Ein Körnchen Wahrheit
„Krebsmythen und Gerüchte können sehr verunsichern“, sagt Dr. Susanne Weg-Remers, Leiterin des KID. „Wir bekommen viele Anrufe und E-Mails von besorgten Menschen. Auslöser sind Aussagen, die sie im Internet gefunden oder im Bekanntenkreis gehört haben. Die meisten Anfragenden sind sehr erleichtert, wenn wir ihnen fundierte wissenschaftliche Fakten zu ihrer Frage bieten können.“
Nicht wenige Mythen, die sich um das Thema Krebs ranken, haben laut Weg-Remers weltanschauliche Bezüge. Dazu gehören beispielsweise Aussagen, die bestimmte Lebensstile als krebserregend brandmarken oder Krebs als Strafe für Eitelkeit und andere vermeintliche Sünden definieren: Beispiele sind etwa die Diskussionen um Abtreibung, um Sterilisation zur Empfängnisverhütung oder sogar um zu enge BHs als Krebsauslöser. Bei anderen Aussagen ist recht gut zu erkennen, dass das Geschäft mit der Angst vor Krebs eine Rolle spielt – etwa wenn Nahrungsergänzungsmittel damit beworben werden, dass mit normalen Lebensmitteln heutzutage kein Schutz vor Krebs mehr zu erreichen sei.
In manchen Gerüchten steckt neben Missverständnissen allerdings auch ein Körnchen Wahrheit, wie der KID mitteilt: Die Hypothese, dass Kartoffeln oder Tomaten für Krebspatienten unverträglich seien, bezieht sich demnach wohl auf das schwach giftige Solanin, das in rohen Kartoffeln oder grünen Tomaten enthalten sein kann. Bei richtiger Reifung, Lagerung und Zubereitung stellen aber weder Kartoffeln noch Tomaten ein Risiko für Patienten dar. Vor den „Sutoxinen“ im Schweinefleisch muss sich laut Weg-Remers ebenfalls niemand fürchten: Im 19. Jahrhundert wurde ihre Existenz zwar behauptet, sie konnte bis heute jedoch nicht bewiesen werden.
Um Verunsicherungen abzubauen, sind die Wissenschaftler des KID einer Reihe von Mythen und Irrtümern auf den Grund gegangen. Hier eine Auswahl:
Krebsviren sind kein Infektionsrisiko
Hartnäckig hält sich in der heutigen Zeit das Vorurteil, man könne sich mit Krebs infizieren. Neue Nahrung hat die Angst vor Ansteckung durch die Forschungen zu Krebsviren erhalten. Tumorviren sind aber laut KID nicht infektiös und spielen zudem nur bei einigen wenigen Krebsarten eine Rolle. Auch bei den virusbedingten Krebsformen müssen fast immer weitere Risikofaktoren hinzukommen, damit sich tatsächlich ein bösartiger Tumor bildet. Bei den häufigen Krebsarten wie Brustkrebs, Prostatakrebs, Darmkrebs oder Lungenkrebs spielen Viren oder andere Erreger nach heutigem Wissensstand keine Rolle.
Die Wissenschaftler des KID weisen daher explizit darauf hin, dass Krebs auf keinen Fall übertragbar ist, weder bei normalem Umgang noch bei intimen Kontakten und auch nicht bei der Pflege von Patienten. Denn Krebspatienten scheiden normalerweise keine Krebszellen aus. Kommt ein Mensch versehentlich doch direkt mit Tumorgewebe in Kontakt, erkennt das Immunsystem die körperfremden Krebszellen und vernichtet sie. Dieser Schutz reicht nach bisherigem Wissensstand selbst dann aus, wenn man eine Bluttransfusion von einem Spender erhalten sollte, der von seiner Krebserkrankung noch nichts weiß.
Kein Brustkrebsrisiko nach einer Abtreibung
Die Diskussion um ein erhöhtes Brustkrebsrisiko nach einer Abtreibung kam zunächst in den USA auf und wurde schließlich weltweit geführt. Als Aufhänger für die Medienberichte galten laut KID angeblich wissenschaftlich fundierte Daten. Kritiker bemängelten jedoch schnell, dass die Aussage „Schwangerschaftsabbruch = hohes Brustkrebsrisiko“ durch die vorgelegten Daten nicht gestützt ist: Eine Krebshäufung unter betroffenen Frauen war weder zweifelsfrei nachgewiesen noch ließ sich ablesen, dass Abtreibung und Brustkrebs überhaupt etwas miteinander zu tun haben. Inzwischen haben laut KID Wissenschaftler in mehreren fundierten Studien Schwangerschaftsabbrüche und auch ungewollte Fehlgeburten als Risiko für Brustkrebs relativ sicher ausgeschlossen.
Eine Sterilisation macht keinen Krebs
Auch Behauptungen, wonach eine Sterilisation bei Frauen vermehrt zu Eierstockkrebs und bei Männern vermehrt zu Hoden- und/oder Prostatakrebs führen kann, sind laut KID wissenschaftlich nicht belegt. „Weder lässt sich aus der Nachbeobachtung großer Gruppen sterilisierter Frauen und Männer eine Risikosteigerung ableiten noch gibt es Hinweise darauf, dass das Immunsystem angesichts der ’unnütz’ produzierten Keimzellen versagen würde“, heißt es in den Erklärungen.
Kein Brustkrebs durch zu enge Büstenhalter
Immer wieder zu lesen sind außerdem Meldungen, das Tragen zu enger BHs könne Brustkrebs verursachen. Auch mit diesem Mythos räumt der KID auf: „Ein Beweis für die Behauptung ließ sich trotz eingehender Recherchen nicht finden“. Entstanden sein könnten diese Gerüchte laut KID eventuell aufgrund von Forschungen zum Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Brustkrebsrisiko: So wurde in einigen Studien tatsächlich untersucht, ob sich die Brustgröße oder eher das Körpergewicht auf das Brustkrebsrisiko auswirken. Inzwischen steht, so die KID-Wissenschaftler, fest: „Das Tragen von Büstenhaltern beeinflusst das Brustkrebsrisiko nicht, egal ob zu eng oder gut passend, mit Bügel oder ohne.“
Bekannt ist jedoch, dass es einen Zusammenhang zwischen Brustkrebsrisiko und dem Körpergewicht und damit letztlich indirekt wohl auch der Brustgröße gibt: Frauen, die nach den Wechseljahren deutlich übergewichtig sind, müssen mit einer höheren Erkrankungswahrscheinlichkeit leben. Für jüngere Frauen vor den Wechseljahren ist ein solcher Zusammenhang allerdings nicht bestätigt, so heißt es beim KID. Studien zu dieser Frage laufen derzeit.
Verdachtspotenzial Deos und Antitranspirantien
In Internetforen wird nicht selten diskutiert, dass Deodorants und Antitranspirantien die Krebsentstehung provozieren können. Entsprechende Befürchtungen gibt es vor allem im Hinblick auf potenziell hormonell wirksame Konservierungsstoffe wie die Parabene. Sie basieren auf einer Studie britischer Wissenschaftler. Diese postulierten vor einigen Jahren, dass im Fettgewebe von Frauen mit Brustkrebs besonders viele Parabene eingelagert sind. Die Studie wurde von anderen Experten allerdings kritisch bewertet.
Bekannt ist laut KID, dass einige, doch nicht alle Parabene eine hormonähnliche Wirkung haben. „Bisher ist dies jedoch nur im Tierversuch belegt und nur für sehr hohe Dosen“, heißt es in der Erklärung. Noch sei völlig unklar, ob diese Stoffe auch beim Menschen das Brustkrebsrisiko steigern. Zudem hatten die britischen Forscher nicht verglichen, ob sich Parabene auch bei gesunden Frauen fanden oder ob diese nicht auch in anderem Fettgewebe außerhalb der Brust eingelagert werden. Das Deutsche konstatiert, dass sich ein Zusammenhang mit Brustkrebs für die meisten Vertreter der Substanzgruppe nicht herstellen lässt.
Neue Nahrung erhalten die „Deo und Krebs“-Gerüchte seit einiger Zeit durch die Risiken, die Aluminium und seinen Salzen zugeschrieben werden: Diese Stoffe sind für die schweißreduzierende Wirkung der Antitranspirantien verantwortlich. Allerdings steht laut KID hinter der vermeintlichen Gefahr nur vergleichsweise wenig Faktenwissen. In den Medien werden zwar mehrere Studien zitiert, nach denen ein Zusammenhang vor allem mit Brustkrebs deutlich sei, befeuert wird die Debatte, so das KID-Statement, aber vor allem durch die Wissenschaftler, die unmittelbar an diesen Studien beteiligt waren. Bei der Recherche des KID zeigte sich, dass es sich dabei um einen relativ kleinen Personenkreis handelt. Die Mehrzahl anderer Wissenschaftler konnte bisher dagegen keinen Beweis dafür finden, dass Aluminium und seine chemischen Verbindungen das Krebsrisiko steigern.
Zuckerkonsum im Fokus
Besonders viele Diskussionen gibt es zurzeit zur Frage, ob Krebspatienten Zucker essen dürfen und ob sie nicht sogar möglichst alle Kohlenhydrate meiden sollten, also auch Brot, Nudeln und alle anderen stärkehaltigen Lebensmittel. Dahinter stehen Forschungen zum Energiestoffwechsel in Tumoren, erläutern die Wissenschaftler des KID. Die Frage aber, ob man den Tumor besonders „füttert“, wenn man Kohlenhydrate und insbesondere Zucker aufnimmt, ist nach wie vor unbeantwortet. „Es gibt bisher keine Studiendaten, die hierauf eine pauschale, einfache und für alle Patienten passende Antwort geben“, heißt es in der Erklärung.
Die meisten Krebspatienten können es sich zudem nicht leisten, auf Kohlenhydrate völlig zu verzichten, um nicht an Gewicht zu verlieren, geben die KID-Wissenschaftler zu bedenken und raten Krebspatienten, sich nicht von gut gemeinten, aber nicht begründbaren Diätwarnungen unter Druck setzen lassen.
Obst und Gemüse als Energielieferanten
Intensiv im Internet diskutiert wird heutzutage auch die These, dass es in Obst und Gemüse kaum mehr Vitalstoffe gebe. Zu bedenken aber ist, dass mit diesem „Argument“ diverse Anbieter direkt ihre Produkte – beispielsweise Vitamintabletten, Gemüsekonzentrate oder hoch dosierte Spurenelemente – bewerben.
Die Warnungen fallen offenbar auf „fruchtbaren Boden“. Immerhin verwendet rund ein Drittel aller Deutschen regelmäßig Nahrungsergänzungsmittel. Bei kranken Menschen ist der Anteil nach Ergebnissen der Nationalen Verzehrsstudie noch höher. Der KID betont jedoch, dass die Mehrzahl der Menschen hierzulande keine Nahrungsergänzungsmittel benötigt. Zur Krebsvorbeugung werden diese sogar ausdrücklich nicht empfohlen. Wichtig dagegen ist, den Bedarf an Vitaminen und an anderen wichtigen Stoffen über die normale Ernährung zu decken. Nur wenn dies aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist und wenn bei einer schweren Erkrankung nachweislich Mangelzustände drohen, sollte gemeinsam mit dem Arzt über eine sinnvolle Ergänzung entschieden werden.
Immer noch Aberglaube – keine Luft an den Tumor
Zu hören ist immer wieder auch die Annahme, das Tumorwachstum könne regelrecht „explodieren“, wenn Luft an die Krebszellen gelangt. Das Gerücht dürfte auf Beobachtungen in früheren Zeiten beruhen: So versuchten schon im Altertum Ärzte und Heilkundige Krebs durch Herausschneiden, Verätzen oder Verbrennen zu kurieren. Unter Umständen ging es Patienten danach sogar kurzfristig besser – sofern sie die Prozedur überlebten. Doch bei vielen wuchs der Tumor nach und führte über kurz oder lang zum Tod des Betroffenen. Dadurch hielt sich, so die Vermutung der KID-Wissenschaftler, wohl lange die Vorstellung, dass man am Tumor möglichst nicht rühren soll, um dem Patienten nicht mehr zu schaden als zu nutzen.
Neue Nahrung erhielt diese Vorstellung laut KID im 20. Jahrhundert durch den Chirurgen Julius Hackethal. Er entwickelte am Beispiel des Prostatakarzinoms die Theorie vom „Haustierkrebs“, im Unterschied zum „Raubtierkrebs“: Haustierkrebse konnten nach seiner Vorstellung durch eine Operation „gestört“ werden und sich dann erst recht bösartig entwickeln. Solche Vorstellungen sind längst wissenschaftlich widerlegt.
Christine VetterMerkenicher Str. 22450975 Kölninfo@christine-vetter.de