Der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA)

Ein merkwürdiges Konstrukt

Definiert ist der G-BA als oberstes Organ der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Er setzt die Normen, er macht die Richtlinien – auch für die Zahnärzte. Doch wie viel Selbstverwaltung ist eigentlich drin im G-BA? Finden zahnärztliche Interessen ausreichend Gehör?

Zu den Institutionen, die heute im Gesundheitssektor für eine qualitativ hochwertige, flächendeckende und wohnortnahe Gesundheitssicherung der Bevölkerung sorgen, zählt neben anderen auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) für das Gesundheitswesen. Während das Parlament den gesundheitspolitischen Rahmen der medizinischen Versorgung in Deutschland durch Gesetze und das Verordnungsrecht vorgibt, ist es die Aufgabe des G-BA festzulegen, welche konkreten Leistungen von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen werden. Rechtsgrundlage hierfür und für die Arbeit des G-BA ist das fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V).

Dem G-BA als „kleiner Gesetzgeber“ gehören auf der Grundlage und nach Maßgabe der im Deutschen Bundestag verabschiedeten Gesundheitsgesetzgebung die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen an. Sie sind die Trägerorganisationen des G-BA. Er selbst ist rechtsfähig und das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen in Deutschland. Auf dieser Grundlage beschließt der Ausschuss die zur Sicherung der medizinischen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten.

Die Richtlinien haben den Charakter untergesetzlicher Normen; sie sind für alle Akteure der GKV bindend. Im Zusammenspiel der erwähnten Trägerinstitutionen setzen sie die gesetzlichen Vorgaben um. Dabei werden der aktuelle Stand der medizinischen Erkenntnisse sowie der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit und auch die Wirtschaftlichkeit einer Leistung aus dem Pflichtkatalog der Krankenkassen berücksichtigt. Zudem übernimmt der G-BA wichtige Aufgaben im Bereich des Qualitätsmanagements und der Qualitätssicherung sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Versorgung. Gerade dieses Thema ruft aber auch die Zahnärzte, wie noch zu zeigen sein wird, auf den Plan.

Der explizit auch zahnärztliche Auftrag

Die den Willen des Gesetzgebers aufnehmende und ihn entsprechend ausführende Normsetzung des G-BA bezieht auch die Zahnärzte ein. So soll der G-BA insbesondere und einerseits Richtlinien über die zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Zahnersatz sowie über die kieferorthopädische Behandlung beschließen. Das Spektrum umfasst sowohl qualitäts- bezogene Direktiven des G-BA als auch die finanzielle Seite der vertragszahnärztlichen Versorgung. Hierfür steht etwa die „Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über grundsätzliche Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement in der vertragszahnärztliches Versorgung“ („Qualitätsmanagement-Richtlinie vertragszahnärztliche Versorgung“). Ein weiteres Beispiel ist die „Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Bestimmung der Befunde und der Regelversorgungsleistungen für die Festzuschüsse nach §§ 55, 56 SGB V“ („Festzuschussrichtlinie“).

Der G-BA hat in seinen Gremien die Zahnärzte ferner an den Beschlüssen über den Erlass von Richtlinien zur Verfahrens- und Geschäftsordnung oder auch an solchen über rechtlich veranlasste ärztliche Leistungen wie etwa der Erteilung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für abhängig Beschäftigte zu beteiligen.

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Die stimmrechtliche Unwucht

Allerdings gibt es immer noch zahlreiche normsetzende Entscheidungen des G-BA, an denen die Zahnärzte in fragwürdiger Weise nicht beteiligt werden. Dies hängt mit der gesetzlichen Stimmenzuweisung und -gewichtung nach § 91 Abs. 7 SGB V zusammen. Die darin gesetzlich verankerte ungleiche Stimmrechtsgewichtung und -verteilung unter den Trägerinstitutionen des G-BA ist aus medizinischer Sicht verfehlt, vor allem aber rechtlich unhaltbar. Denn zum einen geht der Gesetzgeber in § 91 Abs. 7 SGB V von der Existenz nebeneinander bestehender und unverbundener Leistungssektoren in der medizinischen Versorgung aus, wiewohl er selbst eine sektorenübergreifende ärztliche Versorgung an anderer Stelle postuliert. Das Ergebnis ist eine regulative Inkohärenz der zahnärztlichen Beteiligung an der Normsetzung.

Zum anderen ist die Stimmrechtsgewichtung und -verteilung im Ausschuss bei Einzelentscheidungen respektive der Verabschiedung von Richtlinien zu kritisieren. Es geht dabei um die fundamentale Bedeutung der Verfahrens- und Geschäftsordnung des G-BA für die rechtlich einwandfreie Vertretung der Zahnärzte im Plenum. Von Gesetzes wegen fasst das Beschlussgremium des G-BA seine Beschlüsse mit der Mehrheit seiner Mitglieder, sofern die Geschäftsordnung nichts anderes bestimmt.

In allen diesen Fällen besteht das Beschlussgremium des G-BA aus einem unparteiischen Vorsitzenden, zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern, einem von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, jeweils zwei von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft und fünf von dem Spitzenverband der Krankenkassen benannten Mitgliedern. Bei Beschlüssen, die allein einen der Leistungssektoren wesentlich betreffen, werden alle fünf Stimmen der Leistungserbringer anteilig auf diejenigen Mitglieder übertragen, die von der betroffenen Leistungserbringerorganisation benannt worden sind. Bei Beschlüssen, die allein zwei der drei Leistungssektoren wesentlich betreffen, werden die Stimmen der von der nicht betroffenen Leistungserbringerorganisation benannten Mitglieder anteilig auf diejenigen Mitglieder übertragen, die von den betroffenen Leistungserbringerorganisationen benannt sind.

Als Folge dieser gesetzlichen Stimmengewichtung und -verteilung konzentrieren sich in der Regel, weil er stets betroffen ist, fünf Stimmen auf den Spitzenverband Bund der Krankenkassen, während der DKG zwei und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ebenso zwei Stimmen zufallen. Die zahnärztliche Leistungserbringung wird dagegen in ihrer forensischen Verknüpfung mit den anderen Leistungssektoren vom Gesetzgeber (und vom G-BA) weitgehend negiert. Ihr wird nur dann eine (einzelne) Stimme zugeordnet, wenn es allein (oder auch) um zahnärztliche Leistungserbringung geht. Schließlich verfügen die neutralen (drei) Mitglieder über jeweils eine eigene Stimme – also jedes einzelne über das gleiche Stimmengewicht wie die Zahnärzte (!) –, die es in den Abstimmungen einzusetzen gilt.

Im Ergebnis dieser Stimmenzuweisung und -gewichtung kommt dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen regelmäßig mehr als ein Drittel der Gesamtstimmenzahl (5 von 13 Stimmen) zu – eine merkwürdige und verfassungsrechtlich fragwürdige Verteilung von Entscheidungsmacht unter den „Gleichen“ der gemeinsamen Selbstverwaltung, die sich angeblich durch die entsprechende Wirkkraft dieser legitimieren ließe. Der Gesetzgeber muss sich allerdings fragen lassen, welche „inneren Fronten“ hierbei aufgebaut oder widergespiegelt werden. Geht es überhaupt um die spezielle Legitimation exekutiver beziehungsweise der Selbstverwaltung entspringender Normsetzung?

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Die heimliche Exekutive

Fragt man mit anderen Worten nach der Legitimationskraft, die dem G-BA als angeblicher Formation „gemeinsamer Selbstverwaltung“ für dessen untergesetzliche Normsetzung zukommt, so muss die Antwort hierauf den Ausschuss als eine Einrichtung sui generis der Staatsverwaltung kennzeichnen, die gerade nicht den Charakter der „Selbst“verwaltung aufweist. Es handelt sich bei seiner Tätigkeit nicht um die Selbstorganisation der Versicherten, sondern um mittelbares staatliches Handeln zum Zweck der exekutivisch gesteuerten Rechtsfortbildung im Gesundheitswesen mit regulativ-rechtsschöpferischer Funktion.

Die „Beimischung“ von tragenden Elementen der Staatsverwaltung zum Interessenverbund der Trägerorganisationen im G-BA (Verfahren zur Besetzung des Ausschusses, keine Repräsentation der Versicherten, Steuerung des Innovationsfonds) trägt dazu bei, den G-BA als eine öffentlich-rechtliche „Agentur“ der wettbewerblich orientierten und qualitätsverpflichteten Gesundheitspolitik einzuordnen.

Kraft deren gesetzlich vorgegebenen Organisations- und Verfahrensdirektiven wird den Leistungserbringern und den Krankenkassen als gesundheitspolitischen Kontrahenten die Aufgabe übertragen, im dafür geschaffenen gemeinsamen Ordnungsrahmen des G-BA auf dem Weg permanenter Verhandlungen ihre wettbewerblichen Spielräume zu entfalten und Verteilungskonflikte mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Patienten und die Versicherten abzuarbeiten. Das Ergebnis ist staatliche Normsetzung. Die hieran von Gesetzes wegen beteiligten Interessengruppen sind allerdings ungeachtet fortwährender Berufung auf die Patientenautonomie und die Belange der Verbraucher diesen ebenso wie den Versicherten nur in homöopathischer Dosis erschlossen.

Entfällt aber die Legitimationswirkung funktionaler Selbstverwaltung für Eingriffe des G-BA in Gestalt von Richtlinien oder auch Einzelentscheidungen in die Grundrechte der Patienten („Grundrecht auf Gesundheitsschutz“) und in diejenigen der Leistungserbringer (etwa „zahnärztliche Berufsfreiheit“, „Eigentumsschutz“ und anderes mehr), so stellt sich die Frage nach den verfassungsrechtlichen Grenzen staatlicher Grundrechtseinschränkungen zum Beispiel der „Freien Berufe“ durch die Entscheidungstätigkeit des G-BA.

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Die unterentwickelte Partizipation

Der parlamentarische Gesetzgeber muss sich jedenfalls bemühen, durch die Weiterentwicklung des Ausschusses diesen als institutionelles Modell einer zur gesellschaftlichen Teilhabe hin geöffneten parti-zipativen Gesundheitsverantwortung zu komplettieren. Dabei darf er aber das Ziel nicht aus dem Auge verlieren, Legitimation und Akzeptanz der Ausschussentscheidungen zu erhöhen sowie die erforderliche Transparenz und die Beteiligungsmöglichkeiten weiter zu stärken. Andernfalls müsste der G-BA als eine Bundesagentur für Krankenversicherung ohne verfassungsrechtliche Grundlage klassifiziert werden.

Aktivitäten des Gesetzgebers, die künftig auch und vor allem den Grundrechtsschutz von Patienten und Leistungserbringern im Auge haben (müssen), sind an sich nach alledem aufgerufen, auch die freiheitsrechtlich eröffneten Wettbewerbsoptionen der Gesundheitsgesetzgebung zu nutzen. Die aktuellen politischen Entscheidungen, den G-BA mit der Gründung eines Instituts für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG) zu beauftragen, führen indes in eine andere Richtung: Sie bedeutet einen enormen Machtzuwachs für das Regulierungsgremium in mittelbarer Staatsverwaltung. Wie auch das IQTiG verdeutlicht, soll ein zentraler Inhalt der künftigen Arbeit des G-BA sein, inhaltliche Schwerpunkte in der Qualitätssicherung medizinischer Versorgung zu setzen und für diese Indikatoren festzulegen. Die Macht des Ausschusses wächst mit diesem Instrument, wie sich zunächst an der frühen Nutzenbewertung im Arzneimittelrecht zeigen dürfte.

Sektorspezifische Verfahren, wie dasjenige der Qualitätssicherung im zahnärztlichen Bereich, das auch bundesmantelvertraglich akzeptiert ist, werden überdies an den Rand gedrängt – mehr noch: Ihnen wird die rechtliche Grundlage entzogen. Promotor dessen ist die nachgeordnete Normgebung seitens des G-BA, die allerdings bislang nicht berücksichtigt, dass die auf unterschiedlichen Versorgungsebenen zu installierende Qualitätssteuerung differenzierten grundgesetzlichen Kompetenzmaßgaben sowie dem vorzugswürdigen „echten“ Selbstverwaltungshandeln unterliegt. Die Zahnärzte sollten deshalb an ihrem „internen“ Modell der Qualitätssteuerung und -sicherung zum Beispiel beim Thema Zahnersatz festhalten.

Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Rainer PitschasDeutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyerr.pitschas@uni-speyer.de

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