Dysmorphe Störung

Therapie mit schweren Folgen

Ein 31-jähriger Patient mit einer bekannten körperdysmorphen Störung im Gesichtsbereich stellte sich notfallmäßig mit einem beginnenden Abszessgeschehen im Bereich der rechten Schläfe bis nach infraorbital reichend vor.

Anamnestisch berichtete er, dass er sich drei Wochen zuvor im Ausland in einem Tattoo- und Piercing-Studio multiple subdermale Implantate in Lokalanästhesie hatte einbringen lassen. Dabei handelte es sich um stabförmige, etwa 3 mm x 10 mm große „Subdermals“ aus Polytetrafluorethylen (PTFE). Bereits am Folgetag hätten sich Zeichen einer Entzündung mit Schwellung gezeigt, so dass noch vor Ort eine orale antibiotische Therapie begonnen worden sei. Aufgrund weiterer Beschwerden wurde der Patient nach Überweisung vorstellig.

###more### ###title### "Bitte um Verbesserung der Optik" ###title### ###more###

"Bitte um Verbesserung der Optik"

Bereits zwei Jahre zuvor war der Patient vorstellig geworden mit der Bitte um Verbesserung der Optik im Bereich der Augenlider und des Mittelgesichtskomplexes. Weitere fünf Jahre zuvor, bei Zustand nach Nasenbeinfraktur, wurden Unterspritzungen mit einem Filler in Deutschland und im Ausland durchgeführt. Kurz darauf erfolgte ein Stirnlift. Bei Verdacht auf Dysmorphophobie wurde ein optisch-ästhetischer Eingriff damals durch uns jedoch verwehrt.

Im Rahmen der jetzigen Wiedervorstellung wurde in Lokalanästhesie über eine beginnende lateroorbitale Fistel und eine weitere infraorbitale Inzision der Abszess entlastet, multiple, partiell frakturierte Implantate wurden entfernt (Abbildung 1).

Zur Drainage wurden zwei Gummilaschen eingelegt. Bei weiter zunehmendem Druckschmerz im Bereich der V. angularis rechts erfolgte schließlich die stationäre Aufnahme zur i.v. antimikrobiellen und analgetischen Therapie, worunter es zu einer raschen Besserung kam. Eine im Rahmen des stationären Aufenthalts angefertigte digitale Volumentomografie zeigte etliche weitere Fremdkörper über den Gesichtsbereich verteilt (Abbildungen 2 bis 4).

Nach der stationären Entlassung wurde der Patient ambulant weitergeführt. Über die Inzisionen gingen sukzessive weiter Implantate ab. Nach Konsolidierung der Verhältnisse kam es im weiteren Verlauf immer wieder zu schmerzhaften Attacken. Der Patient wünschte aber keine weitere Entfernung der noch verbliebenen Implantate in diesen Bereichen, fragte aber nach einer Korrektur der Narben.

###more### ###title### Diskussion ###title### ###more###

Diskussion

Die körperdysmorphe Störung gehört zu den somatoformen Störungen und ist dadurch gekennzeichnet, dass die betroffenen Patienten subjektiv empfinden, durch diskrete oder nicht vorhandene Makel missgestaltet zu sein. Für Deutschland wird angenommen, dass die Prävalenz bei knapp zwei Prozent liegt [Grau K et al., 2015]. In Studien wird beschrieben, dass rund 25 Prozent der Patienten, die einen plastischen Chirurgen aufsuchen, unter Dysmorphophobie leiden [Alavi M et al., 2010].

Etwa 75 Prozent der Patienten mit dieser Störung wünschen sich chirurgische und nichtpsychiatrische medizinische Therapien, etwa 66 Prozent erhalten diese auch, wobei dermatologische Behandlungen mit 45 Prozent etwa doppelt so oft stattfinden wie chirurgische mit 23 Prozent. Eine weitere Besonderheit ist, dass allein durch die durchgeführten Therapien das Selbstbild der Patienten nicht geändert werden kann [Phillips KA et al., 2001].

Störung manifestiert sich meist im Teenie-Alter

Meist manifestiert sich die Störung im jugendlichen Alter (durchschnittlich um das 16. Lebensjahr), da hier das Aussehen immer wichtiger wird. In diesem Alter sind viele Jugendliche nicht mit ihrem äußeren Erscheinungsbild zufrieden, so dass sich ein gewisser Leidensdruck einstellen kann, der auch Krankheitswert gewinnen kann [Grau K et al., 2015].

Das Geschlechterverhältnis scheint relativ ausgeglichen zu sein, bei gegebenenfalls leicht häufigerer Inzidenz bei Frauen. Die Betroffenen sehen meist Defizite im Bereich des Gesichts oder der Haut. Wichtig zu erwähnen ist, dass bei einer manifesten körperdysmorphen Störung zwischen 20 Prozent und 80 Prozent der Patienten anamnestisch Suizidgedanken angeben. Die Prävalenz erfolgter Suizidversuche liegt zwischen sieben und 44 Prozent [Grau K et al., 2015].

In der Therapie bedient man sich unter anderem der Serotonin-Wiederaufnahmeinhibitoren, des Weiteren kommen kognitiv-behaviorale Ansätze zum Einsatz. Medizinische, nicht psychiatrische Behandlungen haben wie bereits erwähnt eine schlechte Prognose bezüglich der Besserung der körperdysmorphen Störung [Grau K et al., 2015].

Bekannter als Teflon oder Gore-Tex

Im vorliegenden Fall wurden erstmalig im Alter von 24 Jahren plastisch-chirurgische Eingriffe und zuletzt subdermale Implantate inseriert. Seit Ende der 60er-Jahre beschäftigt sich die Medizin mit subdermalen Implantaten zur hormonellen Kontrazeption [Bhatnagar S et al., 1975]. Die Polytetrafluorethylen-Implantate im vorliegenden Fall dagegen wurden aus rein ästhetischen Gründen eingebracht.

Der Polytetrafluorethylen wurde 1938 entdeckt und 1941 patentiert [Plunkett RJ, 1941]. Geläufiger ist es unter den Handelsnamen Teflon oder Gore-Tex. Im zahnärztlichen Bereich werden nicht resorbierbare Membranen aus Gore-Tex zum Beispiel in der Geweberegeneration eingesetzt. Abschließend soll bemerkt sein, dass in Teilbereichen der Zahnmedizin ebenfalls häufiger Patienten mit einer körperdysmorphen Störung vorstellig werden, zum Beispiel in der ästhetischen Zahnheilkunde [De Jongh A. et al., 2009] oder in der Kieferorthopädie [Yassaei S et al.,2014].

Andreas BemschKiefer- und plastische Gesichtschirurgie

Ingelheim Neue MitteÜberörtliche Berufsausübungsgemeinschaft für MKG-Chirurgie, Plastische Operationen

Georg-Rückert-Str. 10, 55218 Ingelheim

Dr. Dr. Thomas Ziebart, PD Dr. Dr. Christian WalterKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – plastische OperationenUniversitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität MainzAugustusplatz 2, 55131 Mainzwalter@mkg.klinik.uni-mainz.de

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.