praxis eine Kombination aus kurzen und „normallangen“ Implantaten – insbesondere wenn sie bei dem geringen Knochenangebot zum Einsatz kommen, das man im Unterkiefer so häufig antrifft.
Oft im Fokus: Studien bei niedergelassenen Kollegen
Um das Indikationsspektrum kurzer Implantate schärfer definieren zu können und dabei im Besonderen die Bedingungen für einen niedergelassenen Zahnarzt und sein Team zu berücksichtigen, führten Nedir et al. eine prospektive Studie in einer privaten Praxis durch [Nedir et al., 2004]. Sie berücksichtigten Implantate mit unterschiedlichen Oberflächenbehandlungen (Titan-Plasmaspray-Verfahren, Sandstrahlen Ätzen) und inserierten bei 236 Patienten insgesamt 528 Implantate, davon 351 im posterioren Bereich. Die prothetische Versorgung erfolgte mit Einzelkronen oder kleineren Brücken mit zwei bis vier Gliedern. 71,1 Prozent der gesetzten Implantate waren weniger als oder genau 11 mm lang. Die Autoren zogen den Schluss, dass Kurz- implantate den Bedarf an aufwendiger Diagnostik (CT) und Chirurgie (Sinuslift, Knochentransplantat) schrumpfen lassen könnten. Auch könne das Ziel nicht (mehr) generell darin bestehen, ein möglichst langes Implantat zu inserieren. Die kürzere Alternative biete nicht zuletzt häufiger die Chance, von der Prothetik her zu planen, statt sich ausschließlich am Knochenangebot zu orientieren. Vor allem jedoch ergab die Sieben-Jahres-Überlebensanalyse eine hohe kumulative Erfolgsrate (99,40 Prozent) ohne signifikante Unterschiede zwischen den eingesetzten Lang- und Kurzimplantaten.
Bestätigung fanden die Ergebnisse im selben Jahr durch eine retrospektive Studie – Ergebnis für 979 inserierte Implantate nach bis zu 84 Monaten Beobachtungszeit [Fugazzotto et al., 2004]: Die kumulierte Gesamterfolgsrate betrug 95,1 Prozent. Die Autoren schlussfolgerten: Nicht bis auf Knochenniveau versenkte Implantate von sieben bis neun Millimetern Länge in der Region der Unterkiefermolaren können mit Einzelkronen erfolgreich prothetisch versorgt werden.
Eine prospektive Studie an Patienten, an denen eine Sinusbodenelevation unter Verwendung eines Osteotoms mit anschließender Implantatinsertion vorgenommen wurde, ergab [Ferrigno et al., 2006]: Die kumulativen Erfolgsraten nach zwölf Jahren lagen für 12 mm lange Implantate (93,4 Prozent) im Vergleich zu 10 und 8 mm langen (90,5 beziehungsweise 88,9 Prozent) nur geringfügig höher. So schlussfolgerten die Autoren unter anderem, aus klinischer Sicht könne die vorhersagbare erfolgreiche Verwendung von kurzen Implantaten in Kombination mit einer Sinusbodenelevation unter Verwendung eines Osteotoms die Indikation für komplexe, invasive Vorgehensweisen wie Sinuslift und Knochentransplantation reduzieren.
Später schloss Arlin aus den Ergebnissen einer in der eigenen privaten Praxis durchgeführten Patientenbeobachtung [Murray L. et al., 2006]: Kurzimplantate (6 oder 8 mm) weisen bei Patienten mit einem begrenzten Knochenangebot eine gute Zuverlässigkeit auf – kein Bedarf nach Augmentation. Dazu setzte der Autor zwischen April 1994 und Dezember 2003 bei 264 Patienten insgesamt 630 Implantate in Regionen mit geringem Knochenangebot (7 bis 11 mm). Nach zwei Jahren Beobachtungsdauer korrelierten die kürzeren Implantate im Vergleich zu längeren keinesfalls mit verminderten Überlebensraten.
In einer jüngeren retrospektiven klinischen Fünfjahresstudie untersuchte eine Arbeitsgruppe aus Spanien die Langzeit-Überlebensrate von Kurzimplantaten (Länge: 7 bis 8,5 mm) in posterioren Regionen und analysierte den Einfluss unterschiedlicher Faktoren darauf. Dazu wurden zwischen 2001 und 2004 532 Kurzimplantate bei 293 Patienten inseriert. Angesichts von Überlebensraten nahe 100 Prozent nach durchschnittlich 31 Monaten kamen die Autoren zu dem Schluss [Anitua et al., 2008]: Die Behandlung mit Kurzimplantaten kann bei strikter Einhaltung des Protokolls als sicher und vorhersagbar betrachtet werden.
Die Überlebensraten der Implantate wurden in den zitierten Studien im Wesentlichen nach den von Buser et al. [Buser et al., 1990]. definierten Kriterien bestimmt – konkret: Subjektive Beschwerden sollten nicht auftreten und die betreffenden Implantate keine Mobilität aufweisen. Es sollten keine Anzeichen von einer periimplantären Entzündung festzustellen sein. Schließlich sollte auch kein kontinuierlicher periimplantärer Knochenabbau stattfinden. Letzteres wurde anhand von Röntgenaufnahmen während der gesamten Zeit der klinischen Untersuchung ermittelt.
Die magische Vier
Die vorstehend zitierten Studien siedeln Kurzimplantate im Bereich von 6 bis 11 Millimetern Länge an. Es geht aber sogar bis hinunter zu 4 Millimetern.
Eine schwedische Arbeitsgruppe hat in einer Langzeitstudie den Erfolg von solchen „ultrakurzen“ Implantaten bei reduziertem Alveolarknochenangebot im Molarenbereich des Unterkiefers untersucht. In der entsprechenden prospektiven Fünfjahresstudie wurden die Überlebensrate und der marginale Knochenverlust bestimmt. Die prothetische Versorgung erfolgte mit drei- bis viergliedrigen Restaurationen. Dabei wurden die Kronen jeweils verblockt, Brücken- oder Freiendglieder dagegen nicht verwendet. Von den ursprünglich 28 Patienten mit insgesamt 86 osseointegrierten Kurzimplantaten konnten nach fünf Jahren 24 nachuntersucht werden, mit 71 Implantaten. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass zwei Patienten verstarben (und damit nicht in die Statistik einflossen) entspricht dies einer Überlebensrate von 92,2 Prozent.
Nach einem Jahr Tragezeit trat ein signifikanter Knochenabbau von durchschnittlich 0,44 mm auf. In den Folgejahren war dagegen kein weiterer signifikanter Knochenabbau zu verzeichnen. Damit ist ein wesentliches Erfolgskriterium für das Überleben der Implantate erfüllt: kein kontinuierlicher Knochenabbau. Darüber hinaus zeigten sich 69 Prozent der Implantate plaquefrei; mukosales Bluten trat in 8,1 Prozent der Fälle auf. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Kurzimplantate Zahnersatz bei stark resorbiertem Knochen im posterioren Unterkieferbereich über (mindestens) fünf Jahre tragen können – und das bei gesunden periimplantären Verhältnissen [Slotte, 2012; Slotte et al., 2014].
Die Studie weist auch Wege, die bei Misserfolgen gangbar sind. So verlor ein Patient aufgrund von Überbelastungen drei seiner vier Kurzimplantate; es wurden zwei längere Implantate nachinseriert und eine neue Suprastruktur wurde daraufgesetzt – eine Kombination unterschiedlich langer Varianten wie schon von anderen Autoren vor- geschlagen [Nedir et al., 2004]. Bei zwei weiteren Patienten ging je ein Implantat verloren, dennoch verblieb die Suprastruktur in Funktion.
Um wieviel kürzer geht es denn noch? Dazu zunächst zum Design des verwendeten Vier-Millimeter-Implantats: Hier haben die Dentalingenieure ein Modell konstruiert, das sich aus prothetischer Sicht wie ein typisches Tissue-level-Implantat darstellt. Dieses ist jedoch mit einem feineren Gewinde als bei einem Bone-level-Implantat ausgestattet. Dadurch erhält man eine größere Kontaktoberfläche zwischen Implantat und Knochen (BIC). Für eine beschleunigte Einheilung setzt dieses Vier-Millimeter-Implantat auf eine spezielle Titan-Zirkonium-Legierung mit einer hydrophilen Oberfläche.
Fazit: Der behandelnde Zahnarzt entscheidet
Der Zahnarzt muss bei seiner Entscheidung für ein Kurzimplantat stets nach Einzelfall entscheiden. Ein „Kochrezept“ oder ein Flussdiagramm, das nach drei Ja-nein- Ankreuzübungen zu einem eindeutigen Pro oder Kontra führt, gibt es nicht.
Namentlich mit den Vier-Millimeter-Kurz-implantaten bewegt man sich in Grenzbereichen. Generell können sie an jeder Position gesetzt werden, aber für den Unterkiefer liegen Dokumentationen in Studien bereits vor [Slotte, 2012; Slotte et al., 2014].
Für den Oberkiefer liegen keine solchen Studien vor. Dennoch bleibt die Entscheidung letztlich im Ermessen des behandelnden Implantologen beziehungsweise des Patienten nach erfolgtem Beratungsgespräch.
Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Indika-tion kann je nach Alter des Patienten unterschiedlich beurteilt werden. Bei einem Senior, der ein Lebensalter von 80 Jahren bereits überschritten hat, wird man einen aufwendigen chirurgischen Eingriff inklusive Sinuslift und Knochentransplantat eher scheuen als bei einem 40-Jährigen. Dafür liegt die Restlebenserwartung (dies ist der in der Statistik gängige Begriff) bei dem Betagteren in der Regel nicht mehr so hoch, dass das betreffende Implantat 20 Jahre im Kieferknochen verankert bleiben müsste. Diese nüchterne Betrachtung kann im Fall des Seniors zu der Einschätzung führen: invasive Chirurgie nein – Implantation mit Kurzimplantat ja.
Eine typische Indikation dürfte folgendermaßen aussehen: Vier-Millimeter-Kurzimplantate im posterioren Bereich und längere (≥ 6 mm) im anterioren Bereich stabilisieren eine Prothese. Auch für festsitzende Brücken wird man das Vier-Millimeter-Implantat gern mit längeren Implantaten kombinieren. Damit ist das Indikationsspektrum sogar recht groß. Es schließt die Versorgung bei Freiendsituationen genauso ein wie Locator-, Magnet- und Teleskop- sowie Stegversorgungen. Für Einzelzahnrestaurationen auf Vier-Millimeter-Kurzimplantaten erteilt der Hersteller keine Freigabe.
Da sich Kurzimplantate gut in den generellen Trend zu minimalinvasiven Therapieansätzen einfügen, dürften sie in Zukunft an Bedeutung gewinnen: gewebeschonender arbeiten, Schmerzen und Schwellungen reduzieren – eine Option auch für Patienten, die sich bisher gegen eine implantologische Behandlung entschieden haben.
Weit mehr als ein Schraubenimplantat
Selbst Experten können sich allerdings kaum vorstellen, dass sich noch kürzere Dentalimplantate als diejenigen mit vier Millimetern Länge sinnvoll herstellen beziehungsweise klinisch einsetzen lassen – jedenfalls nicht als Schraubenimplantat, wohl auch nicht als Blattimplantat. Aber diese Einschränkungen lassen den Ingenieuren der deutschen Dentalindustrie noch Spielraum für neuartige Konstruktionen. Womöglich wird man in der Zukunft hier die eine oder andere Überraschung erleben.
Eine Top-Informationsmöglichkeit über Kurzimplantate im Speziellen und über die Fortschritte der Implantologie im Allgemeinen sowie über sämtliche aktuelle Innovationen in der Zahnheilkunde verheißt die Internationale Dental-Schau. Sie findet vom 10. bis zum 14. März 2015 in Köln statt.
Dr. Christian EhrensbergerHolbeinstr. 2060596 Frankfurt/M.cu_ehrensberger@web.de