Die neuen Herausforderungen
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
die Feiern zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit liegen hinter uns. Wahrhaft ein Teil der deutschen Geschichte, auf den wir alle stolz sein können. In unserem Bereich ging es dabei nicht nur darum, Strukturen wie unsere Selbstverwaltung im Ostteil Deutschlands neu zu schaffen, sondern auch zeitgleich den Schritt in die Freiberuflichkeit zu organisieren und zu unterstützen.
All das ist mit der dem Berufsstand eigenen Solidarität und Zuversicht, mit Mut und Pragmatismus geschafft worden. Die Dynamik von Veränderungen ist dabei nach wie vor im Ostteil höher. Seien es nur die Herausforderungen durch den demografischen Wandel in der Bevölkerung oder im Berufsstand selbst, die damit einhergehende Problematik im ländlichen Raum und der Mangel an ausreichenden Fachkräften für die Praxen. Probleme, die mit zeitlicher Verzögerung auch im westlichen Teil Deutschlands deutlicher erkennbar werden und somit uns alle fordern.
Überlagert wird diese Entwicklung, dies war in allen politischen Äußerungen zum Tag der Deutschen Einheit zu hören, von der anhaltenden Flüchtlingswelle in unserem Land. Deutlich wurde dabei auch, dass die Möglichkeiten begrenzt sind. Unverständlich erscheint deshalb die derzeitige Diskussion auf europäischer Ebene, die weder Solidarität mit diesen Menschen bekundet noch eine einheitliche Strategie im Umgang mit diesen Herausforderungen aufzeigt.
Jeder von uns hat dazu sicherlich seine eigene Meinung. Trotzdem gilt es, in der jetzigen Situation den Tatsachen ins Auge zu sehen, Bedarfe zu erkennen – und professionell als Berufsstand zu handeln. Ehrenamtliches Engagement ist genauso gefordert wie pragmatische Lösungen und sachliche Hinweise.
Das Asylbewerberleistungsgesetz (die BZÄK hat dazu eine entsprechende Information auf ihrer Webseite bereitgestellt) macht zwar Vorgaben zur Versorgung, aber ethische Gewissenskonflikte werden damit nicht gelöst. Jeder Zahnarzt muss aufgrund der individuellen Situation des Patienten entscheiden, welche Untersuchungen und Behandlungen nach dem Gesetz notwendig und abgedeckt sind.
Ein großes Problem sind die Sprachbarrieren. Der Zahnarzt ist durch das Patientenrechtegesetz verpflichtet, verständlich in einem persönlichen Gespräch aufzuklären – auch den Asylbewerber. Wenn der Patient keine hinreichenden Deutschkenntnisse hat, muss die Aufklärung in einer Sprache erfolgen, die der Patient versteht. Notfalls muss man einen Dolmetscher hinzuzuziehen. Aus juristischer Sicht ist aber die Einwilligung des Patienten in die Behandlung zwingend notwendig.
Um dem Zahnarzt eine Hilfestellung bei Sprachproblemen anzubieten, hat die Bundeszahnärztekammer ein Piktogrammheft für die Zahnarztpraxis entwickelt, das eine Kommunikation ohne Worte ermöglicht. Auch dieses ist als Download unter www.bzaek.de erhältlich. Es dient der Veranschaulichung beim Gespräch. Keinesfalls ersetzt es die Pflicht, aber es erleichtert die umfassende Aufklärung.
Diskutiert wird in der Öffentlichkeit auch, ob muttersprachliche Ärzte oder Zahnärzte, die nicht in Deutschland approbiert sind, als Behandler infrage kommen. Hier ist aus zahnärztlicher Sicht große Skepsis angebracht. Die Gleichwertigkeitsprüfung – inklusive Sprachprüfung (samt dem Nachweis fachlicher wie umgangssprachlicher Sprachkenntnisse) – ist unerlässliche Voraussetzung, um in Deutschland im Beruf des Zahnarztes tätig zu werden. Im Interesse des Patientenschutzes darf es für Flüchtlinge und Asylbewerber keine anderen Normen geben als für einheimische Patienten.
Kurzum: Es gibt viele offene Fragen, um die gesundheitliche Versorgung von Flüchtlingen zu regeln. Wir werden uns auch pragmatischen Lösungen nicht verschließen. Wichtig ist jedoch, dass wir in diese Diskussion von der Politik einbezogen werden, denn Zahnmedizin ist ein wichtiger Teil der medizinischen Grundversorgung. Die Herausforderungen werden auch nach 25 Jahren nicht kleiner.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Dietmar Oesterreich
Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer