Vorschau: Wissenschaftlicher Teil des Deutschen Zahnärztetages

Präventionsorientierte Therapiekonzepte auf Basis individualisierter Zahnmedizin

Heftarchiv Zahnmedizin
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Der Wissenschaftliche Kongress zum Deutschen Zahnärztetag 2014 in Frankfurt stellt Lösungen unterschiedlicher Fachbereiche zur gleichen Problemstellung vor. Auf der Abschlussdiskussion wird die Frage „Kann Therapie durch Prävention ersetzt werden?“ gestellt.

Es wird ein bunter Reigen, der sich aus den verschiedenen zahnmedizinischen Fachbereichen zum Thema Prävention vereint: Im Rahmen des Deutschen Zahnärztetages (6. bis 8. November 2014) findet am Freitag (7.11.) und am Samstag (8.11.) der von der DGZMK (Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde) gemeinsam mit den Landeszahnärztekammern Hessen und Rheinland-Pfalz sowie dem Quintessenz-Verlag ausgerichtete wissenschaftliche Kongress „Individualisierte Zahnmedizin Interdisziplinär – Präventionsorientierte Therapiekonzepte“ im Congress Center Messe Frankfurt statt. Einige Hauptvorträge aus dem Programm werden im Folgenden vorgestellt.

Die Kongress-Thematik gipfelt programmatisch in der Frage: „Kann Therapie durch Prävention ersetzt werden?“ – Antworten darauf verspricht eine besondere Expertenrunde am Samstagnachmittag von 15.30 bis 17 Uhr, die unter der Moderation von Dr. Joachim Bublath, bekannt als langjähriger Wissenschaftschef des ZDF und unter anderem als Wissenschaftsjournalist des Jahres 2007 ausgezeichnet, den Kongressabschluss bildet. Diskutieren werden Prof. Dr. Roland Frankenberger, Prof. Dr. Heike Korbmacher-Steiner, Prof. Dr. Jörg Meyle und Prof. Dr. Dr. Torsten E. Reichert.

Individualisierte (Tumor-)Medizin

Das Eröffnungsreferat des Kongresses durch Prof. Dr. Manfred Dietel (08.15 Uhr, Saal Harmonie) am Freitag steht unter dem Thema „Individualisierte ZahnMedizin“ und führt zunächst in die Onkologie, wo der Begriff „Individualisierte Medizin“ geprägt wurde. Die diagnostische molekulare Pathologie ist ein wesentlicher Teil der gewebebasierten Diagnostik und des klinischen Managements sowohl von Infektionskrankheiten und Tumoren als auch für die pharmazeutische Entwicklung neuer antitumoraler Medikamente. Das „ganz intensive Lesen“ im Gewebe eines Patienten und das Erzielen kombinierter Informationen über Morphologie, Genetik, Proteomik sowie Epigenetik sind eine Herausforderung und eine Chance für die moderne anatomische Pathologie.

Wenn heute über individualisierten Medizin (IM) gesprochen wird, steht in der Regel die individualisierte, auf molekularen Analysen aufbauende Tumormedizin (ITM) im Fokus, die auch bei oralen Tumorerkrankungen an Relevanz gewinnen wird. Medizinische Behandlungen an den persönlichen Bedürfnissen von Patienten zu orientieren, war schon immer eine zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie, dies gilt naturgemäß in besonderem Maße auch für die Zahnmedizin. Letztlich ist jede speziell angepasste zahnmedizinische Versorgung eine individuelle Therapiemaßnahme.

Das Gebiet der personalisierten Tumormedizin wird sich in den nächsten Jahren weiter stürmisch entwickeln. Zahlreiche neue Substanzen und die damit verbundenen molekularen Biomarkeranalysen sind in der klinischen Prüfung, viele davon bereits in Phase 3 und können bald in die Routine eingeführt werden. Der wichtigste maligne Tumortyp im Fachgebiet der Zahnmedizin ist zweifellos das Plattenepithelkarzinom (PEKA) der Mundhöhle. Dieses wird zurzeit in zahlreichen Studien intensiv untersucht, um Korrelationen zwischen genetischen Alterationen, prognostischen Aussagen und therapeutischen Optionen zu finden. Andere Bereiche der Zahnmedizin werden zukünftig ganz sicher folgen.

Deshalb greift dieser Eröffnungsvortrag von Prof. Dietel ein auch für die Zahnmedizin zukunftsträchtiges und richtungweisendes Thema auf, das in den kommenden Jahren in einer zunehmend überalterten Gesellschaft an Bedeutung gewinnen wird.

Prävention durch die Identifikation von Risiken

Die Parodontitis ist eine komplexe multifaktorielle Erkrankung, deren Entstehung und Verlauf entscheidend von einer Reihe von Risikofaktoren wie zum Beispiel Rauchen, Diabetes und genetischer Disposition mitbestimmt werden. Darauf geht Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen in seinem Vortrag (11.30 Uhr, Raum Illusion 1,2,3) unter dem Oberthema „Zahnerhaltung und Medizin“ ein. Er stellt sich die Frage, ob sich die Prävention dieser hochprävalenten Erkrankung durch die Identifikation der Risiken im Sinne einer personalisierten Medizin verbessern lässt und so beschränkte Resourcen für die Prävention zielgerichteter eingesetzt werden könnten. Aktuelle Studien zeigen in der Tat, dass Zahnverluste bei Patienten einer Hochrisikogruppe durch häufigere Prävention reduziert werden konnten, während dies bei Patienten mit niedrigem Risiko nicht der Fall war.

Auch in der Prävention des Wiederauftretensparodontaler Erkrankungen durch unterstützende Parodontitistherapie spielt ein System zur parodontalen Riskoerfassung (PRA = Periodontal Risk Assessment) mittlerweile eine wichtige Rolle und sein Wert ist durch Langzeitstudien belegt.

Antibiotika – so wenig wie möglich, so viel wie nötig

Ab 12.30 Uhr wird im selben Raum Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas zum sorgsamen Umgang mit Antibitotika mahnen. Antibiotika gehören wie selbstverständlich zum Therapiearsenal.

Die Tatsache zunehmender Resistenzen sowie die fehlende Entwicklung neuer Substanzen erfordern jedoch ein Umdenken beim Umgang mit diesen kostbaren Medikamenten. Nutzen-Risiko-Abwägungen haben schon heute ihren Platz bei der Behandlung lebensbedrohlicher Infektionen und sollten diesen auch bei der Prophylaxe und bei der Behandlung von Infektionen in der Zahnmedizin haben. So spielt die rechtzeitige Gabe und sinnvolle Auswahl einer Antibiotika-prophylaxe eine maßgebliche Rolle bei der Vermeidung postoperativer Infektionen. Eine prolongierte Prophylaxe hingegen, über eine Einmalgabe hinaus, bedarf einer echten Notwendigkeit und muss als Therapie angesehen werden. Die Antibiotikaanwendung im Rahmen der Behandlung der marginalen Parodontitis und auch der Periimplantitis darf nur eingebettet in ein therapeutisches Gesamtkonzept, auf Basis solider Daten, erfolgen. Nur durch einen verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika heute werden auch zukünftige Generationen den Nutzen dieser Medikamente erfahren können.

Alveolarkammverluste mit Implantaten vermeiden

Das ist der Vortragstitel von DGZMK-Past-Präsident Prof. Dr. Dr. Henning Schliephake ab 14 Uhr im Saal Harmonie, der als Kieferchirurg zusammen mit Kieferorthopäden nach Lösungen sucht. Der Strukturerhalt der Gewebe des Kieferkamms nach Zahnverlust ist ein wesentliches Ziel der Prävention von Defekten des Alveolarfortsatzes.

Das Ausmaß der postextraktionellen Involution des Kieferkamms ist mit der Re-sorption des „bundle bone“ einerseits ein eigengesetzlich ablaufender Prozess, andererseits spielen die Dicke der Hart- und der Weichgewebe, der durch Vor- erkrankungen bestehende Zerstörungsgrad der Strukturen, die chirurgische Vorgehensweise und die individuelle Gewebereaktion eine wesentliche Rolle. Die Frage, ob durch die Insertion von Implantaten die Prävention von Alveolarkammverlusten möglich ist, kann daher nur durch die Integration der individuellen Ausprägungen dieser Parameter verlässlich beantwortet werden. Der Vortrag gibt einen Überblick über die derzeitige Datenlage und empfiehlt einen Algorithmus, der eine systematische Erfassung der entscheidungsrelevanten Parameter ermöglicht.

Kfo-Lückenschluss statt Alveolarkammverlust

Unter diesem Titel nimmt Dr. Björn Ludwig den Ball direkt im Anschluss aus kieferorthopädischer Sicht auf. Neben dem Verlust permanenter Zähne stellen vor allem Nichtanlagen eine häufige Indikation für dentale Implantate dar. Nichtanlagen permanenter Zähne sind nicht ungewöhnlich – sie stellen, mit einer Prävalenz von 1,5 bis 11,3 Prozent, vielmehr die häufigste Malformation im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich dar. Von den Weisheitszähnen abgesehen sind am häufigsten die unteren zweiten Prämolaren, gefolgt von den oberen lateralen Inzisivi betroffen.

Der Vortrag stellt Grundprinzipien und klinische Regeln zum kieferorthopädischen Lückenschluss vor. Hier wird unter anderem auf den Gingivaverlauf, Veneers oder die Komposite-Versorgung und die Okklusion eingegangen. Des Weiteren werden kieferorthopädische Techniken gezeigt, wie durch die Zahnbewegung bei Lücken-öffnung Knochen und Weichgewebe kieferorthopädisch gewonnen und beeinflusst werden können. Die Indikationen und Kontraindikationen sowie das therapeutische Vorgehen werden diskutiert.

Prävention Kiefernekrose

Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz führt am Samstag (11.30 Uhr, Saal Harmonie) in diese Thematik ein, die an Bedeutung zugenommen hat. Traditionell war das Krankheitsbild der Kiefernekrose entweder eine seltene Ausnahme einer weit fortgeschrittenen Kieferostitis oder -osteomyelitis oder mit größerer Häufigkeit dem überschaubaren Patientenkollektiv der Kopf-Hals-Strahlentherapie (Osteoradionekrose) vorbehalten. Die Relevanz für die zahnärztliche Praxis war damit eher begrenzt. Diese Sichtweise hat sich seit der internationalen Erstbeschreibung der „Bisphophonat-assoziierten Kiefernekrose“ in 2003 grundlegend geändert. Viele Patienten erhalten aus unterschiedlichen Gründen (Knochenmetastasten solider Tumor, primär maligne Knochentumoren, Osteoporose und andere Knochenstoffwechselstörungen) eine „antiresorptive Therapie“ und tragen damit das Risiko der Kiefernekrose – auch im Rahmen zahnärztlicher Behandlung – mit sich.

Unter der Begrifflichkeit „antiresorptive Therapie“ wird heute die medikamentöse Behandlung mit verschiedenen Bisphosphonaten oder dem monoklonalen Antikörper Denosumab zusammengefasst. Gemeinsam ist beiden Medikamenten, dass sie einerseits eine positive Gewebebilanz im Knochen (insbesondere durch hemmende Effekte an den Osteoklasten) erzielen, andererseits aber mit schwierig zu therapierenden Kiefernekrosen (ONJ) assoziiert sein können. Vor diesem Hintergrund ist man bemüht, durch eine verbesserte interdisziplinäre Kommunikation zwischen Onkologen/Osteologen und Zahnärzteschaft, eine peritherapeutische Betreuung dieser Patienten zu etablieren. Die rezente S3-Leitlinie aus 2012 setzt sich konkret die Minderung des ONJ-Risikos durch Prophylaxe, Prävention und Früherkennung zum Ziel. In diesem Spannungsfeld kommt auch der Implantatindikation eine besondere Bedeutung zu.

Prävention rundum interdisziplinär verstanden

„Der besondere Reiz im wissenschaftlichen Programm für den Deutschen Zahnärztetag 2014 liegt sicher in der interdisziplinären Herangehensweise an eine bestimmte Problemstellung mit teils recht jungen oder ganz neuen Erkenntnissen“, freut sich DGZMK-Präsidentin Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke auf den Kongress. Workshops, der Studententag sowie der „Zukunftskongress Familie und Beruf“ runden die Veranstaltung ab, die angeschlossene Industrieausstellung wird Einblicke in den neuesten Stand der Technik gewähren.

Markus BrakelPlochinger Str. 1740593 Düsseldorf

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