Gastkommentar

Neidkomplexe

Wie geht unsere Gesellschaft mit ihren Eliten um? Und wie hoch ist der Neidfaktor? Das beleuchtet Hans Glatzl, dgd-Redakteur Vincentz-Network, Berlin.

Dem deutschen Volkscharakter wird der Neid als besonders auffällige Eigenschaft zugeschrieben. Der Durchschnittsbürger scheut deshalb vor nichts so sehr zurück wie vor der Preisgabe seiner Einkommensverhältnisse. Umgekehrt stellt die Bekanntgabe derartiger Eckdaten für herausragende Personengruppen eine Art moderner Pranger dar. Die Angst, dort einer neidischen Öffentlichkeit preisgegeben zu werden, treibt Blüten, die eigentlich nur auf der Therapeutencouch abgeerntet werden können. Kolportiert wird in diesem Zusammenhang die Geschichte eines Kieferorthopäden, der sein Hobby – er fährt einen Oldtimersportwagen – angeblich nur nachts und fern der Heimat ausüben kann, weil er die neidischen Blicke seiner Nachbarn fürchtet. Verrückt? Unglaublich? Aber vermutlich wahr! Gesellschaftlich organisierter Neid ist die Strafe für Ärzte, die jenseits der GKV-WANZ(wirtschaftlich ausreichend notwendig zweckmäßig)-Medizin arbeiten. Würde der Mann in den USA leben, wäre Mehrleistung kein Stein des Anstoßes.

Wer dieser Tage die Verlautbarungen des GKV-Spitzenverbands zum Thema Arzteinkommen verfolgt, weiß, wie geschickt dieses System von Insidern gehandhabt wird, um eigene Defizite zu verdecken. Genüsslich bedient der stellvertretende Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands anlässlich einer Pressekonferenz zum Thema „Ärztemangel“ die Neidinstinkte seines Publikums.

„Wir haben immer mehr Ärzte, die immer mehr Geld verdienen“, so die Botschaft unter sorgenvollem Kopfschütteln über eine gesellschaftliche Randgruppe, die offenbar den Kragen nie voll bekommt. Nach Ansicht des GKV-Spitzenverbands liegt das Ein- kommen niedergelassener Ärzte mit durchschnittlich 166 000 Euro brutto auf einem Rekordniveau und damit weit über dem Durchschnitt der Bevölkerung, so die Kassen. Zur Erläuterung: Pro Praxis wird laut Destatis sogar ein Betrag von 235 000 Euro angegeben. Wohlgemerkt: Es handelt sich dabei um Durchschnittszahlen und nicht um den reelleren Median.

Hinter dieser leicht durchschaubaren Posse einer Jagd nach den Pawlowschen Reflexen steht jedoch eine tiefer gehende Frage: Wie geht unsere Gesellschaft mit ihren Eliten um? Welche Einstellung bringt das BILD-Volk einem Berufsstand entgegen, Medizinern, die als selbstständige Akademiker mit einer hohen Verantwortung für Leib und Leben ihrer Patienten täglich unter hohem Leistungsdruck und persönlichem Einsatz hart arbeiten? Gehalts- und Tätigkeitsvergleiche mit noch lebenden Politikern und Funktionären verbieten sich hier schon allein aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes und um Beleidigungsklagen zu vermeiden. Wie viel der Vorstand des GKV-SV verdient, lässt sich googeln.

Das eigentliche Problem dieser vorder- gründigen Hetzjagd sind die Folgen dieses Manövers, mit dem geschickt von jeder rationalen Auseinandersetzung, gar ernsthaften Diskussion um Lösungen im Gesundheitswesen, seit Jahren abgelenkt wird. Einer optimalen Patientenversorgung wird damit – sollte diese tatsächlich ernsthaft betrieben werden – jedenfalls ein Bärendienst erwiesen.

Denn eine Leistungselite lässt sich auf Dauer von mittelmäßigen Zoowärtern nicht am Nasenring durch die Arena ziehen. Schon die Bibel wusste um die Gefahr. Der Neid gehört nicht von ungefähr als gemeinschaftszersetzendes Element zu den sieben Todsünden. Positiv gewendet analysiert Arthur Schopenhauer die Volksseele: In Deutschland ist Neid die höchste Form der Anerkennung. Na dann mal weiter so!

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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