Immer mehr Frühchen –weniger Sterblichkeit
Die Häufigkeit von Frühgeburten nimmt weltweit und insbesondere in den Industrienationen zu. Als eine der Ursachen hierfür wird das gestiegene Alter der Mütter bei der Geburt vermutet, das offenbar mit einem erhöhten Risiko für Schwangerschaftskomplikationen und eben auch für eine Frühgeburt assoziiert ist. Es gibt zudem tierexperimentelle Befunde wie auch Daten aus klinischen Studien, wonach das Risiko einer Frühgeburt bei Schwangeren mit Parodontitis erheblich erhöht ist. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) haben Frauen mit parodontaler Erkrankung Studien zufolge ein 4,3-fach höheres Risiko für eine Frühgeburt und es besteht ein 5,3-fach höheres Risiko, ein untergewichtiges Frühgeborenes zur Welt zu bringen, als bei Schwangeren mit gesundem Parodont. Auch gibt es Hinweise, dass eine nicht-chirurgische Parodontitistherapie den Schwangerschaftsverlauf günstig beeinflussen kann, wobei die Rate der Frühgeburten bei behandelten Frauen niedriger war als bei einer unbehandelten Kontrollgruppe. Als Frühgeburt werden dabei allgemein Geburten bezeichnet, bei denen das Baby zwischen der 24. und der 37. Schwangerschaftswoche mit einem Gewicht zwischen 500 und 2 500 Gramm zur Welt kommt, wobei nicht differenziert wird, ob das Kind lebt oder tot geboren wird. Nur tot geborene Kinder mit einem Gewicht unter 500 Gramm werden als Fehlgeburt bezeichnet.
Fast jedes zehnte Kind kommt zu früh zur Welt
In Deutschland liegt die Rate der Früh- geburten bei 9,2/100 Neugeborenen, pro Jahr erblicken aktuellen Schätzungen zufolge etwa 63 000 Kinder hierzulande vor der 37. Schwangerschaftswoche (SSW) das Licht der Welt. 8 000 dieser Kinder werden sogar vor der 30. SSW geboren. Es handelt sich in aller Regel um sehr kleine Frühgeborene, ihr Geburtsgewicht liegt zumeist unter 1 500 Gramm. Als extrem klein werden Frühgeborene mit einem Körpergewicht unter 1 000 Gramm bezeichnet. Zu unterscheiden ist ferner zwischen hypotrophen Frühgeborenen, sogenannten Small-for-Gestational-Age-Babys (SGA-Babys), also Kindern, die deutlich leichter und kleiner sind, als es der SSW entsprechen würde, und hypertrophen Frühgeborenen, die unüblich groß und/oder schwer für das Gestationsalter sind, sogenannten Large-for-Gestational-Age-Babys (LGA-Babys). Kinder, die zu früh zur Welt kommen, haben heutzutage deutlich bessere Überlebenschancen als früher. Vor allem bei den sehr kleinen Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht unter 1 500 Gramm haben sich die Therapiemöglichkeiten nach Angaben der Organisation „Frauenärzte im Netz e.V.“ in jüngster Zeit erheblich verbessert, was sich in einer rückläufigen Sterblichkeit von Frühgeborenen in vielen Ländern niederschlägt.
Ursachen der Frühgeburtlichkeit
Im individuellen Fall lässt sich bei einer Frühgeburt meist keine konkrete Ursache fassen. Neben einem vergleichsweise hohen Alter der Schwangeren gibt es jedoch weitere Risikofaktoren wie zum Beispiel eine urogenitale Infektion der Mutter, Schwangerschaftskomplikationen wie eine Plazentainsuffizienz, eine Gestose, eine Anämie sowie Rauchen während der Schwangerschaft. Auch eine hohe Stressbelastung der Schwangeren kann die Frühgeburt triggern. Ein erhöhtes Risiko besteht zudem offenbar bei Vorliegen einer Zöliakie und ebenso bei einer bestehenden Parodontitis. Neben solchen, vom mütterlichen Organismus ausgehenden Risiken gibt es auch kindliche Faktoren, die Auslöser einer Frühgeburt sein können. Dazu gehören Chromosomenanomalien und Fehlbildungen. Davon unabhängig sind eine Rhesus-Inkompatibilität und Mehrlingsschwangerschaften Trigger für eine vorzeitige Geburt. Außerdem sind vorangegangene Früh- geburten mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine erneute vorzeitige Geburt behaftet.
Von einer drohenden Frühgeburt ist vor allem bei vorzeitigen Wehen auszugehen. Außerdem kann sich eine Frühgeburt durch Blutungen und vor allem durch einen verfrühten Blasensprung ankündigen. Durch eine Behandlung mit wehenhemmenden Mitteln, sogenannten Tokolytika, kann dann versucht werden, die Geburt hinauszuzögern und dem Kind so die Möglichkeit zu geben, weiter im Mutterleib zu wachsen. Die Überlebenswahrscheinlichkeit von Frühgeborenen sinkt allgemein mit abnehmendem Gestationsalter und abnehmendem Geburtsgewicht. Bei Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1 000 Gramm wird die Prognose nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin (GNPI) stark durch weitere Faktoren bestimmt. Einlinge haben demnach eine bessere Prognose als Mehrlinge und Mädchen eine bessere als Jungen. Günstig auf die Überlebenswahrscheinlichkeit wirken sich ferner eine abgeschlossene fetale Lungenreifebehandlung und die Geburt in einem Perinatalzentrum der Maximalversorgung mit hohen Fallzahlen aus. Ungünstig dagegen sind eine floride Infektion und die Geburt außerhalb eines Perinatalzentrums.
Entsprechend den Daten eines US-Registers liegt die Wahrscheinlichkeit für ein behinderungsfreies Überleben bei Kindern mit einem Gestationsalter von 23 vollendeten Schwangerschaftswochen bei etwa zehn Prozent. Die Registerdaten zeigen zugleich, wie groß die Spannbreite ist. So beträgt die Chance auf ein Überleben ohne Behinderungen bei einem Einlings-Mädchen mit abgeschlossener fetaler Lungenreife und einem Geburtsgewicht von 850 Gramm 50 bis 80 Prozent. Sie sinkt auf etwa zwei Prozent ab bei Mehrlingsschwangerschaften ohne fetale Lungenreifung und einem Geburtsgewicht von 420 Gramm.
Gesundheitliche Risiken für das Kind
Als bedeutsamste Langzeitmorbidität extrem frühgeborener Kinder werden in der Leitlinie der GNPI neurologische Schädigungen sowie Beeinträchtigungen der zerebralen Leistungsfähigkeit genannt. Die durchschnittlichen Entwicklungs- und Intelligenzquotienten fallen dabei mit sinkendem Gestationsalter ab, wobei Jungen wiederum stärker betroffen sind als Mädchen. Rund die Hälfte der überlebenden Frühgeborenen mit einem Gestationsalter von 24 vollendeten Wochen bedarf laut GNPI in der Schule spezieller Hilfen, ihr Intelligenzquotient liegt im Durchschnitt bei Mädchen 15 bis 20 und bei Jungen 30 bis 35 Punkte unter dem üblichen Durchschnittswert. Die schulischen Schwierigkeiten spiegeln sich in längeren Ausbildungszeiten und meist in einem vergleichsweise niedrigen beruflichen Einkommen als Erwachsene wider. Allerdings unterscheidet sich nach Angaben der Gesellschaft die subjektive Lebenszufriedenheit der ehemaligen Frühgeborenen und ihrer Familien den vorliegenden Daten zufolge nicht signifikant von Menschen, die mit normalem Geburtsgewicht zur Welt gekommen sind. Wenig ist bislang bekannt hinsichtlich der Langzeitmorbidität von Frühgeborenen mit einem Gestationsalter von weniger als 23 vollendeten Schwangerschaftswochen.
Geburt im spezialisierten Perinatalzentrum
Um die Prognose des Kindes zu verbessern, empfiehlt es sich laut GNPI, Schwangere mit drohender Frühgeburt und einem Gestationsalter zwischen 20 und 26 vollendeten SSW umgehend in ein hoch spezialisiertes Perinatalzentrum zu verlegen. Die Verlegung bedeutet dabei nicht eine Vorentscheidung für ein proaktives Vorgehen zu einem gegebenen Zeitpunkt, sondern soll zum einen den Eltern die Möglichkeit geben, im Gespräch mit den Ärzten des Zentrums zu einer Entscheidung zu kommen, zum anderen eine Therapieoptimierung mit dem Ziel der Fortsetzung der Schwangerschaft ermöglichen. Spezielle Maßnahmen wie die Gabe von Tokolytika sowie eine antihypertensive oder eine antiinfektiöse Behandlung der Schwangeren können nach Rücksprache mit dem aufnehmenden Zentrum noch vor der Verlegung begonnen werden. Die Einschätzung der medizinischen Möglichkeiten im aufnehmenden Perinatalzentrum sollte dann von Geburtsmedizinern und Neonatologen gemeinsam durchgeführt werden.
Abschätzung der Überlebenschancen
Zur Indikationsstellung medizinischer Maßnahmen unter Berücksichtigung der ethischen Implikationen ist eine Einschätzung der Prognose extrem früh geborener Kinder von entscheidender Bedeutung. Von Einzelfällen abgesehen besteht nach allgemeiner Einschätzung bei Frühgeborenen mit einem Gestationsalter unter 22 SSW laut GNPI keine reelle Chance, die Kinder am Leben zu erhalten. Diesbezügliche medizinische Maßnahmen erscheinen daher in aller Regel als aussichtslos, so heißt es in den Leitlinien. Frühchen, die in der 22. SSW zur Welt kommen, können mit zum Teil allerdings erheblicher Morbidität überleben, ohne dass jedoch Aussagen zum Langzeitverlauf möglich sind. Eine primär auf die Lebensverlängerung dieser Kinder zielende Behandlung soll nur auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern und nach ausführlicher interdisziplinärer Beratung im vollen Bewusstsein der hohen Risiken erfolgen. Den Eltern sind zudem die Möglichkeiten einer palliativen Therapie zu erläutern, fordert die Fachgesellschaft.
Bei Kindern, die in der 23. SSW zur Welt kommen, steigen die Überlebenschancen in spezialisierten Zentren auf mehr als 50 Prozent. Ein Teil der überlebenden Kinder leidet jedoch später an schwerwiegenden Gesundheitsstörungen, die unter Umständen eine lebenslange Hilfe durch andere Personen notwendig machen können. Die Gesamtprognose ist in hohem Ausmaß von weiteren Faktoren wie dem Geschlecht, Einlings- oder Mehrlingsschwangerschaft, fetaler Lungenreifung und Entbindungsort abhängig, was in die mit den Eltern gemeinsam zu findende und zu tragende Entscheidung über eine lebenserhaltende oder palliative Therapie miteingehen sollte. Bei Frühgeborenen ab der 24 SSW sind die Überlebenschancen jedoch so gut, dass im Regelfall eine lebenserhaltende Therapie anzustreben ist.
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