Therapie des Cluster-Kopfschmerzes
Bei Schmerzen im Kopfbereich unterscheidet man nach der Klassifikation der International Headache Society (IHS) primäre und sekundäre Kopfschmerzen. Primäre Kopfschmerzen, bei denen der Kopfschmerz, die eigentliche Krankheit ist, und keine andere Ursache vorliegt, gehören zu den häufigsten Erkrankungen mit einer starken Beeinträchtigung der Lebensqualität. Die Gesamtprävalenz von Kopfschmerzerkrankungen in der Bevölkerung liegt bei 46 Prozent. Den größten Anteil stellt dabei die Migräne mit einer Prävalenz von rund elf Prozent dar [Jürgens et al., 2011]. Cluster-Kopfschmerzen stellen einen deutlichen kleineren Anteil dar, so wird die Zwölf-Monatsprävalenz des Clusterkopfschmerzes in der epidemiologischen Studie der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) mit 0,15 Prozent berechnet, woraus für Deutschland etwa 120 000 Betroffene resultieren [Gaul et al., 2001]. Der Cluster-Kopfschmerz ist der häufigste trigeminoautonome Kopfschmerz (TAK), zu dem auch das sehr seltene SUNCT-Syndrom („Short-lasting Unilateral Neuralgiform headache with Conjunctival injection and Tearing“) und die Paroxysmale Hemicranie (PH) gerechnet werden.
Für trigeminoautonome Kopfschmerzerkrankungen sind anfallsweise extrem starke einseitige Kopf- beziehungsweise Gesichtsschmerzen mit autonomen Begleitsymptomen charakteristisch. Es kommt regelhaft zum ipsilateralen Tränen der Augen, konjunktivaler Irritation, Rhinorrhoe oder -kongestion, und einem Horner-Syndrom (Ptosis, Miosis, Enophthalmus). Typisch – und ein wichtiger differenzialdiagnostischer Unterschied zur Migräne – ist eine ausgeprägte psychomotorische Unruhe: Die Patienten laufen umher, bewegen sich rhythmisch oder krabbeln sogar „auf allen Vieren“ auf dem Boden. Die Cluster-Attacken dauern meist bis ca. 45min, während SUNCT und PH deutlich kürzer sind [Evers et al., 2007].
Pathophysiologie
Unklar ist nach wie vor die Pathophysiologie der TAK. Ursache der zirkadianen und zirkannualen Rhythmik der meist episodisch auftretenden Cluster-Attacken ist vermutlich eine zentrale Dysregulation im Bereich des posterioren Hypothalamus. Man nimmt an, dass die Fehlfunktion des Hypothalamus die Attacken auslöst, dass der Schmerz selbst aber durch Aktivierung parasympathischer und trigeminaler Kerngebiete unterhalten wird [May et al., 1998; May, 2005]. Die ursprüngliche „neurovaskuläre Theorie“ eines inflammatorischen Prozesses am Sinus cavernosus konnte weder durch bildgebende Verfahren noch durch Analyse von Neurotransmittern bestätigt werden. Dem Ganglion sphenopalatinum (SPG) wird unter anderem die Rolle des Generators trigeminoautonomer Phänomene wie Lakrimation, Rhinorrhoe und konjunktivale Injektion zugeschrieben [Goadsby, 2002; EllerGoadsby, 2014].
Episodischer und chronischer Cluster
Bei Cluster-Kopfschmerzen ist der Begriff „chronisch“ anders als zum Beispiel bei Migräne und Spannungskopfschmerz: Wenn Cluster-Kopfschmerzen über mindestens ein Jahr bestehen oder wenn die Pausen zwischen den Cluster-Episoden innerhalb eines Jahres kürzer als vier Wochen sind, spricht man von einem chronischen, sonst von einem episodischen Cluster-Kopfschmerz. Problematisch ist die noch immer lange Latenz bis zur korrekten Diagnosestellung, die durchschnittlich in Deutschland noch immer sieben Jahre beträgt.
Konservative Therapieempfehlung
Einmal diagnostiziert können die meisten Patienten mit Sauerstoff und nasal oder subcutan applizierten Triptanen gut behandelt werden, wobei beim Sauerstoff auf ausreichende Flussgeschwindigkeit und eine adäquate Gesichtsmaske zu achten ist [www.awmf.org]. Während der Episoden ist eine medikamentöse Prophylaxe mit Verapamil in ausreichend hoher Dosis oft suffizient, nicht selten müssen 720 mg/d gegeben werden; als zweite Wahl stehen Topiramat und Lithium zur Verfügung (Tabelle 1).
Indikation zur SPG-Stimulation – Verfahren und Ablauf des Eingriffs:
Bei etwa zehn bis 15 Prozent aller Patienten mit Cluster-Kopfschmerzen ist der Erfolg der konservativen Therapie unbefriedigend; sei es, weil ein chronischer Cluster-Kopfschmerz vorliegt, bei dem die medikamentöse Prophylaxe nicht wirkt, nicht vertragen wird oder kontraindiziert ist; sei es, weil die Attackenkupierung mit Sauerstoff und Triptanen nicht funktioniert [Jürgens et al., 2014] (Tabelle 2). Die Indikation muss von einem Neurologen beziehungsweise Schmerztherapeuten überprüft werden, der auf Diagnostik und Therapie von Cluster-Kopfschmerzen spezialisiert ist. Für diese Patienten kommen neuromodulatorische Verfahren infrage. Vergleichsweise gute Ergebnisse wurden mit der Stimulation des Ganglion sphenopalatinum (SPG) erzielt. Weltweit gibt es derzeit zwölf SPG-Implantationszentren, die Mehrzahl davon befinden sich in Europa. In Deutschland existieren derzeit fünf SPG Implantationseinrichtungen: Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf, Charité Universitätsmedizin Berlin, Klinikum der Universität München, LMU, Kliniken der Stadt Köln – Holweide, Rotes Kreuz Krankenhaus Kassel.
Die Elektroden des miniaturisierten Implantats werden an den Nervus Vidianus, der über den Canalis pterigoideus in die Fossa pterigopalatina mündet, platziert. Der Nervus Vidianus führt sympathische und parasympathische Fasern. Die elektrische Stimulaton der sympathischen Fasern wird mittels eines mobilfunkgroßen externen Steuergeräts vom Patienten während der Attacke ausgelöst und soll den Tonus der hirnversorgenden Gefäße beeinflussen. Der Stimulator erhält seine Energieversorgung über transkutane magnetische Induktion. Es besteht keine Kabelverbindung nach außen. Auch die Programmierung erfolgt berührungsfrei transkutan. Die präoperative Diagnostik umfasst ein Feinschicht CT, mit anschließender 3D -Modellherstellung, anhand dessen die Länge des Implantats unter vier Größen ausgewählt wird. Eine anatomische Voraussetzung zur SPG Implantation ist eine lichte Weite des lateralen Eingangs der Fossa pterigopalatina von minimal 1,2 Millimetern. Eine präoperative Panoramaschichtröntgenaufnahme der Zähne und eine allgemein zahnärztliche Sanierung mindestens des betroffenen Quadranten ist obligat.
Die Operation erfolgt stationär in nasaler Intubationsnarkose unter Durchleuchtungskontrolle. Der seitliche Oberkiefer wird über einen Zahnfleischrandschnitt freigelegt. Geführt an der Oberkieferhinterwand wird der Zugang in die Fossa pterigopalatina mit vorgebogenen Spezialraspartorien präpariert. Hier ist ein defensives Vorgehen aufgrund der dünnen Kieferhöhlenhinterwand geboten, um hier nicht zu perforieren. Danach wird ein Führungsdraht eingelegt, dessen Lage an der Durchleuchtung kontrolliert wird. Bei korrekter Lage wird der Führungsdraht durch die Elektrode mit Hilfe eines vor gebogenen Spezialimplantats ersetzt. Abschließend wird das Implantat durch einige Osteosyntheseschrauben dauerhaft am seitlichen Oberkiefer oberhalb der Zahnwurzeln befestigt (Abbildungen 1 und 2). Darüber wird die Gingiva reponiert und vernäht. Perioperativ wird ein Antibiotikum verordnet. Nach dem etwa einstündigem Eingriff bleiben keine sichtbaren Narben zurück
Postoperative Weiterbehandlung
Zehn Tage postoperativ werden die Nähte entfernt. Ein störungsfreier klinischer Heilungsverlauf zeigt sich vor Allem an einer ungestörten Mundöffnung. Entzündliche Infiltrate beziehungsweise Wundinfektionen sind aufgrund des intraoralen Zugangswegs möglich und werden lokale desinfizierend und gegebenenfalls antibiotisch behandelt. Nach sechs Wochen wird der Stimulator erstmals aktiviert und in Zusammenarbeit mit der Herstellerfirma programmiert, damit ein optimales Stimulationsergebnis erzielt wird. Dabei sind häufige – gegebenenfalls auch außerplanmäßige – Kontakte mit hohem Betreuungsbedarf des Patienten einzukalkulieren. Die übliche Medikation läuft dabei zunächst weiter und kann dann im Erfolgsfall sukzessive reduziert werden.
Ergebnisse der Neurostimulatortherapie
Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass etwa zwei Drittel der Patienten von der Stimulation zur Attackenkupierung profitieren [Schoenen et al., 2013] (Abbildung 3). Bei einem Teil der Patienten reduziert sich zusätzlich auch die Attackenfrequenz, was noch nicht vollständig verstanden wird. Summa summarum kann festgestellt werden, dass etwa zwei Drittel der Patienten von der Implantation profitieren. Dieses Ergebnis gilt sowohl für die experimentelle Phase als auch für die Beobachtungszeit über 18 Monate (Abbildung 4). Zur Zeit sind die Patientenzahlen noch zu klein, insbesondere auch zu den Langzeitergebnissen. Immerhin handelt es sich offenbar um eine Methode, die wenig Nebenwirkungen und wenig Komplikationen hervorruft.
Fazit
Bei Patienten mit Cluster-Kopfschmerz, der konservativ nicht ausreichend beherrschbar ist, ist die SPG-Stimulation eine vielversprechende Methode der Therapieoptimierung. Die Indikationsstellung und Durchführung erfordert eine enge Zusammenarbeit von auf Cluster-Kopfschmerz spezialisiertem Neurologe einerseits und erfahrenem Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen andererseits. Weder das konservative noch das operative Vorgehen sind banal. Auch die Nachbetreuung ist obligat in einem spezialisierten Kopfschmerzzentrum zu leisten. Die ersten Ergebnisse sind vielversprechend, bedürfen aber noch der Bestätigung in einer größeren Kohorte. Insbesondere die Langzeitdaten werden interessant sein. Bewährt hat sich das Kasseler Modell eines partnerschaftlich von Neurologe und MKG-Chirurg geleiteten Kopfschmerzzentrums. Nicht nur im Falle der SPG-Stimulation, sondern auch bei Migräne und Craniomandibulärer Dysfunktion ergeben sich hier zahlreiche Synergien durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Dr. Andreas BögerChefarzt Klinik für Schmerzmedizin
Prof. Dr. Dr. Hendrik TerheydenChefarzt Klinik für Mund-Kiefer- und Gesichtschirurgie
Kopfschmerzzentrum NordhessenRotes Kreuz Krankenhaus KasselHansteinstr. 29 34121 Kasselboeger@rkh-kassel.deterheyden@rkh-kassel.de