Politische Verantwortung zeigen
Ziel der Krankenkassen ist, Leistungsprofile zu erstellen – und zwar nicht nur vom Patienten, sondern auch vom Zahnarzt“, brachte der KZBV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Eßer das Unverständnis des Berufsstands für die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Ausdruck, wonach die KZVen den Krankenkassen mit der Abrechnung auch die unverschlüsselte Zahnarztnummer übermitteln müssen. Eßer: „Was wir vermissen ist, dass der Gesetzgeber Normen setzt, die diesen Missbrauch verhindern.“
Die elementare Bedeutung des Datenschutzes im Gesundheitswesen – und hier insbesondere in der Arzt- und Zahnarztpraxis – bekräftigten auch seine Vorstandskollegen Dr. Jürgen Fedderwitz und Dr. Günther E. Buchholz: „Das Problem ist, dass die Kassen Anspruch auf alle Daten haben, ob sie der Abrechnung dienten oder nicht. Der Datenschutz gilt damit nicht mehr für Zahnärzte! Über uns dürfen die Kassen alles wissen.“
Die Falschabrechnung als nützlicher Hebel
Dass das Thema Datenschutz die Rechtsprechung seit jeher bewegt, veranschaulichte der Justiziar der KZBV, Dr. Thomas Muschallik. Denn schon in frühester Zeit gab es natürlich Geheimnisse, die es zu schützen galt – wie etwa das mit Siegelbriefen gewahrte Postgeheimnis oder eben das Arztgeheimnis. Damals wie heute gehe es um die wechselseitige Beschränkung der Regelungskompetenz zwischen dem Persönlichkeitsrecht und dem öffentlichen Interesse: „Diese Form der Güterabwägung im Sinne der Verhältnismäßigkeit spielt immer eine Rolle – auch bei der Frage der Datenübermittlung.“ Niemand habe das Recht auf seine persönlichen Daten im Sinne einer absoluten Herrschaft, sondern müsse, wenn es das Wohl der Gesellschaft erfordert, Einschnitte hinnehmen. Muschallik: „Die Kassen wünschen sich seit 20 Jahren unverschlüsselte Daten und führen die Falschabrechnung an, um eigene Kriterien dafür entwickeln zu können, wie sie die Zahnärzte erkennen können.“ Wie hier das BSG-Urteil zu interpretieren ist, das im Zuge der Abrechnung konkret die Kassenzahnärztliche Vereinigung Bayerns (KZVB) zur Übermittlung der unverschlüsselten Zahnarztnummer an die Krankenkassen verpflichtete, erläuterte Dr. Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein. Jeder Mensch habe das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – also auch der Zahnarzt. Ausschlaggebend sei aber hier, dass die zahnärztliche Entscheidung dem Urteil zufolge nicht beeinträchtigt sei. In diesem Fall „besteht ein sehr großes Interesse der Öffentlichkeit, dass der Arzt an der ordnungsgemäßen und kontrollierbaren Abrechnung mitwirkt“, erklärte Weichert die Intention der Richter. „Die Regelung dient der Überprüfung der Abrechnung“, führte er aus. „Und zur Abrechnung gehört die Plausibilitätskontrolle!“
Das sei Weichert zufolge der Zweck des Urteils und die Absicht des Gesetzgebers. Nichtsdestotrotz seien die Krankenkassen ein „Datenmoloch mit Big Data“. „Die Kassen haben irre Datenbestände und wir müssen aufpassen, dass sie mit den Patientendaten nicht wie im Selbstbedienungsladen umgehen“, führte der Datenschutzexperte aus. Die Möglichkeiten der Pseudonymisierung und der Anonymisierung seien überdies bei der Datenübermittlung nicht einmal ansatzweise ausgeschöpft. Sein Fazit: „Gesundheitsdaten sind – nicht nur für die Pharmabranche – ein heißbegehrtes und damit teures Wirtschaftsgut.“
Null Toleranz für bestechliche Zahnärzte
Für eine breite Diskussion sorgte das geplante Korruptionsgesetz für Ärzte und Zahnärzte. Ein Vorhaben, das nicht vom Berufsstand aufgebracht worden, sondern dem Aktionismus der Politik geschuldet sei, wie Eßer nachdrücklich bemerkte. „Die Position der KZBV und der BZÄK ist so eindeutig wie kurz“, brachte er die Haltung der Zahnärzteschaft auf den Punkt: „Null Toleranz bei korruptem Verhalten. Bestechung kann in unserer Gesellschaft an keiner Stelle geduldet und muss folgerichtig sanktioniert werden. Aber vor dem Hintergrund der berufsrechtlichen Regelungen und Normen, die wir bereits haben, lehnen wir einen solchen Straftatbestand ab.“ Eßer machte in diesem Zusammenhang aber auch unmissverständlich klar: „Ein genereller Korruptionsverdacht, der das Misstrauen gegenüber den Heilberuflern schürt, kann nicht akzeptiert werden. Es gibt keine gehäuften Fälle in den Heilberufen.“ Aufgabe der Berufspolitik sei, den Kollegen Hilfestellung in der Frage zu geben, was mit dem Berufsrecht vereinbar ist und was nicht. „Mit einer von uns verabschiedeten Compliance-Leitlinie können wir ein Zeichen nach Innen und Außen setzen“, konkretisierte Eßer das Ansinnen. Die Zahnärzteschaft sei verpflichtet, ihre politische Verantwortung zu signalisieren. „Inhaltlich ist diese Leitlinie protektiv für den Berufsstand und nicht als Sanktionierung zu verstehen“, pflichtete der Vorsitzende der KZV Hessen, Dr. Stephan Allroggen, Eßer bei. Auch Dr. Ute Maier, Chefin der KZV Baden-Württemberg, hob die Wichtigkeit einer solchen Richtschnur hervor: „Wir müssen den Mut haben, diese Leitlinie zu verabschieden!“
Der stellvertretende Vorsitzende der KZV Brandenburg, Rainer Linke, wies in dem Zusammenhang auf die damit gegebenenfalls verbundenen Fallstricke hin: „Wir dürfen hier nicht zu kleinkariert einsteigen und uns an Details verbeißen.“
Mit Best-Practice-Regeln Standards setzen
Eine rechtliche Einschätzung gab Prof. Dr. Gerhard Dannecker vom Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht der Uni Heidelberg. „Das Gesetz kommt“, stellte er klar. „Und zwar als Straftatbestand im Strafgesetzbuch.“ Allerdings werden aus seiner Sicht zwei Sachverhalte vermischt: der Patientenschutz und der Konkurrenzschutz. Ziel sei einerseits der Schutz des Vertrauensverhältnisses zum Patienten, andererseits der Schutz des Wettbewerbs. Zudem werde die Berufsgruppe der Mediziner besonders herausgegriffen, wiewohl es keine Ungleichbehandlungen geben dürfe. „Warum trifft es nur die Heilberufler, warum nicht alle?“, fragte er und befand: „Das ist rechtspolitisch falsch!“
Laut Dannecker könnten Best-Practice-Regelungen seitens des Berufsstands hilfreich sein, um Standards zu setzen. „Diese Compliance-Leitlinien liefern zwar keine Deutungshoheit im Strafrecht, haben aber dennoch großen Einfluss, weil sie der Konturierung der Pflichten dienen und zugleich Orientierungssicherheit schaffen, die rechtlich relevant ist.“ Im Unterschied dazu reiche das Berufsrecht als verbindliche Regelung zu weit.
Mit Blick auf das Versorgungsstärkungsgesetz formulierte Wolfgang Eßer die große demografische Herausforderung für das Gesundheitswesen: „Wir werden älter, wir werden weniger, wir werden urbaner.“ Wichtig sei daher, den Pflegebedürftigen die notwendige Versorgung – insbesondere mehr Leistungen für ihre zahnärztliche Versorgung – zukommen zu lassen. Gleichzeitig gelte es, die Arbeit auf dem Land für Heil- berufler attraktiver zu gestalten. Eßer: „Auch der Sachverständigenrat sieht die zentrale Herausforderung darin, dem räumlichen Missverhältnis in der Versorgung entgegenzuwirken.“
Für eine gerechtere und bessere Versorgung
Bei der Analyse des Versorgungsstärkungsgesetzes zeichnete er insgesamt ein ambivalentes Bild: Einerseits verbessere sich mit der Einführung des zahnärztlichen Präventionsmanagements auf Leistungsseite die auf- suchende Betreuung von pflegebedürftigen und behinderten Menschen. „Diese zusätzlichen Leistungen werden dazu führen, die Versorgungsgerechtigkeit zwischen den Versicherten zu verbessern“, betonte Eßer.
Andererseits sei die Selbstverwaltung durch das Gesetz extrem von Einschränkungen bedroht, wie der Schwund der freien Arztwahl durch Terminvergabe oder der Zwang zum Aufkaufen frei werdender Arztsitze in überversorgten Gebieten exemplarisch zeigten.
Als „Schritt in die richtige Richtung“ wertete Eßer die geplanten medizinischen Schwerpunktzentren für die Behandlung von Erwachsenen mit geistigen und schweren Mehrfachbehinderungen. Die flächendeckende und wohnortnahe Versorgung bei der Ausgestaltung erscheint ihm jedoch sehr fraglich. „Wenn diese besonderen MVZ Teil der ambulanten Versorgung werden sollen, dann muss eine zahnmedizinische Betreuung in allen Zentren angeboten werden, und zwar inklusive anästhesiologischer Leistungen, weil die betroffenen Patienten sich meist nur unter Narkose behandeln lassen.“
Was die Vertragslandschaft angeht: Indem die Anforderungen an die Kollektivverträge erhöht wurden, erhalten die Kassen laut Eßer immer größere Spielräume und die Selektivverträge werden gestärkt. Für die Zahnärzteschaft gelte weiterhin: „Selektivverträge dürfen nur ein Add-On zum Kollektivvertrag sein. Die Sicherstellung der wohnortnahen Versorgung kann nur über die Kollektivverträge erfolgen.“ Klar sei auch, dass die Anreize für die Niederlassung auf dem Land weiter sinken, wenn die Krankenhäuser für die ambulante Versorgung in strukturschwachen Gebieten geöffnet werden. Eßer: „Anstatt diese fehlende Versorgungsgerechtigkeit zwischen Stadt und Land sowie zwischen Menschen mit und ohne Handicaps auszugleichen, zielen die Instrumente aus dem VSG ins Leere.“
Leitparameter der Zukunft: die Qualität
Den Einfluss des Gesetzgebers auf das Gesundheitssystem – besonders auf Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement – schilderte Jürgen Fedderwitz. „Qualität und Morbidität werden in den nächsten Jahren die Leitparameter für die staatliche Steuerung unseres Gesundheitssystems sein beziehungsweise werden“, prognostizierte er und beleuchtete mit Blick auf das neue Institut für Qualitätssicherung und Trans- parenz im Gesundheitswesen (IQTiG) die Entscheidungsprozesse im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Für die Zahnärzteschaft werde es mit zunehmender Macht des Gesetzgebers zunehmend schwieriger, eigene Lösungen bei der Qualitätssicherung durchzusetzen, weil die ambulante und die stationäre Landschaft besser verzahnt werden sollen und das laut das Bundesgesundheitsministerium nur sektorübergreifend funktioniert. „Es wird zukünftig immer schwerer, für unseren anerkannten eigenen Sektor eigene Regelungen zu vereinbaren“, bilanzierte er.
Die ersten Ergebnisse aus dem Versorgungsatlas präsentierte Günther Buchholz. „Fest steht: Wir müssen keine Unterversorgung befürchten! Die Sicherstellung der zahnmedizinischen Versorgung ist bundesweit nach wie vor auf sehr hohem Niveau gewährleistet.“ Insgesamt steigen laut Buchholz die Zahnärztezahlen weiterhin, wobei die Zahl der Niedergelassen in eigener Praxis sinkt, während die der angestellten Zahnärzte nach oben geht. „Was die Neuimmatrikulationen beziehungsweise Approbationen betrifft, ist auch hier die Tendenz leicht steigend, so dass man nicht befürchten muss, dass die Zahnärztezahlen einbrechen.“ Selbst im Stadt-Land-Vergleich sei auf Planungsbereichs ebene keine Unterversorgung zu befürchten.
Allerdings legten die Auswertungen nahe, dass für die Zahnärzte über 60, die möglicherweise demnächst ihre Praxis aufgeben, nicht genügend Jüngere nachrücken.
Die jungen Zahnärzte verstehen
„Es ist notwendig, dass wir Aussagen treffen über das Verhalten der jungen Zahnmedi- ziner“, erklärte Buchholz. „Denn erst eine Verbindung des Versorgungskalenders mit den Wünschen und Vorstellungen dieser ganz anders tickenden Generation versetzt uns in die Lage, valide Aussagen in die Zukunft zu machen und Schlüsse für unsere Arbeit zu ziehen.“