Die odontogene Kieferhöhlenentzündung
Die Kieferhöhle ist neben den Siebbeinzellen, der Stirnhöhle und der Keilbeinhöhle eine der Nasennebenhöhlen [Anon, 1996]. Der Boden der Kieferhöhle grenzt an den lateralen Oberkieferalveolarfortsatz. Die Apices der Prämolaren haben im Durchschnitt einen Abstand von 4 bis 6 mm und die Apices der Molaren von 2 bis 3 mm zum Kieferhöhlenboden. Teilweise ragen die Wurzeln sogar in die Kieferhöhle hinein, beispielsweise ist dies bei der mesiobukkalen Wurzel des zweiten Molaren bei 53 Prozent der Menschen der Fall [von Bonsdorff, 1925]. Diese enge Lagebeziehung zwischen den Zähnen und dem Lumen der Kieferhöhle erklärt die häufige Fortleitung von odontogenen Infektionen in die Kieferhöhle (Abbildung 1).
Die Kieferhöhle ist wie das gesamte sinubronchiale System mit respiratorischem Epithel ausgekleidet. Dieses Epithel trägt Zilien, die das Sekret und darin gefangene Fremdkörper und Bakterien über das Ostium aus der Kieferhöhle heraustransportieren. Das Ostium ist im kranialen Bereich der lateralen Kieferhöhlenwand lokalisiert und mündet über den sogenannten ostiomeatalen Komplex im mittleren Nasengang (Abbildung 2). Der Sekrettransport ist deshalb ein aktiver, gegen die Schwerkraft gerichteter Prozess. Er erfolgt in geordneten, spiral- oder sternförmigen Pfaden. Die Transportgeschwindigkeit beträgt circa 6 mm/min [Messerklinger, 1966].
Das Kieferhöhlensekret wird durch in der Schleimhaut befindliche Drüsen und Becherzellen gebildet. Das Sekret auf der Mukosa gliedert sich in eine Solschicht, in die die Zilien hineinragen, und in eine Gelschicht. Der gesamte Mechanismus wird in dem Begriff mukoziliäre Clearance zusammengefasst.
Dem ostiomeatalen Komplex kommt als Engstelle beim Sekrettransport eine besondere Bedeutung zu. Durch anatomische Varianten, wie das Vorliegen von Haller´schen Zellen (infraorbital abgehängte Ethmoidalzellen), maxilläre Septen oder eine Concha bullosa (pneumatisierte mittlere Muschel), kann es zu einer Einengung und zu einem langstreckigen Verlauf dieses sogenannten Infundibulums bis zum Ostium kommen. Sie begünstigen damit die Entstehung einer Sinusitis.
###more### ###title### Pathophysiologie der Sinusitis maxillaris ###title### ###more###
Pathophysiologie der Sinusitis maxillaris
Die Sinusitis maxillaris kann rhinogene oder odontogene Ursachen haben. Die zurunde liegende Pathophysiologie ist jedoch identisch.
Von einer akuten Sinusitis maxillaris spricht man bei einer Dauer von weniger als acht Wochen oder weniger als vier Episoden pro Jahr bei Erwachsenen. Beim Kind dürfen die Symptome maximal zwölf Wochen anhalten oder sechsmal pro Jahr auftreten. Länger dauernde oder häufigere Kieferhöhlenentzündungen mit residualen Symptomen sind als chronische Sinusitis definiert [Lund, 1995].
Bei einem akuten Entzündungsprozess kommt es zu einer Steigerung der Sekretproduktion und zu einer Zunahme der Sekretviskosität. Die Breite der Gelschicht steigt und in der Folge wird der transportierende Zilienschlag weniger effektiv. Gleichzeitig kommt es zu einer Lähmung und Desorientierung der Zilienschläge. Im Weiteren kann es zu Mukosaläsionen kommen mit einer Unterbrechung der geordneten Sekrettransportwege. Die Kieferhöhlenschleimhaut schwillt an, was im Bereich des Ostiums zu einer Einengung oder sogar Verlegung führen kann. Bei einem vorbestehend sehr engen und langstreckigen Ostium ist das Risiko natürlich höher.
Letztlich steigt die Gefahr einer Mukostase, der Abtransport von Fremdkörpern oder Keimen kann sistieren. Beim Übergang in eine chronische Sinusitis maxillaris kann es zu einer Proliferation der Kieferhöhlenschleimhaut kommen mit Ausbildung einer Polyposis. Die polypös veränderte Schleimhaut ist meist auf die Wände begrenzt, kann aber in Extremfällen das gesamte Kieferhöhlenlumen ausfüllen, über das natürliche Ostium in die Nasenhaupthöhle oder bei Vorliegen einer Mund-Antrum-Verbindung (MAV) in die Mundhöhle prolabieren.
Odontogene Infektion
Alle odontogenen Infektionen im Bereich der Oberkieferseitenzähne können prinzipiell in die Kieferhöhle fortgeleitet werden.
Die häufigste Ursache mit 60 bis 70 Prozent ist die MAV. Durch die Eröffnung der Kieferhöhle vom Mund aus können Keime in die Kieferhöhle eindringen. Insbesondere beim Vorliegen einer apikalen Parodontitis kommt es zu einer Rare- fizierung der sehr dünnen Knochen- lamelle oberhalb der Wurzelspitzen – das begünstigt die Entstehung einer MAV bei der Extraktion.
Andere Ursachen können ein in die Kieferhöhle dislozierter Zahn (Abbildung 3), eine radikuläre (Abbildung 4) oder eine follikuläre Zyste sein. Aber auch Fremdkörper aus der Mundhöhle wie dentale Implantate, alloplastisches oder autologes Augmentationsmaterial sind mögliche Auslöser für eine bakterielle Sinusitis. Meist handelt es sich um eine Mischinfektion mit dem typischen Keimspektrum einer odontogenen Infektion. Die Leitkeime einer akuten Kieferhöhleninfektion sind S. pneumoniae, H. influenzae und M. catarrhalis. Beim Übergang in eine chronische Form nehmen die anaeroben Keime, wie Peptostreptokokken, Propioniberacte-rium, Eubacterium, Bacteroides, Prevotella, Fusobacterium und Veillonella, zu.
Eine spezielle odontogene Kieferhöhlenentzündung ist die Aspergillose (Abbildung 5b). Diese Pilzinfektion wird durch Aspergillus fumigatus verursacht. Es handelt sich dabei um eine nicht invasive Mykose. Ursächlich für die Entstehung ist in die Kieferhöhle überstopftes Wurzelfüllmaterial, das durch seinen Zinkgehalt die Entstehung begünstigt. Das Pilzmycel liegt frei im Kieferhöhlenlumen. Die Infektion selbst verläuft häufig asymptomatisch und wird oft als Zufalls- befund in der Röntgendiagnostik festgestellt. Pathognomonisch ist neben der Verschattung der Kieferhöhle der Nachweis von metalldichten Strukturen.
###more### ###title### Diagnostik ###title### ###more###
Diagnostik
Da die Therapie ursächlich ausgerichtet sein muss, ist die Unterscheidung zwischen einer rhinogenen und einer odontogenen Kieferhöhlenentzündung entscheidend. Abhängig von der Studiengruppe, der Untersuchungstechnik und der Zahngesundheit werden in der Literatur 20 bis 40 Prozent der Kieferhöhlenentzündungen einer odontogenen Ursache zugeschrieben.
Damit kommt bereits der Anamneseerhebung eine entscheidende Bedeutung zu. Bei der Sinusitis maxillaris haben die Patienten Schmerzen und ein Druckgefühl im Bereich der Kieferhöhle, das sich beim Bücken verstärkt. Sie klagen über den Ausfluss von schleimigem oder eitrigem Nasensekret, bei der odontogenen Sinusitis in der Regel einseitig. Im akuten Stadium können die Patienten Fieber haben und in einem reduzierten Allgemeinzustand sein, während in einem chronischen Stadium alle Symptome abgeschwächt und diffuser wirken können. Vorausgegangene hals-nasen-ohrenärztliche oder zahnärztliche Maßnahmen im Bereich der Nase, der Nasenneben-höhle oder der Oberkieferzähne sind zu erfragen.
Die klinische Untersuchung beinhaltet die Erhebung des Zahnstatus mit Sensibilitätstestung und Taschentiefenmessung. Beim Verdacht auf das Vorliegen einer MAV sollten der Nasenblasversuch und die Sondierung mittels Knopfsonde angewendet werden. Bei beiden Techniken sind fehlerhafte Ergebnisse möglich. Bei Vorliegen einer chronischen Sinusitis maxillaris mit Polyposis kann der Nasenblasversuch durch prolabierende Polypen falsch negativ ausfallen, bei einer odontogenen Zyste kann die Sondierung der Alveole falsch positiv ausfallen.
Bei Verdacht auf eine Sinusitis maxillaris folgt die Inspektion der Nasenhaupthöhle mittels anteriorer Rhinoskopie. Eine Schleim- oder Eiterspur im mittleren Nasengang kann ein Hinweis auf eine Kieferhöhlenentzündung sein. In der erweiterten visuellen Untersuchung der Nasenhaupthöhle können die Nasengänge mit einem starren Endoskop inspiziert werden und Sekretstraßen nachgewiesen werden.
Die Röntgendiagnostik umfasst die konventionellen zahnärztlichen Aufnahmen Mundfilm und/oder Panoramaschichtaufnahme.
Hier lassen sich odontogene Foci nachweisen und partiell die Kieferhöhle beurteilen. In der speziellen Diagnostik der Kieferhöhle hat in den vergangenen Jahren die dreidimensionale Bildgebung (CT, DVT) die konventionelle Nasennebenhöhlenaufnahme weitgehend verdrängt. Dies liegt an der überlagerungsfreien Darstellung der Strukturen einschließlich des ostiomeatalen Komplexes, was Auswirkungen auf eine mögliche chirurgische Therapie hat.
Bei der rhinogenen Sinusitis sind in der Regel mehrere und beidseits Nasennebenhöhlen verschattet, bei der odontogenen Sinusitis maxillaris ist meist nur einseitig die Kieferhöhle betroffen, manchmal sogar mit eindeutig basal betonter Schleimhautschwellung (Abbildung 6).
Eine mikrobiologische Testung der Erreger mit Erstellung eines Antibiogramms wird im ambulanten Sektor nur in besonderen Fällen, wie bei vorbehandelten Sinusitiden oder therapierefraktärem Verlauf, durchgeführt.
###more### ###title### Prinzipielles zur Therapie ###title### ###more###
Prinzipielles zur Therapie
Die Therapie ist immer ursächlich ausgerichtet. Im Fall einer odontogenen Sinusitis bedeutet dies deshalb immer die Therapie des odontogenen Focus. Weiter ist jede Therapie auf eine Wiederherstellung einer normalen Belüftung und Drainage der Kieferhöhle ausgerichtet, um die mukoziliäre Clearance wiederherzustellen. Dabei muss die Kieferhöhlenschleimhaut erhalten werden.
Einsatz von Medikamenten
Bei der akuten bakteriellen Sinusitis maxillaris haben nur Antibiotika einen nachweisbaren therapeutischen Effekt. Zur Therapie empfohlen werden Aminopenicilline mit Beta-Lactamase-Inhibitoren oder Cephalosporine der zweiten oder der dritten Generation [Bachert, 2003}. Für die therapeutische Wirksamkeit von abschwellenden Nasentropfen oder Sekretolytika gibt es keine Evidenz. Abschwellende Nasentropfen lindern lediglich symptomatisch die begleitende nasale Obstruktion. Antihistaminika können bei einer allergischen Prädisposition hilfreich sein.
Bei der chronischen Sinusitis maxillaris gibt es keinen Nachweis, dass Antibiotika eine Wirksamkeit haben. Gleiches gilt wieder für abschwellende Nasentropfen und Sekretolytika. Lediglich topisch angewandte Steroide scheinen einen positiven Effekt zu haben.
Analgetika dienen nur zur symptomatischen Schmerztherapie.
Transorale Chirurgie
Über viele Jahrzehnte war die osteoklastische, transantrale Kieferhöhlenoperation nach Caldwell-Luc die Standardoperation [Caldwell, 1893]. Bei diesem Eingriff wurde die Kieferhöhle über einen transoralen, vestibulären und osteoklastischen Zugang über die faziale Wand eröffnet. Im Weiteren wurde die gesamte Kieferhöhlenschleimhaut entfernt und die Kieferhöhle breit zum unteren Nasengang hin gefenstert. Diese Technik ist heute für die Therapie entzündlicher Kieferhöhlenerkrankungen obsolet, da sie die physiologischen Grundlagen der mukoziliären Clearance und der Drainage über den mittleren Nasengang nicht berücksichtigt. Viele dieser Patienten leiden heute noch an den Folgen des Eingriffs, insbesondere an neuralgiformen Schmerzen im Ausbreitungsgebiet des N. maxillaris, aber auch an Okklusionszysten – und stellen hier den Zahnarzt vor kaum lösbare Probleme. Für die Manipulation im Lumen der Kieferhöhle haben sich osteoplastische und Schleimhaut-erhaltende Methoden durchgesetzt.
Minimalinvasiv kann über eine bestehende MAV oder über ein kleines Bohrloch in der fazialen Wand die Kieferhöhle endoskopisch untersucht und bei Bedarf eine Biopsie gewonnen werden.
Für umfangreichere Maßnahmen, wie die Entfernung einer odontogenen Zyste, eines Aspergilloms von autologem oder alloplastischem Augmentationsmaterial oder eines dislozierten Zahnes, werden faziale Kieferhöhlendeckel mit der Mikrostichsäge präpariert und anschließend wieder replantiert. In der Technik nach Feldmann [Feldmann, 1978] wird der Knochendeckel vollständig entnommen und bei der Replantation mit Fäden fixiert (Abbildung 7), bei der Technik nach Abello [Abello, 1958] wird der Knochendeckel im Bereich des kranialen Verlaufs infrakturiert und abschließend zurückgeklappt (Abbildung 8). Lindorf [Lindorf, 1974] hat die konvergierende und damit facettierte Osteotomie des Knochendeckels beschrieben, um damit eine Dislokation des Knochendeckels in das Kieferhöhlenlumen zu vermeiden. Allen Techniken gemeinsam ist, dass die Kieferhöhlenschleimhaut erhalten wird und dass es zu keinem knöchernen Defekt in der fazialen Kieferhöhlenwand kommt.
###more### ###title### Transnasale endoskopisch assistierte Chirurgie ###title### ###more###
Transnasale endoskopisch assistierte Chirurgie
Zur temporären Verbesserung der Belüftung der Kieferhöhle kann eine Drainage zum unteren Nasengang angelegt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass das natürliche Kieferhöhlenostium keine Pathologika aufweist.
Bei einer Einengung oder einer Verlegung des Kieferhöhlenostiums im mittleren Nasengang ist eine Infundibulotomie indiziert (Abbildung 9a bis 9c). Hierbei wird endoskopisch, transnasal das natürliche Kieferhöhlenostium im mittleren Nasengang dargestellt und erweitert [Stammberger, 1986]. Aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft zur medialen Orbitawand (Abbildung 1) und zur Schädelbasis erfordert dieser Eingriff eine besondere Übung. Die Fensterung im mittleren Nasengang berücksichtigt dabei die physiologischen Wege der mukoziliären Clearance.
Fazit
Die isolierte, unilaterale Sinusitis maxillaris ist immer verdächtig auf einen ursächlichen odontogenen Focus. Sie tritt in chronischer oder akuter Form auf und hat im Gegensatz zur rhinogen bedingten Form immer eine fokale Ursache, wie eine Mund-Antrum-Verbindung, eine periapikale Entzündung, einen Fremdkörper oder eine Aspergillose.
• Therapeutisches Ziel sind die Sanierung der Entzündungsursache und die Wiederherstellung einer regelrechten Belüftung der Kieferhöhle mit konsekutiver Ausheilung der Schleimhaut bei möglichst geringer Belastung des Patienten.
• Für die chirurgische Therapie gilt daher, dass die Physiologie der Kieferhöhle beachtet und möglichst atraumatisch vorgegangen werden muss. Der osteoplastische Zugang zur Kieferhöhle über die faziale Kieferhöhlenwand ist nur noch in einem Teil der Fälle indiziert. Die Voraussetzungen für eine dauerhafte Drainage und Ventila- tion der Kieferhöhle werden mithilfe der endoskopisch assistierten Beseitigung von Engstellen im Bereich des Ostiums und gegebenenfalls der Nasenhaupthöhle geschaffen.
• Unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der funktionell-endoskopischen OP-Technik der Nasennebenhöhlenchirurgie (FESS) für die rhinogen erkrankten Nasennebenhöhlen kann somit auch die Chirurgie der odontogen erkrankten Kieferhöhle im Sinne der Minimierung des OP-Traumas und nachhaltiger Ergebnisse weiterentwickelt werden.
Prof. Dr. Dr. Michael KrimmelProf. Dr. Dr. Siegmar ReinertLeitender Oberarzt und stellvertretender ärztlicher DirektorKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieOsianderstr. 2-872076 TübingenMichael.Krimmel@med.uni-tuebingen.de