Teilen statt besitzen
Bias von Priene, griechischer Weiser (590 bis 530 v. Chr.), brachte damals schon auf den Punkt, wonach die Vertreter der Share Economy streben: „Omnia meam mecum porto!“ Auf Deutsch heißt das: „Alles was ich habe, trage ich bei mir.“ Oder wie der österreichische Zukunftsforscher Matthias Horx es formuliert: „Mein Eigentum ist im Kopf.“ Der Werbespot der Neunzigerjahre „mein Haus, mein Auto, meine Yacht“ scheint ausgedient zu haben. Statt Besitztümer anzuhäufen, um mit ihrer Hilfe den eigenen sozialen Status nach außen zu dokumentieren, verliert Eigentum für eine steigende Anzahl vor allem junger Menschen zunehmend an Bedeutung. Für sie heißt das neue Credo „leihen, tauschen, mieten und teilen.“ Die Organisation dieser neuen Lebensform findet im Internet auf verschiedenen Plattformen statt. Angeboten werden Dinge des täglichen Bedarfs wie Autos, Bohrmaschinen, Kinderwagen, Wohnungen und vieles mehr.
Ursprünglich stammt die Idee der Share Economy vom amerikanischen Harvard-Ökonomen Martin Weitzman. Der Gedanke dahinter ist, dass sich der Wohlstand für alle erhöht, je mehr unter den Markteilnehmern geteilt wird. Voraussetzung für die Umsetzung des Konzepts war die problemlose Kommunikation der Marktteilnehmer untereinander. Die Einführung des Internets schuf die idealen Bedingungen für den KoKonsum (Abkürzung von kollaborativer Konsum). E-Mails, Facebook und Twitter sind die Instrumente, mit deren Hilfe man sein Wissen mit vielen teilen kann. Ein Beispiel ist Wikipedia. Auf dieser Plattform kann jeder seine Fachkenntnisse einbringen und alle Nutzer können davon profitieren. So richtig präsent wurde das Thema Teilen, als die Hannover-Messe den Begriff Shareconomy erfand und zum Leitthema der CeBit im Jahr 2013 machte.
Interaktive Börse
Was die wirtschaftliche Bedeutung angeht, so kann jeder via Internet Gebrauchsgüter anbieten, die jemand anderes dann gegen eine Gebühr oder umsonst nutzen kann. Ein inzwischen schon alltägliches Beispiel ist das Carsharing. Es ermöglicht vor allem den Bewohnern mittlerer und größerer Städte den Verzicht aufs eigene Auto.
Längst macht der Teilungsgedanke sich auch im Musikgeschäft breit. Vor allem junge Leute kaufen sich statt einer kompletten CD die Rechte, ausgewählte Songs für eine bestimmte Zeit hören zu dürfen. In der Landwirtschaft hat sich zum Beispiel der gemeinsame Kauf von Maschinen seit Langem bewährt. Dabei schließen sich Besitzer kleinerer Betriebe zu einem Kaufring zusammen, um gemeinsam einen Mähdrescher zu erwerben, den jeder von ihnen nur zeitweise benötigt.
Genervte Autofahrer schätzen den Service von parkatmyhouse.com. Diese App fürs Smartphone verhilft Suchenden zu einem freien Privatparkplatz, der gegen eine Gebühr zeitweise besetzt werden darf. Anderes Beispiel: Ein weltweiter Riesenerfolg ist die Plattform Couchsurfing. Dabei geht es vor allem um Gastfreundschaft und das Interesse an fremdem Besuch. Auf dieser Internetseite findet man Schlafgelegenheiten in über 100 000 Städten weltweit. Betten und Sofas werden den Gästen kostenlos zur Verfügung gestellt.
Sozial oder kommerziell
Generell unterscheidet man zwei Modelle der Share Economy. Bei der Peer-to-Peer-Methode regeln Privatleute den Leihvorgang untereinander. So nennt der eine beispielsweise eine Bohrmaschine sein Eigen, benutzt sie aber nur selten, und jemand anderes möchte dringend einen Dübel in die Wand treiben und ihm fehlt das entsprechende Werkzeug. Kein Problem: Er schaut dann ins Internet etwa auf die Homepage von www.leihdirwas.de oder www.whyownit.com und findet dort eine Auswahl an Maschinen, die er leihen kann. Dort findet er verschiedene Angebote – auch in der Nähe und zu unterschiedlichen Gebühren. Er nimmt den Kontakt mit dem Besitzer auf und vereinbart dann die Übergabe.
Manche Anbieter verleihen ihre Gebrauchsgüter sogar umsonst. Phillip Gloeckler, Initiator von whyownit, formuliert den Hintergedanken für die Entwicklung seiner Idee: „Collect moments not things.“ Sammle Momente statt Dinge. Eine ideale Vor- stellung, die wenn sie funktioniert, die Menschen zusammenbringt, ihnen beim Sparen hilft und die Umwelt schützt, weil weniger Müll produziert wird.
Eine hilfreiche Idee, um den Zugang zu den angebotenen Gegenständen zu erleichtern, kreierte die Schweizerin Lisa Ochsenbein zusammen mit ihren Mitstreitern Ivan Mele und Illustratorin Sabine Hirsig. Statt eines Nutzer-Accounts auf einer Webplattform einzurichten, können Interessenten die Briefkästen der Teilnehmer als Kommunikationsmittel nutzen. Auf ihrer Homepage www.pumpipumpe.ch bietet sie kleine Sticker mit 46 verschiedenen Motiven von der Discokugel über Racletteöfeli, Schlitten, Beamer bis zur Luftpumpe an. Die Nutzer fordern sie an, kleben die Bildchen auf ihre Brief- kästen und signalisieren so, welche Dinge sie verleihen möchten.
Die Motivation der Initiatoren, die übrigens unentgeltlich arbeiten, lautet: „Pumpipumpe setzt sich für einen bewussten Umgang mit Konsumgütern und mehr soziale Interaktion in der Nachbarschaft ein. Das Leihen und Ausleihen von Dingen, die man nur selten braucht, soll gefördert werden.“
Der Versand nach Deutschland und innerhalb der Schweiz ist gebührenfrei. Bislang funktioniert der Verein mithilfe von Spenden.
Eher gewinnorientiert ist das Konzept „Business to Consumer“. Hierbei organisiert ein Unternehmen den Leihvorgang auf professionelle Weise. Ein Beispiel dafür sind die Carsharing-Unternehmen wie Cambio oder Flinkster, ein Unternehmen der Bundesbahn.
Sie stellen die Autos und die Kunden können sie gegen eine Gebühr für eine bestimmte Zeit ausleihen. Bei Cambio muss man Mitglied sein, eine Jahresgebühr zahlen und die Kosten für das Leihauto. Bei Flinkster möchte die Bahn ihren Kunden zu mehr Flexibilität verhelfen, wenn diese ihr Ziel nicht mit dem Zug erreichen können.
Statt in ein teures Taxi kann man zu einem günstigeren Preis in einen Privatwagen steigen. Über eine App bietet Uber sehr zum Ärger der professionellen Taxifahrer seine privaten Fahrdienste in verschiedenen deutschen Städten an. Ebenfalls gegen eine Gebühr vermittelt Airbnb über eine Internetplattform Privatwohnungen an Interessenten in 190 Ländern. Obwohl der Firma kein einziges Bett gehört besitzt sie inzwischen einen Marktwert von zehn Milliarden Dollar. Probleme gibt es jetzt, weil auch professionelle Vermieter ihre Wohnungen über die Plattform vermitteln lassen. Das ruft die Städte und das Hotelgewerbe auf den Plan. Denn wer nur sein eigenes Bett anbietet, zahlt zum Beispiel weniger Steuern als die Profis. Für die Unterhaltung der Kleinen sorgt
die „Spielzeugkiste“. Dort können Eltern für ihre Sprösslinge gegen eine Gebühr typ- gerechte Spielzeuge für eine bestimmte Zeit mieten und dann gegen neue umtauschen. Alle Teile werden gewaschen und verpackt weitergereicht.
Egal ob gegen Cash oder umsonst, wer persönliche Dinge mit fremden Menschen teilt, setzt voll auf gegenseitiges Vertrauen. Ohne das Gefühl, sich auf den „Geschäftspartner“ verlassen zu können, funktioniert die Share Economy nicht. Jeder, der daran teilnimmt, muss für die Dinge, die er benutzt die Verantwortung übernehmen. Nur dann kommen die Vorteile dieser Wirtschaftsform auch voll zum Tragen. Das Internet hilft dabei. Wer sich auf die Anbieterseiten begibt, findet zum Beispiel bei Airbnb Kommentare von Nutzern. So kann man sich vorab über die Qualität der Wohnungen, Sauberkeit, Einrichtung und die Freundlichkeit des Vermieters informieren.
Kontakt schafft Gewinn
Vor Kurzem widmete das amerikanische Internet-Magazin Wired der Share Economy eine Titelgeschichte. Darin heißt es: „Wir beginnen eine neue Ära der Intimität, die das Internet ermöglicht.“ Wer sich Dinge leiht oder das private Angebot zum Übernachten annimmt, lernt Menschen kennen, die ihm normalerweise nicht begegnet wären. Vor allem von Initiativen wie die „Couchsurfer“ profitieren kommunikationsfreudige Menschen. Sie werden meistens sehr freundlich von ihren Gastgebern empfangen, bekommen Tipps für den Aufenthalt in der Stadt und vielleicht sogar eine persönliche Führung.
Vor allem aber entdecken die Teilnehmer der Share Economy eine neue Einstellung zum Konsum. Peter Wippermann, Professor für Kommunikationsdesign an der Essener Folkwangschule, erklärt: „Unsere Konsum-Modelle differenzieren sich aus. Der Zyklus des „kaufen-nutzen-besitzen-wegwerfen“ wird aufgebrochen.“ Im Netz steht der Nutzen an erster Stelle. Man kann die Bohrmaschine kaufen, leihen oder gegen einen anderen Gegenstand tauschen. Das wichtigste bleibt die Nutzbarkeit. Wippermann: „Die Wettbewerbsvorteile gegenüber Besitz und Wegwerfen werden in Zukunft noch wichtiger: Erlebnisqualität, Sinnstiftung, Gemeinschaft, lokale Nähe, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung.“
Ein Leben nach den Regeln der Share Economy hat Whyownit-Erfinder Phillip Gloeckler ausprobiert, vor allem um zu prüfen, inwieweit seine App funktioniert. Monatelang hat er außer Lebensmitteln und Hygieneartikeln nichts gekauft. Was er brauchte, hat er sich geliehen. Allerdings möchte er nicht nur so leben. Gloeckler gegenüber der Zeitschrift „Brand eins“: „Das Leihen soll nur der Anlass sein, sich mit Freunden zu treffen.“ Ohne diesen Mehrwert findet er das Teilen von Dingen des täglichen Lebens zu aufwendig. So muss, wer einen Dübel anbringen will, eine Bohrmaschine im Netz suchen, einen Übergabetermin vereinbaren, das Gerät abholen und später wieder zurückbringen. Seiner Meinung nach zu aufwendig. Natürlich werden sich nicht alle Ideen des Teilens durchsetzen und bislang ist es auch nur eine Minderheit, die diese Angebote nutzt. Doch bieten sie viele sinnvolle Möglichkeiten, Geld zu sparen und für andere Dinge auszugeben.
Marlene EndruweitFachjournalistin für Wirtschaftm.endruweit@netcologne.de