30 Minuten Karenz sind unnötig
Durch das erhöhte Gesundheitsbewusstsein mit besserer Zahnhygiene und dem weitverbreiteten Gebrauch von Fluoridzahnpasten ist die Karies in Europa in den vergangenen Jahrzehnten signifikant zurückgegangen und hat sich auf einem tieferen Niveau eingependelt. Durch diese geänderten Lebens- und zum Teil neuen Ernährungsgewohnheiten haben heute andere Zahnprobleme an Bedeutung gewonnen, obwohl Karies immer noch am weitesten verbreitet ist und die meiste Schädigung der Zahnhartsubstanz hervorruft. Andere Zahnprobleme sind vor allem überempfindliche Zähne und säurebedingte Zahnschäden.
Überempfindliche Zähne entstehen durch eine erhöhte Bewegung des Dentinliquors, die zur Reizung der Nervenendigungen in den Dentintubuli (etwa 3 µm Durchmesser) führt. Es sind thermische, chemische oder osmotische Reize, die bei offenen Dentintubuli dafür verantwortlich sind. Die Schmerzen sind oft so stark, dass die Lebensqualität der Patienten darunter leidet. Epidemiologische Studien der Häufigkeit dieser Symptomatik ergaben widersprüchliche Ergebnisse und schwankten zwischen 1,3 und 98 Prozent [Bamise et al., 2007; Irwin und McCusker, 1997].
Diese Schwankungen können durch verschiedene Faktoren wie die untersuchte Bevölkerung, verschiedene Diagnosestandards sowie die angewendeten Untersuchungsmethoden erklärt werden. Erschwerend kommt die Tatsache hinzu, dass überempfindliche Zähne nicht stetig symptomatisch sind, sondern dass die Symptome periodisch auftreten. Die Risikofaktoren, die zu offenen Dentintubuli und in der Folge zu Schmerzen führen können, sind vielfältig [Absi et al., 1987]. Gingivarezessionen mit exponiertem Wurzeldentin und eine übertriebene Zahnreinigung sowie falsch angewendete Zahnputztechniken werden diskutiert. Ferner ist es auch möglich, dass eine säurehaltige Ernährung Dentintubuli freilegt und so die Schmerzen mitverursachen kann.
Säurebedingte Zahnschädenwerden als dentale Erosionen bezeichnet. Sie werden definiert als Zahnhartsubstanzverlust, verursacht durch Säure exogener oder endogener Herkunft, ohne Mitwirkung von Mikroorganismen. Das erste Zeichen einer Erosion ist eine erweichte Zahnoberfläche, die klinisch jedoch kaum zu diagnostizieren ist. Erste klinische Zeichen sind matt glänzende Zahnoberflächen mit inzisalen lokalen Eindellungen (Abbildung 1). Im weiteren Verlauf – oder auch zeitlich parallel – treten Eindellungen im Seitenzahnbereich in Erscheinung, wodurch bereits bestehende Füllungen aufgrund ihrer höheren Beständigkeit gegenüber erosiven Attacken die angrenzende Zahnhartsubstanz überragen (Abbildung 2).
Bei Progression kommt es zum Verlust der gesamten okklusalen Morphologie und in Folge auch zum Verlust der vertikalen Gesichtshöhe (Abbildung 3). In Einzelfällen, abhängig von der jeweiligen Ursache, können die verschiedenen Stadien auch gleichzeitig an unterschiedlichen Stellen im Mund auftreten. So sind zum Beispiel Abbildung 1 und Abbildung 3 zur selben Zeit bei demselben Patienten aufgenommen worden. Die Begründung für diese große Diskrepanz im Erscheinungsbild des erosiven Zahnhartsubstanzverlusts zwischen bukkalen und palatinalen Flächen liegt in der Ursache der Erosion. Der betroffene Patient leidet bereits seit längerer Zeit an einem Refluxgeschehen, wodurch insbesondere der orale Teil der Zähne betroffen ist.
Zu den exogenen Ursachen erosiver Zahnhartsubstanzverluste gehören der massive Konsum von säurehaltigen Lebensmitteln sowie eine berufsbedingte Säureexposition [Lussi und Carvalho, 2014]. Unter die endogenen Ursachen fallen chronische Magen-Darm-Störungen wie zum Beispiel Reflux, Anorexia und Bulimia nervosa mit häufigem Erbrechen. Es hat sich gezeigt, dass die Einteilung in „Risikofaktoren auf der Patientenseite“ und „Risikofaktoren auf der Ernährungsseite“ die systematische Analyse erleichtert [Lussi et al., 2009] (Abbildung 4).
Andere Ursachen für Zahnhartsubstanzschäden: Neben den Erosionen können auch keilförmige Defekte zu Zahnhartsubstanzverlust führen. Sie entstehen oft nach Gingivarezessionen, wobei eine häufige Zahnreinigung mit zum Teil abrasiven Zahnpasten und die oben erwähnten Ernährungsgewohnheiten eine wichtige Rolle spielen. Ebenso wird eine größere Härte der verwendeten Zahnbürsten als mögliche Ursache zervikaler, nicht kariöser Läsionen diskutiert [Brandini et al., 2011].
Wie bei allen Veränderungen oder Krankheiten ist es wichtig, überempfindliche Zähne und/oder dentale Erosionen früh zu diagnostizieren und eine adäquate Prophylaxe einzuleiten. Der wissenschaftliche Hintergrund für klinische Diagnostik, Prophylaxe und Therapie wird vorwiegend aus klinischen Studien abgeleitet. Es gibt Untersuchungen bezüglich der nicht kariösen Hartsubstanzverluste in vielen europäischen Ländern. Der Vergleich der Erhebungen ist jedoch oft schwierig, da unterschiedliche Untersuchungsmethoden und verschiedene Indizes verwendet wurden. Eine europaweite Untersuchung mit gleichen Untersuchungsmethoden fehlte bisher. Dieser Artikel gibt eine Zusammenfassung der ersten paneuropäischen Untersuchung mit über 3 000 Teilnehmern und beantwortet die daraus entstehenden Fragen ausführlicher.
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Material und Methoden
In den vorliegenden Untersuchungen wurden an 3 187 europäischen Staatsbürgern aus Frankreich (700 Teilnehmer), Spanien (304), Italien (675), dem Vereinigten Königreich (700), Finnland (344), Lettland (342) und Estland (122) die Häufigkeit überempfindlicher Zähne, dentaler Erosionen sowie der Parodontalstatus erhoben [West et al. 2013; Bartlett et al., 2013].
Das Alter der gesunden Probanden bewegte sich zwischen 18 und 35 Jahren. Die Anzahl der Untersuchten wurde aufgrund einer vorangegangenen Poweranalyse bestimmt. Das Vorgehen basierte auf international aufgestellten Regeln für die Durchführung von , der sogenannten „Good Clinical Practice“. In allen Ländern gab die jeweilige Ethikkommission ihre Zustimmung zur Untersuchung. Die klinische Studie wurde von in der Praxis tätigen Zahnärzten durchgeführt, die zuvor für diese Studien kalibriert worden waren. Im Rahmen der Kalibrierung wurde eine sehr hohe Übereinstimmung der Untersuchungsergebnisse zwischen den Behandlern erlangt.
Involviert waren zwei Zahnärzte im Vereinigten Königreich, je zehn in Finnland, Lettland und Estland, 15 in Frankreich, 17 in Italien und 20 in Spanien. Vor den klinischen Untersuchungen wurde jedem Teilnehmer ein Fragebogen in der jeweiligen Landessprache ausgehändigt, um Risikofaktoren zu identifizieren. Dieser Fragebogen sollte Aufschluss über die Bildung, das soziale Milieu, allgemein-medizinische Probleme wie Reflux, die Mundhygienegewohnheiten, das Vorhandensein überempfindlicher Zähne, das Konsumverhalten bezüglich Getränke, Nahrungsmittel, Medikamente und Genussmittel sowie den subjektiven Gebisszustand geben. Bei der Untersuchung überempfindlicher Zähne wurden die zweiten und die dritten Molaren ausgeschlossen, bei den nicht kariösen Zahnhartsubstanzdefekten wie erosiven Läsionen und beim Parodontalzustand wurden alle Zähne außer den dritten Molaren untersucht und in die Auswertung einbezogen.
Die statistische Analyse wurde auf Patientenebene mit einer bivariaten logistischen Regressionsanalyse, einem speziellen statistischen Verfahren, durchgeführt. Abgeklärt wurde, ob das Auftreten überempfindlicher Zähne und erosiver Läsionen in Zusammenhang mit den erhobenen Größen aus dem Fragebogen steht. Die Wahrscheinlichkeiten für einen Zusammenhang wurden mit der sogenannten „Odds ratio“, einem Quotenverhältnis, berechnet.
###more### ###title### Studie 1: Prävalenz überempfindlicher Zähne ###title### ###more###
Studie 1: Prävalenz überempfindlicher Zähne
Im Durchschnitt konnten 23,4 (Spannweite 8 bis 24) Zähne pro Proband auf Überempfindlichkeit untersucht werden [West et al., 2013]. Überempfindliche Zähne sind charakterisiert durch einen kurzen, spitzen Schmerz, verursacht durch thermische, taktile, osmotische oder chemische Reize [Holland et al.,
1997]. In der vorliegenden Untersuchung wurden die Patienten zuerst mittels Fragebogen gefragt, ob sie schon einmal überempfindliche Zähne hatten. Dann wurde die „Schiff Air Sensitivity”-Methode angewendet, um das Vorhandensein sowie den Grad der Überempfindlichkeit zu bestimmen [Schiff et al., 2006]. Tabelle 1 gibt einen Überblick über das Vorgehen: Anschließend wurde der Patient gefragt, ob der Luftstoß Schmerzen bereitet hat (Ja/Nein). Dieses Prozedere wurde für jeden in die Untersuchung eingeschlossenen Zahn durchgeführt.
Resultate: Nach dem Luftstimulus zeigte sich, dass 42 Prozent der untersuchten Patienten selbst Schmerzen angaben, aber 57 Prozent einen Schiff-Score von über 1 an mindestens einem Zahn zeigten. Im Fragebogen gab gut ein Viertel der Probanden an, dass sie Schmerzen auf kalt empfinden (Tabelle 2). Die Übereinstimmung zwischen dem Schiff-Score und der Selbstbeurteilung durch die Patienten war gut (57 Prozent versus 42 Prozent), diejenige mit dem Frage-bogen war hingegen schlecht (57 Prozent versus 27 Prozent). Die Patienten unterschätzen offenbar die tatsächlichen Schmerzen bei der Befragung.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass zwei von fünf jungen Erwachsenen überempfindliche Zähne zeigen. Weiter konnte eine positive Korrelation zwischen ausgeprägteren erosiven Läsionen sowie einem Rückgang des Zahnfleisches mit dem Auftreten überempfindlicher Zähne festgestellt werden (Tabelle 3).
Studie 2: Erosive Läsionen und ihre Ursachen
Die dentalen Erosionen wurden mit einem kürzlich von Bartlett, Ganß und Lussi vorgestellten Index beurteilt (Basic Erosive Wear Examination, BEWE). Die BEWE ermöglicht eine Beurteilung der Säureschäden eines Gebisses mit geringem Zeitaufwand [Bartlett et al., 2008] und berücksichtigt den gesamten Substanzverlust der jeweiligen Zahnoberfläche. Obwohl bei den Schweregraden 2 und 3 häufig Dentin frei liegt, wird auf die Beurteilung „Dentinexposition“ bei der BEWE im Prinzip verzichtet. Zum einen ist diese Beurteilung schwierig und zum anderen korreliert ein Dentinbefall nicht in allen Fällen mit dem Schweregrad eines Defekts, da die Schmelzschicht nicht überall gleich dick ist. Im Zahnhalsbereich zum Beispiel oder im Bereich von Vertiefungen wird Dentin schneller exponiert als an anderen Stellen des Zahnes [Lussi et al., 2009].
Aufgrund des klinischen Erscheinungsbildes wird jedem Zahn ein Wert zwischen 0 und 3, entsprechend dem Vorhandensein beziehungsweise dem Schweregrad des erosiven Zahnhartsubstanzverlusts, zugeordnet (Tabelle 4). Der jeweils höchste Wert in jedem Sextanten (mesiobukkal, bukkal, distobukkal, mesiooral, oral und distooral) wird für die Berechnung des totalen BEWE-Wertes berücksichtigt, wodurch sich Werte zwischen 0 und 18 ergeben können. Bei BEWE-Gesamtwerten unter 3 genügt es, die erwachsenen Patienten aufzuklären und zu kontrollieren. Bei einem Wert zwischen 3 und 8, der einem geringen Schweregrad entspricht, sollten neben Mundhygieneinstruktionen und einer Aufklärung eine detaillierte Ernährungsanamnese und eine Beratung sowie eine Refluxabklärung stattfinden. Zudem sollte die aktuelle Situation mit Fotos dokumentiert werden. Ab einem mittleren Schweregrad, bei Werten zwischen 9 und 13, sollten zusätzliche Fluoridierungsmaßnahmen zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Zahnhartsubstanz durchgeführt und bereits restaurative Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Hier sind vor allem Versiegelungen allfälliger überempfindlicher Zähne und Komposite indiziert, wobei diese Maßnahmen unter Umständen schon früher eingeleitet werden sollten. Ein hoher Schweregrad ist definiert durch einen BEWE Wert ab 14 und bedarf zusätzlicher spezieller Betreuung sowie restaurativer Maßnahmen (Tabelle 5). Der BEWE-Index sollte jährlich und ab einem mittleren Schweregrad halbjährlich kontrolliert werden [Lussi und Jaeggi, 2009].
Resultate: Die Analyse der sieben beteiligten Länder ergab keine großen Unterschiede in der Prävalenz der Erosionen, mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs, wo signifikant mehr Erosionen festgestellt wurden. Die Abbildungen 5 und 6 zeigen die Verteilung der Erosionen und den Konsum frischer Früchte in Europa. Erwähnenswert ist die Tatsache, dass Manager bedeutend mehr Erosionen zeigten, hingegen hatte die eigentliche Berufsausbildung keinen Einfluss. Ländliche Bewohner zeigten mehr Erosionen als die städtische Bevölkerung. Während vermehrtes Kauen von Kaugummi keinen Einfluss auf die Erosionen hatte, zeigte die Einnahme von sauren Getränken und frischen Früchten ein statistisch signifikant erhöhtes Auftreten der Erosionen (p 0,001). Saures Aufstoßen und Erbrechen waren auch in dieser Untersuchung mit vermehrten Erosionen verknüpft (p 0,001). Die Einnahme von Antidepressiva führt sehr oft zu weniger Speichelfluss und damit zu einer erhöhten Anfälligkeit für Erosionen. Die Untersuchung zeigte, dass die Wahrscheinlichkeit für mehr Erosionen bei der Einnahme von Antidepressiva um den Faktor vier erhöht ist (Odds ratio). Interessant ist die Tatsache, dass Zuwarten mit dem Zähneputzen nach dem Frühstück keinen Einfluss auf die dentalen Erosionen zeigte. Auch die Häufigkeit des Zähneputzens am Morgen, mittags oder abends hatte keinen signifikanten Einfluss auf die Prävalenz erosiver Erosionen in Europa.
###more### ###title### Warten vor dem Zähneputzen? ###title### ###more###
Warten vor dem Zähneputzen?
Nach dem Konsum von sauren Nahrungsmitteln wird häufig und fälschlicherweise generell empfohlen, mit dem Zähneputzen zu warten. In der Folge wird die Frage bezüglich der Wartezeit nach einem Essen behandelt, bei dem auch Saures genossen wurde. Bezüglich der mechanischen Zahnreinigung sollte von der allgemeinen Empfehlung, nach dem Konsum säurehaltiger Substanzen zumindest 30 Minuten mit dem Zähneputzen zu warten, Abstand genommen werden.
Es entspricht zwar den Tatsachen, dass durch Säure erweichter Zahnschmelz durch mechanische Alteration leichter entfernt wird [Addy und Shellis, 2006] und diese Zahnhartsubstanz in Anwesenheit von mit Mineralien gesättigten Lösungen wie Speichel wieder remineralisiert werden kann [Amaechi und Higham, 2001]. Jedoch kommen im Speichel auch Proteine vor, die die Ausfällung der Mineralien und in Folge die Remineralisation hemmen [Helmerhorst et al., 2007].
Statherine, PRP (=“proline-rich phosphor), Cystatine, Albumine und weitere Proteine haben eine große Affinität zu Hydroxylapatit und hemmen so die (Re-)Mineralisation. Sie sind auch dafür verantwortlich, dass der mit Kalzium und Phosphat übersättigte Speichel nicht ausfällt und kristallisiert [Helmerhorst und Oppenheim, 2007; Jin und Yip, 2002]. Da diese Proteine wegen ihrer Größe kaum in eine Initialläsion (Kreidefleck) eindringen, kann dort mithilfe von Fluorid Remineralisation stattfinden, wobei dieser Prozess auch unter optimalen Verhältnissen längere Zeit beansprucht [Iijima et al., 1999].
Bei erosiven Läsionen mit ihrer erweichten Oberfläche im Mikrometerbereich können diese Proteine eindringen und so die Remineralisation hemmen. So konnten schon Garberoglio und Mitarbeiter im Jahr 1979 zeigen, dass mit 50 Prozent Phosphorsäure geätzter Schmelz über Monate sein Ätzmuster behält, dass also keine Remineralisation stattfand [Garberoglio et al., 1979]. Phosphorsäure erzeugt eine Veränderung der Schmelzoberfläche, die mit erosiven Substanzen, wie zum Beispiel Zitronensäure, vergleichbar ist. Laboruntersuchungen zur Remineralisation nach Erosion wurden und werden mit künstlichem Speichel durchgeführt, der eine ausgezeichnete Remineralisation zeigt, weil er die oben erwähnten Proteine nicht enthält. Diese Versuchsanordnung hat dann zu falschen Folgerungen für die Klinik geführt. Auch nach neueren Untersuchungen ist selbst nach einer Dauer von mehreren Stunden keine relevante Remineralisation von Zahnschmelz erreichbar [Ganß et al., 2007; Lussi et al., 2014].
Infolgedessen ist ein Zuwarten mit dem Zähneputzen im Normalfall nicht sinnvoll, da es Stunden bis Tage braucht, bis der mit Säure erweichte Schmelz einen gewissen Schutz vor Abrasion (wie durch das Zähneputzen) zeigt [Ganß et al., 2012; Garberoglio und Cozzani, 1979] (Abbildung 7). Auch die vorliegende Untersuchung an mehr als 3.000 Patienten hat klar gezeigt, dass Zuwarten nach dem Essen nicht sinnvoll ist.
Im Gegenteil, längere Wartezeiten führten eher zu mehr Abrasion (Odds ratio nach 26 bis 44 Min.: 1,41). Es könnte sein, dass gesundheitsbewusste Personen mit der Zahnreinigung warten und dann die Zähne besonders intensiv reinigen. Dieser Sachverhalt wurde auch bei der Untersuchung überempfindlicher Zähne, bei denen Dentin exponiert ist, bestätigt [West et al., 2013]. Sofern durch den Speichel eine effiziente Remineralisation stattfinden würde, müsste verzögertes Zähneputzen die Dentintubuli verschließen und so eine schützende Wirkung zeigen. Warten führte jedoch in dieser Untersuchung nicht zu weniger überempfindlichen Zähnen. Da viele saure Getränke auch noch Zucker enthalten (oft rund zehn Prozent), schadet eine Wartezeit von einer halben oder einer Stunde höchstens, weil in der Zwischenzeit vorhandene Bakterien den im Getränk enthaltenen Zucker zu Säure abbauen und dadurch Karies entstehen kann. Karies ist heute immer noch das Hauptproblem für die Zähne. Hinzu kommt, dass während einer Mahlzeit sowohl Saures als auch Süßes eingenommen wird und ein Warten somit nicht sinnvoll ist. Eine Wartezeit von einer halben bis zu einer Stunde zu instruieren, ist auch gesundheitspolitisch gesehen kontraproduktiv, da in diesem Fall die Zähne unter Umständen gar nicht gereinigt werden. Eine Ausnahme von dieser Regel ist bei häufigem Erbrechen angebracht, wo man den Mund sofort spülen, aber auf eine sofortige mechanische Reinigung verzichten sollte.
Bei der Involvierung von Dentin zeigt sich morphologisch ein anderes Bild. Aufgrund des geringen Anteils an Mineralien des Dentins im Vergleich zum Zahnschmelz zeigt die durch Säure demineralisierte Oberfläche eine gewisse Stabilität gegenüber weiteren chemischen und mechanischen Einwirkungen [Ganß et al., 2009]. In diesem Fall ist der weitere Verlust von Zahnhartsubstanz in Form der organischen Matrix durch kollagen abbauende Enzyme verursacht. Inwiefern hier eine Wartezeit zwischen dem Konsum säurehaltiger Substanzen und dem Zähneputzen Einfluss hat, bedarf weiterer Untersuchungen. Ob es sich nun um Schmelz oder Dentin handelt, Remineralisation ist und bleibt ein Prozess, der langsam vor sich geht. Die guten Ergebnisse bei der Anwendung fluoridhaltiger Lacke bei fortgeschrittenen Erosionen [Magalhaes et al., 2012] sind wahrscheinlich nicht dem Fluorid, sondern Resten der Lackbasis zuzuschreiben [Carvalho et al., 2014].
Prof. Dr. Adrian LussiDr. Thiago S. Carvalho, PhDUniversität BernKlinik für Zahnerhaltung, Präventiv- und KinderzahnmedizinFreiburgstr. 7, CH-3010 Bernadrian.lussi@zmk.unibe.ch
Dr. Barbara CviklMedizinische Universität WienAbteilung für Zahnerhaltung und ParodontologieSensengasse 2a, A-1090 Wien