Patientenmitwirkung im Gesundheitswesen

Zünglein an der Waage

Patienten werden von vielen noch immer gerne als Randfiguren im deutschen Gesundheitswesen gesehen. Ihre Mitwirkung sei unzureichend. Ihre Möglichkeiten begrenzt. Dabei zeigt ein Blick auf die Errungenschaften für Patienten der vergangenen 15 Jahre: Verlierer sehen anders aus.

Viele gesundheitspolitische Kongresse, die das Jahr über stattfinden, haben die Patientenorientierung im deutschen Gesundheits- wesen zum Thema. Nicht selten – so auch jüngst beim Jahreskongress des Bundes- verbands Managed Care (BMC) in Berlin – wird über die Unzufriedenheit der Deutschen mit ihrem Gesundheitswesen geredet. So wies Wolf-Dietrich Trenner, Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), auf eine WHO-Studie hin, nach der 14 Prozent der Deutschen ziemlich unzufrieden mit den hiesigen Verhältnissen sind. Sechs Prozent gaben sogar an, völlig unzufrieden zu sein. Gefragt wurde unter anderem nach den Chancen der Patienten zur Teilhabe an Entscheidungen und nach der Kommunikation mit und der Information durch den Arzt.

Deutschland, unterstrich Trenner, schneide dabei zwar im oberen Drittel ab. „Es gibt allerdings noch viel Raum nach oben.“ Eine Lösung ist nach Ansicht von Trenner, Patienten und deren Vertreter noch stärker in gesundheitspolitische Entscheidungen einzubeziehen – zum Beispiel durch ein Stimmrecht im G-BA. Endlich mitbestimmen zu dürfen, welche Therapien Einzug in die Regelversorgung halten oder welches Medikament von den Kassen erstattet wird, das wäre „eine wahre Fortentwicklung im Sinne der Bürgerbeteiligung“, glaubt Patientenvertreter Trenner. Vertreter vom Verbraucherflügel halten einen weiteren Punkt für maßgeblich – es müsse endlich gemessen werden, welchen Mehrwert Qualitätsmessungen im Gesundheitswesen für Patienten haben. „Allein etwas zu messen, ohne zu hinterfragen, welchen Fortschritt es für Patienten bedeutet, bringt uns nicht weiter“, meint Dr. Ilona-Köster Steinebach vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv).

Wissenschaftler David Klemperer formuliert es so: Zwar seien sinnvolle Strukturen geschaffen und die Patientenorientierung rechtlich weiterentwickelt worden. „Im Kernbereich der Patientenorientierung – also bei Behandlungsentscheidungen, die auf der Grundlage evidenzbasierter Informationen getroffen werden – sind keine spürbaren beziehungsweise messbaren Fortschritte zu verzeichnen“, sagt der Professor für medizinische Grundlagen der Sozialen Arbeit, Sozialmedizin und Public Health an der Hochschule Regensburg. Patienteninteressen stehen Klemperer zufolge im Alltagshandeln der Gesundheitsberufe und in der Forschung nicht explizit im Vordergrund. Wirft man einen Blick auf die Errungenschaften für Patienten in den vergangenen 15 Jahren, haben allerdings eine Reihe von Neuerungen Einzug ins deutsche Gesundheitswesen gehalten, die das alltägliche Handeln und Entscheidungen von Patienten in deren Sinn beeinflussen können. So gibt es inzwischen eine Reihe von Portalen für Patienten, auf denen sie relevante Informationen zu medizinischen Fragenstellungen, Versorgungsstrukturen im Gesundheits- wesen, Patientenquittungen, Verfügungen oder Patientenbeschwerden finden können. Unter anderem stellen die ärztlichen Selbstverwaltungskörperschaften gebündelte Informationen zur Verfügung (www.patienteninformation.de).

Qualitätsberichte

Damit Patienten bessere Entscheidungen treffen können, wurden zudem im Jahr 2003 die Krankenhäuser vom Gesetzgeber verpflichtet, ihre Qualitätsberichte zu veröffentlichen. Patienten können sich seitdem vorab erkundigen, wie ein Krankenhaus strukturiert ist und welche Leistungen es schwerpunktmäßig anbietet. Über die Jahre haben die Kliniken ihre Berichte im Sinne der Patienten verfeinert. Auch Kranken- kassen geben Navigatoren heraus, die Patienten bei der Suche nach Krankenhäusern helfen sollen und inzwischen in Teilen Auskünfte über die Behandlungsqualität bestimmter Operationen geben.

Darüber hinaus finanzieren die gesetzlichen Krankenkassen seit dem Jahr 2000 unabhängige Einrichtungen der Patientenberatung, seit 2004 gibt es sogar einen oder eine Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Patienten. Auch Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss gab es nicht immer, sie erhielten mit Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes (GKV-GMG) zum Januar 2004 Einzug in das deutsche Gesundheitswesen. Seitdem darf die sogenannte Patientenbank, inzwischen bestehend aus 100 bis 200 Patientenvertretern, bei Entscheidungen mitberaten und bei bestimmten Beschlüssen Anträge stellen, zum Beispiel auf die Aufnahme neuer Methoden in den GKV-Leistungskatalog. Allein das Stimmrecht, das den anderen Bänken zusteht, wird ihnen bislang verwehrt. Das ist noch nicht alles. Auch in puncto Sicherheit hat sich für die Patienten Positives getan. Auch im Zuge des GKV-GMG entstanden sogenannte Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen, die die Kassenärztlichen Vereinigungen einzurichten haben. Sicherheit für Patienten hat sich auch das 2005 entstandene Aktionsbündnis Patientensicherheit auf die Fahnen geschrieben, das Studien zu Fehlern und Beinahe-Fehlern im Gesundheitswesen herausgibt und Empfehlungen zur Vermeidung von Fehlern im Gesundheitswesen publiziert. Um die Forschung in diesem Bereich zu stärken, entstand 2009 ein eigenes Institut für Patientensicherheit an der Universität Bonn, das unter anderem prüft, ob eine Sicherheitskultur an deutschen Kliniken messbar ist. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit feiert auf seiner Jahrestagung am 16./17.4. 2015 in Berlin sein zehnjähriges Bestehen. Noch an anderer Stelle wurde im Sinne des Patienten geforscht: Das Bundesgesundheitsministerium schrieb einen Förderschwerpunkt aus. Erforscht werden sollte, wie eine gemeinsame Entscheidungsfindung von Arzt und Patient – das sogenannte shared decision making – ablaufen kann.

Umfragen, wenngleich nur vereinzelte, trugen zudem dazu bei, die Datenlage zur Zufriedenheit der Patienten in Deutschland zu erweitern und daraus Rückschlüsse für die Versorgung zu ziehen. So befragt die Kassenärztliche Bundesvereinigung regelmäßig mehr als 6 000 Versicherte zu ihrer Zufriedenheit mit dem deutschen Gesundheitswesen. Auch in puncto Arzneimittel hat sich etwas im Sinne der Patienten entwickelt: Hersteller neuer Arzneimittel müssen seit Inkrafttreten des Arzneimittelneuordnungsgesetzes 2011 einen patientenrelevanten Zusatznutzen belegen, wenn diese Mittel hochpreisig verkauft werden sollen. Nicht zuletzt trat im Jahr 2013 endlich das von vielen Patienten ersehnte Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten in Kraft, das Ärzte dazu verpflichtet, Patienten über Nutzen und Risiken ihrer Optionen im Sinne einer gemeinsamen Entscheidungsfindung zu informieren. Diese Neuerungen, unterstrich Thomas Isenberg, ehemals wie Köster-Steinebach beim vzb im Bereich Gesundheit tätig, seien ein Fortschritt für alle Patienten in Deutschland.

Martina MertenFachjournalistin für Gesundheitspolitikinfo@martina-merten.de

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.