Säuglingsnahrung

Unnötige Süßgewöhnung

Ob Babykekse, Keksbrei oder Tee auf Zuckergranulatbasis – viele als Babyprodukte im deutschen Handel angebotene Lebensmittel widersprechen in ihrer Zusammensetzung den ernährungswissenschaftlichen und/oder ärztlichen Empfehlungen für Säuglinge. Darauf wies die Nichtregierungsorganisation foodwatch in Berlin hin – unterstützt durch Experten aus Medizin und Zahnmedizin.

Säuglingsnahrung unterliegt EU-weiten Bestimmungen. Die sind auf Bundesebene durch die nationale Diätverordnung umgesetzt. Darin ist geregelt, dass die einzelnen Zutaten der Produkte für die besondere Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern geeignet sein müssen. Allerdings, moniert foodwatch, gibt es für die spezifische Zusammensetzung oft keine adäquaten Vorgaben. Ein genauer Blick auf die einzelnen Produkte zeigt: Sie enthalten oftmals viel Zucker und wenig bis kein Vollkornmehl. Besonders deutlich zeigt sich das bei kohlenhydratreichen Trinkmahlzeiten. Werden diese häufig verabreicht, kann es zu Überfütterung und zu Karies kommen.

Kinderärzte fordern deshalb seit dem Jahr 2007, dass die Hersteller die Vermarktung einstellen sollen. Diese aber schert der Ruf der Ärzte offenbar nicht – im Gegenteil. Mit einer gezielten Wortwahl wird suggeriert, dass es sich um scheinbar harmlose Zwischenmahlzeiten für den Nachwuchs handelt. Formulierungen wie „gesundheitlich unbedenklich“, „qualitativ hochwertig“, „sicher und gesund“ oder „kontrollierte Qualität“ seien lediglich vollmundige Werbeversprechen, die über die schädlichen Zuckeranteile hinwegtäuschen sollen, so der Vorwurf von foodwatch. Nur die Firma Danone habe bisher reagiert und ihre unter der Marke Milupa verbreiteten Trinkmahlzeiten vom Markt genommen. Hipp und Nestlé böten solche Produkte dagegen weiter an.

Industrielle Babynahrung soll Leitlinien entsprechen

Deshalb fordert die unabhängige Nichtregierungsorganisation, dass nur solche Produkte in den Handel zu den Verbrauchern kommen dürfen, die die Leitlinien der entsprechenden Fachgesellschaften, also der Zahn- und Kinderärzte, auch einhalten. Matthias Wolfschmidt, stellvertretender foodwatch-Geschäftsführer erklärte bei einer Pressekonferenz zum Thema in Berlin: „Nötig ist eine prominent geführte Debatte. Wir fordern den Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Christian Schmidt, auf, die nationale Diätverordnung zu präzisieren. Eine verbindliche Freiwilligkeit reicht hier nicht aus.“ Die Planungen zu einem neuen Präventionsgesetz dürften keinesfalls ohne eine frühkindliche Präventionsdebatte vonstattengehen, so Wolfschmidt. Schließlich müssten bei den Babyprodukten die Rezepturen stimmen. Die Verbraucher dürften nicht getäuscht werden.

„Appelle an die Vernunft helfen in Deutschland wenig“, meint dazu Prof. Wieland Kiess. Der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Uni Leipzig plädiert ebenfalls für klare gesetzliche Regelungen. Im Grunde genommen bräuchten Klein- kinder diese Art von industriell hergestellter Nahrung gar nicht, so Kiess. „In den ersten Lebensmonaten sollten Säuglinge mit Muttermilch ernährt werden, da die […] Bestandteile für Kinder ideal und gesunderhaltend sind. In den seltenen Fällen, wo das Stillen nicht möglich ist, sollte eine Säuglingsnahrung gefüttert werden, die der Muttermilch möglichst ähnlich ist“, so die Empfehlung des Experten.

Aus pädagogischen Gründen sei es nicht gut, totale Zuckerkonsumverbote und einseitige Ernährungsvorschriften auszusprechen, lohnenswert dagegen, falsches Marketing zu verbieten. Die Industrie dürfe nicht frühzeitig zu zuckerhaltigen Nahrungsmittelzusätzen verführen. Kiess: „Während wir einerseits froh sein können, gesündere und wenig schadstoffbelastete Säuglingsnahrung zur Verführung zu haben, müssen wir umso mehr darauf achten, dass Säuglingsnahrung nicht zum Selbstzweck von Aktionären und Nahrungsmittelkonzernen wird […].“

BZÄK und KZBV plädieren für eine Zuckerreduktion

foodwatch hatte für seine kritische Betrachtung von industrieller Säuglingsnahrung auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) hinzugezogen. Deren Vizepräsident Prof. Dietmar Oesterreich stimmt Kiess zu, dass es nicht um die Forderung nach einem totalen Zuckerverzicht gehen kann. „Es ist die Kombination einer ausgewogenen und mundgesunden Ernährung und risikoarmer Lebensstile, die zukünftig in Kooperation mit Partnern wie Ministerien, Kommunen, der Medizin, den Hebammen, der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, der Bundesdrogenbeauftragten, sozialen Hilfen, Schulen, Kitas, Medien und anderen verstärkt öffentlichkeitswirksam vermittelt werden müssen.“ Was in frühester Kindheit an unausgewogenen Ernährungsgewohnheiten geprägt werde, setze sich häufig über das Jugend- ins Erwachsenenalter fort. Oesterreich weiter: „Unser Ziel muss deshalb sein, so früh wie möglich auf die Gefahren einer Fehlernährung für die Mundgesundheit aufmerksam zu machen.“ Im Alltag umsetzbar sei eine Zuckerreduktion in Menge und Häufigkeit.

Grundsätzlich gilt: Süßigkeiten, Kuchen, Kekse, Riegel oder auch salzige Snacks mit Zuckergehalt wie etwa Chips sollten ebenso wie süße Getränke die seltene Ausnahme sein und in ihrer Häufigkeit beschränkt werden, so der gemeinsame Tenor von BZÄK und KZBV, der sich im Konzept „Frühkindliche Karies vermeiden“ niederschlägt.

Nestlé Deutschland lehnt Goldenen Windbeutel ab

Übrigens: Nestlé hat bei der Verbraucherabstimmung zur dreistesten Werbelüge für seine Alete-Mahlzeit zum Trinken den Goldenen Windbeutel erhalten. foodwatch-Aktivisten wollten diesen Anfang Oktober übergeben – ohne Erfolg. Das Unternehmen lehnte den Negativpreis ab. Von einer Werbelüge könne keine Rede sein, zitierte foodwatch den Lebensmittelmulti.

Die Verbraucher sprechen sich für strengere Vorgaben aus. Laut einer im Auftrag von foodwatch durchgeführten repräsentativen Emnid-Umfrage plädierten 93 Prozent der Befragten dafür, dass sich Hersteller bei der Rezeptur von Babynahrung an die wissenschaftlichen Empfehlungen halten sollen.

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