Das Aussortieren beginnt
Im Jahr 2009 waren es noch 21 Prozent der Kliniken in Deutschland, die in den Miesen steckten. Binnen drei Jahren steigerte sich die Zahl im Jahr 2012 schon auf über 50 Prozent, weist das Krankenhaus Barometer aus, die jährliche Umfrage des Deutschen Krankenhaus-Instituts (DKI). Das hat sich bis heute nicht wesentlich geändert: Rund die Hälfte der Klinikchefs halten ihre wirtschaftliche Situation für kritisch, 40 Prozent glauben, dass sie sich zusehends verschlechtert.
Ein ähnliches Bild zeichnet der letzte Krankenhaus-Rating-Report, der gemeinsam vom Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), der Institute for Healthcare Business GmbH (hcb), der Stiftung Münch und der Philips GmbH erstellt wird.
Demnach ist die Insolvenzwahrscheinlichkeit deutscher Krankenhäuser im Jahr 2013 weiter gestiegen, nach wie vor ist die Kapitalausstattung der Krankenhäuser völlig unzureichend. Produktivitätsfortschritte und Marktaustritte von wirtschaftlich schwachen Häusern seien daher nötig, um den Anteil der Kliniken im roten Bereich zu verringern, heißt es vom RWI.
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In vielen Regionen, vor allem im Westen Deutschlands, seien die Krankenhausstrukturen ungünstig. Grund: Es gibt zu viele kleine Einheiten, eine zu hohe Krankenhausdichte und zu wenig Spezialisierung. Das RWI schlägt dabei auch einen Fonds vor, eine „Bad Bank“ für Krankenhäuser. Dieser könnte dabei helfen, Klinikschließungen besser zu bewerkstelligen: Er soll Krankenhäuser dann zur Abwicklung aufnehmen, wenn für den Träger weder eine Sanierung noch ein Verkauf infrage kommt und der Standort nicht aus Versorgungsgründen aufrechterhalten werden muss.
Der Fonds sollte einerseits die Kosten für den Abriss oder gegebenenfalls die Umwidmung der Immobilie sowie für die Aufstellung eines Sozialplans tragen. Er sollte aus Bundesmitteln gespeist werden und unabhängig von den Ländern agieren können.
Qualität als Parameter
Im Grunde genommen spielt das RWI mit dieser Idee der Großen Koalition in die Hände: Am 10. Juni dieses Jahres hat das Bundeskabinett den Entwurf des Krankenhaus-Strukturgesetzes (KHSG) beschlossen. Das Gesetz von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sieht im Kern unter anderem vor, überflüssige Krankenhauskapazitäten abzubauen.
Der Mechanismus: In Gröhes Reformplänen werden erstmals Qualitätsparameter für die Beurteilung der Leistungen von Krankenhäusern festgeschrieben – ein Paradigmenwechsel. Für gute Qualität gibt es Zuschläge, für schlechtere Qualität der Behandlungen Abschläge. So soll der Ausleseprozess zwischen rentablen und unrentablen Kliniken gefördert werden.
Unterstützen soll den Abbau von Überkapazitäten laut Gesetzesvorhaben der Bundesregierung ein sogenannter Strukturfonds. Mit seiner Hilfe sollen überflüssige Häuser in nicht akutstationäre lokale Versorgungseinrichtungen wie Gesundheits-, Pflegezentren oder stationäre Hospize umgewandelt werden. Der Fonds soll einmalig mit Mitteln in Höhe von 500 Millionen Euro aus dem Gesundheitsfonds gefüllt werden. Die Länder werden mit der gleichen Höhe bedacht, eine zwingende Beteiligung der privaten Krankenversicherung ist nicht vorgesehen.
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Strukturfonds als Retter?
So weit der Plan. Doch gerade mit diesem Strukturfonds haben gerade die Länder ihre Probleme. Sie sind zu klamm, um hierfür Gelder bereit zu stellen. Dies berichtete etwa Jens Spahn, (damals noch als gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion) auf einer Podiumsdiskussion des GKV-Spitzenverbands am 16. Juni in Berlin.
Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes, zeigte sich bei der Veranstaltung zudem besorgt, dass es zu einem Missbrauch des Strukturfonds durch die Länder kommen könnte. Gewisses Verständnis hegte von Stackelberg für die Kliniken: Mit der Auflage, das jährliche Investitionsvolumen zu halten, werde die Unterfinanzierung praktisch fortgeschrieben. Wulf-Dietrich Leber, Abteilungsleiter Krankenhäuser im Spitzenverband der Krankenkassen, sieht ebenfalls die Länder in der Pflicht: „Wir haben die große Sorge, dass sich die Länder auf Kosten der Versicherten sanieren, ohne den nötigen Strukturwandel überhaupt anzugehen“, sagte er.
Versorgung im Vergleich
Gerade bei der Notwendigkeit, strukturelle Veränderungen in der Kliniklandschaft vorzunehmen und Betten wie Häuser abzubauen, beruft sich die Politik gerne auch auf den Blick über den Tellerrand, sprich die Situation in anderen Ländern der EU. Auf der genannten GKV-Veranstaltung verwies etwa Prof. Dr. Reinhard Busse von der TU Berlin auf Schweden: „Dort gibt es nur ein Drittel der Anzahl unserer Krankenhausbetten“, führte Busse aus. Viele andere Länder hätten nur die Hälfte, und dies ohne, dass die Versorgung darunter leiden würde. Kein Wunder also, dass die Auslastung hierzulande etwa bei nur 80 Prozent liege – roundabout. Langfristig, so Busse, müsse man die Klinik- und Bettenzahl in Deutschland drastisch zurückfahren.
Leber bläst ins gleiche Horn: „Deutschland hat im internationalen Vergleich zu viele Betten und zu viele Klinikstandorte“, sagt er. Leber verweist auf Nachbarländer. So gebe es in Dänemark 40 Krankenhäuser, das in Fläche und Bevölkerungszahl vergleichbare Niedersachsen habe 170 Häuser. In den Niederlanden existierten 132 Kliniken, im vergleichbaren Nordrhein-Westfalen 401 Krankenhäuser.
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Reform bedeutet Schließungen
Auch der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU), rechnet im Zusammenhang mit der Krankenhausreform mit der Schließung von – vorwiegend kleineren – Kliniken. „Es gibt Städte in Deutschland, da gibt es im Umkreis von fünf Kilometern gleich mehrere Krankenhäuser. Dies wird man so wahrscheinlich nicht aufrechterhalten können“, sagte Laumann in der Berliner Zeitung. Viele kleine Krankenhäuser unter 200 Betten hätten es schon heute schwer, so Laumann. Zudem werde sich die Krankenhauslandschaft auch dadurch verändern, „dass Kliniken fusionieren und sich spezialisieren“.
Ohnehin, so geht RWI-Abteilungsleiter Boris Augurzky davon aus, könnten hierzulande etwa 200 defizitäre Kliniken geschlossen werden ohne dass es zu nennenswerten Versorgungslücken käme. Ganz im Gegenteil, argumentiert Augurzky: So könnten Klinikträger und Bundesländer jährlich mehr als eine halbe Milliarde Euro einsparen – Geld, das die Kliniken nutzen könnten, um lange vor sich hergeschobene Investitionen anzupacken. Der kumulierte Investitionsstau indes beträgt mindestens 12 Milliarden Euro, so das RWI.
Gesetz ohne Investitionen
Gerade dieser Aspekt bringt den Präsidenten der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Thomas Reumann, in Rage. „Was im Gesetzentwurf völlig fehlt, ist eine Lösung des Investitionsstaus“, so Reumann. Dringend notwendig wäre, gemeinsam mit den Bundesländern die absolut unzureichende Investitionsfinanzierung der Krankenhäuser zu beseitigen. Der bislang vorgesehene Investitionsfonds könne zwar in den spezifischen Anwendungsbereichen von Schließungen und Umwandlungen helfen – löse aber nicht die jährliche Unterfinanzierung in Milliardenhöhe. Investitionen aber seien der Schlüssel für Wirtschaftlichkeit und Zukunftsorientierung der Kliniken.
Und während Gröhes Haus durch die Reform ein Plus für die Versorgung ausmacht, lässt die DKG kaum ein gutes Haar an den Plänen der Großen Koalition: „Diese Krankenhausreform ist viel Etikettenschwindel: Wo Hilfe drauf steht, sind neue Belastungen drin“, so Reumann. Durch das KHSG werde weder die Versorgung der Patienten verbessert, noch die Finanzierung der Krankenhäuser gesichert. „Wir haben nicht den Eindruck, dass die für dieses Reformkonzept Verantwortlichen aus Bund und Ländern wirklich wissen, was in den Krankenhäusern los ist“, so der DKG.
Auch Spahn monierte, dass sich die Länder hinsichtlich der Klinikinvestitionen „einen schlanken Fuß machen“. Zwar habe er „viel Verständnis für die Haushaltslagen in den einzelnen Bundesländern“, aber dies sei tatsächlich ein Manko in der gesamten Reform.
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Wer schließt was?
Die Beantwortung der Frage, welche Krankenhäuser der geforderten „Marktbereinigung“ tatsächlich zum Opfer fallen sollen, steht ohnehin noch aus. Zwar ist der Druck auf die Häuser gerade in ländlichen Regionen besonders groß. Hier sind Kliniken quasi der Alleinversorger und müssen sämtliche medizinischen Versorgungsleistungen anbieten – egal, wie häufig sie genutzt werden.
Das Deutsche Ärzteblatt zitiert hierzu den Gesundheitsökonomen der Hochschule Rhein Main in Wiesbaden, Prof. Thomas Kolb: „Heute haben vor allem die Krankenhäuser Probleme, die als Grundversorger in ländlichen Regionen die Versorgung sicher stellen und deshalb alles anbieten müssen. Schwarze Zahlen schreiben Kliniken, die sich auf Leistungen spezialisieren, die im DRG-System gut vergütet werden.“
Auf der andern Seite gilt: Wo immer ein Krankenhaus geschlossen werden soll, kochen die Emotionen hoch und es hagelt Kritik. Dies konnte Jens Spahn auf der GKV-Veranstaltung bestätigen. Es sei keine einfache Entscheidung, Krankenhäuser zu schließen, dies wisse er aus eigener Erfahrung aus seinem Wahlkreis, bekannte er.
Genau darum fürchten wohl auch viele Politiker diesen Schritt. Um die Gunst der Wähler nicht zu verlieren, scheuen sie sich davor, Kliniken abzuwickeln – gleich wie hoch die Miesen sind, die sie einfahren. Zudem sind die Kliniken gerade in ländlichen Gegenden ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, dem Lokalpolitiker ungern den Garaus machen wollen. Vielleicht erklärt sich dadurch, was in einem Gutachten des GKV-Spitzenverbands offenbart wird: Von 2003 bis 2012 wurden lediglich 74 Krankenhäuser mit rund 5.000 Betten geschlossen.
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