Erkrankungen mit hoher zahnmedizinischer Relevanz

Patienten mit Blutgerinnungsstörung in der Zahnarztpraxis

Die Behandlung mit gerinnungshemmenden Medikamenten ist in der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken. Insbesondere ältere Patienten mit kardialen Risikofaktoren sind oftmals auf eine lebenslange Einnahme von oralen Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern angewiesen. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die derzeit gängigen Verdünnungsmittel sowie über den Umgang damit für die Planung zahnärztlicher operativer Eingriffe.

Die häufigsten Indikationen für diese Antikoagulanzien sind Vorhofflimmern, eine tiefe Beinvenenthrombose, der Zustand nach einem Herzklappenersatz sowie zur primären und zur sekundären Prävention nach Herzinfarkt oder Schlaganfall. Die wichtigsten Nebenwirkungen unter Blutverdünnung sind (Nach-)Blutungen, da das Hämostasegleichgewicht beabsichtigterweise durch die Medikamente in Richtung einer Blutungsneigung verschoben wird.

Mit dieser Problematik wird der Zahnarzt tagtäglich in der zahnärztlichen Praxis konfrontiert. Es ist daher nicht nur wichtig, das Risiko einer erhöhten Blutungsneigung zu erkennen und mit den Charakteristika der einzelnen Gerinnungshemmer vertraut zu sein, sondern auch geeignete Behandlungskonzepte anzuwenden, um die Wahrscheinlichkeit einer posttherapeutischen Nachblutung auf ein Minimum zu reduzieren. Dem Behandler muss allerdings klar sein, ab wann eine entstandene oder mögliche Komplikation nicht mehr alleine zu bewältigen ist und zum Schutz des Patienten die Einweisung in eine Klinik erfolgen sollte.

Die Einführung neuerer oraler Antikoagulanzien (Dabigatran, Rivaroxaban und Apixaban) hat das Medikamentenspektrum erweitert. Beworben werden die Substanzen mit einem besseren Handling für den Patienten und mit der fehlenden Notwendigkeit für ein Medikamentenmonitoring. Für den Behandler bedeutet die Einführung der Medikamente allerdings, den Überblick über ein nun noch größeres Spektrum verschiedener Substanzen und ihrer Besonderheiten behalten zu müssen.

###more### ###title### Orale Antikoagulanzien ###title### ###more###

Orale Antikoagulanzien

Um entscheiden zu können, wie ein Patient unter medikamentöser Antikoagulation fachgerecht behandelt werden sollte, ist es wichtig, die verschiedenen Substanzklassen der Gerinnungshemmer und ihre Besonderheiten zu kennen. Die wichtigsten oralen Antikoagulanzien können allgemein in Vitamin-K-Antagonisten und direkte Thrombin- und Faktor-Xa-Hemmer unterteilt werden. Hiervon abzugrenzen, da sie nicht die plasmatische Gerinnung, sondern die Funktionsfähigkeit der Thrombozyten beeinflussen, sind die Thrombozytenaggregationshemmer (Tabelle).

Vitamin-K-Antagonisten

Der in Deutschland noch immer wichtigste Vertreter der Vitamin-K-Antagonisten ist das Phenprocoumon (Marcumar®, Falithrom®). Die Gerinnungshemmung wird durch eine γ-Carboxylierung der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X erreicht [Al-Mubarak et al., 2007]. Da Vitamin-K-Antagonisten eine hohe inter- und intraindividuelle Variabilität der wirksamen Plasmakonzentrationen besitzen, relevante Interaktionen mit anderen Arznei- und Lebensmitteln bekannt sind und sie ein enges therapeutisches Fenster haben, ist ein Monitoring durch regelmäßige Laborkontrollen dringend empfehlenswert.

Eine verlässliche Aussage über die aktuelle Gerinnungshemmung liefert die International Normalized Ratio (INR). Der Normwert der INR, bei einer nicht durch Vitamin-K-Antagonisten oder durch eine schwere Leberfunktionsstörung beeinflussten Gerinnung, liegt bei 1. Eine zunehmende Gerinnungshemmung führt zu einer Erhöhung der INR. Abhängig von der jeweiligen Grunderkrankung liegt der therapeutische Bereich der Vitamin-K-Antagonisten zwischen 2 und 3,5. Empfohlen wird, den INR 24 bis 48 Stunden vor der Behandlung zu bestimmen, da beispielsweise ein INR von 5 in einem inakzeptabel hohen Risiko für postoperative Blutungsereignisse resultiert [Kämmerer et al., 2014].

Im therapeutischen Bereich ist die Durchführung von kleinen zahnchirurgischen Eingriffen, wie zum Beispiel Extraktionen von einzelnen Zähnen oder unkomplizierte Osteotomien, ohne Modifikation der laufenden Medikation möglich. Das Absetzen der Marcumar-Medikation und ein Umsetzen auf Heparin (Bridging) sollte in diesem Fall möglichst unterlassen werden, da eine Unterbrechung der oralen Antikoagulation in einem dreifach erhöhten Embolierisiko mit potenziellen letalen Komplikationen resultieren würde, während tödlich endende Blutungskomplikationen nach oralchirurgischen Eingriffen bisher nicht berichtet wurden [Kämmerer et al., 2014; Wahl, 2000]. Generell werden zahnärztliche Operationen in gut komprimierbaren Bereichen – auszunehmen wären hier auf unserem Gebiet Mundboden- und Kieferhöhleneingriffe – mit einem niedrigen Blutungsrisiko bewertet [AMB, 2010].

Sollte in Ausnahmefällen doch einmal ein Bridging auf Heparin nötig werden, sollte dies immer federführend durch den behandelnden Internisten erfolgen: In der Regel wird die Marcumar-Medikation vier bis sieben Tage präoperativ abgesetzt. Engmaschige Laborkontrollen sind nun obligat. Unterschreitet die INR erstmals den therapeutischen Bereich, kann mit der Medikation mit niedermolekularem Heparin (NMH) begonnen werden.

Bewährt haben sich Enoxaparin und Dalteparin, die jeweils gewichtsadaptiert dosiert werden. Ist postoperativ das Blutungsrisiko nach Einschätzung des Operateurs wieder vertretbar, wird mit der Re-Marcumarisierung begonnen. Erst bei einer INR im therapeutischen Bereich bei zwei aufeinander folgenden Messungen, kann das NMH wieder abgesetzt werden [Bajkin et al., 2009].

###more### ###title### Direkte orale Thrombininhibitoren ###title### ###more###

Direkte orale Thrombininhibitoren

Dabigatranetexilat (Pradaxa®), momentan im Rahmen der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAKs) viel diskutiert, ist der wichtigste Vertreter dieser Substanzklasse. Die anderen wichtigen Vertreter der Thrombininhibitoren – zu nennen wäre beispielsweise Hirudin – können im Gegensatz zu Dabigatran nur durch eine Injektion und nicht oral verabreicht werden und haben daher für eine Dauermedikation einen untergeordneten Stellenwert. Dabigatran hemmt durch eine direkte, kompetitive Bindung an Thrombin dessen Wirkung. Es verhindert auf diese Weise die Umwandlung von Fibrinogen in Fibrin [Blann, 2014].

Im Gegensatz zu Vitamin-K-Antagonisten ist ein routinemäßiges Monitoring von Dabigatran – aufgrund der Pharmakokinetik – nicht notwendig und erleichtert damit den Umgang mit dem Medikament für den Patienten erheblich. Soll – insbesondere in Notfallsituationen – dennoch eine Bestimmung der gerinnungshemmenden Wirkung durch Dabigatran erfolgen, stehen hierfür keine zuverlässigen Routinetests zu Verfügung. Zur groben Einschätzung der Dabigatranwirkung kann die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) herangezogen werden.

Insbesondere bei hohen Wirkspiegeln nimmt die Sensitivität dieser Testes jedoch deutlich ab. Weitere Tests, die zur Abschätzung der Dabigatranwirkung zur Verfügung stehen, sind der Dabigatran-spezifisch kalibrierte Hemoclot®-Thrombin-Inhibitor-Test und die Ecarin Clotting Time.

Für den perioperativen Umgang mit dem Medikament fehlen leider evidenzbasierte Empfehlungen. Eine Handlungsempfehlung wurde allerdings aus den Erkenntnissen der RE-LY-Studie erarbeitet. Für Eingriffe mit niedrigem Blutungsrisiko wird lediglich das Aussetzen der morgendlichen Gabe vor der Operation empfohlen. Vor einem elektiven Eingriff mit höherem Blutungsrisiko sollte das Medikament, abhängig von der Nierenfunktion, zwei bis fünf Tage vorher abgesetzt werden. Dies sollte allerdings nur in Absprache mit dem behandelnden Internisten erfolgen [Breik et al., 2014].

###more### ###title### Direkte orale Faktor-Xa-Inhibitoren ###title### ###more###

Direkte orale Faktor-Xa-Inhibitoren

Als weitere Alternative für Vitamin-K-Antagonisten haben Rivaroxaban und Apixaban seit 2012 ebenfalls die Zulassung zur Embolieprophylaxe bei Vorhofflimmern und nach Schlaganfall. Die Gerinnungshemmung wird hier durch eine direkte Hemmung des Faktor-Xa, also der Endstrecke der plasmatischen Gerinnung, bewirkt. Ähnlich dem Dabigatran wird ein Routine-Monitoring für die Faktor-Xa-Inhibitoren nicht empfohlen.

Auch für die Anti-Xa-Inhibitoren stehen keine Routinetests zur Verfügung, die eine zuverlässige Aussage über deren Gerinnungshemmung geben können. Als geeignete Tests erwiesen sich jeweils kalibrierte Anti-Faktor-Xa-Tests, die allerdings nicht Teil der routinemäßigen Gerinnungsdiagnostik sind [Samama et al., 2013].

Das perioperative Management fußt ebenfalls nicht auf evidenzbasierten Daten, sondern auf Erkenntnissen der Zulassungsstudien und der speziellen Pharmakokinetik. Für Apixaban und Rivaroxaban wird vor Operationen mit niedrigem Blutungsrisiko empfohlen, die Medikation mindestens 24 Stunden vor dem geplanten Eingriff abzusetzen [Sivolella et al., 2015]. Bei größerem Blutungsrisiko gilt – entsprechend dem Vorgehen bei Dabigatran –, dass der Abstand zwischen dem Eingriff und der letzten Medikamentengabe verlängert werden muss.

Thrombozytenaggregationshemmer

Im Gegensatz zu den beschriebenen Antikoagulanzien hemmen Thrombozytenaggregationshemmer wie Acetylsalicylsäure (ASS) und Clopidogrel nicht die plasmatische Gerinnung, sondern den zellulären, thrombozytären Gerinnungsweg. ASS hemmt irreversibel die Thrombozytenfunktion durch Hemmung der Cyclooxygenase, die normal die Bildung des thrombozytenaktivierenden Thromboxan A2 katalysiert. Clopidogrel (Plavix®, Iscover®) als Vertreter der Thienopyridine hemmt irreversibel die Bindung von ADP am P2Y12-Rezeptor der Thrombozyten und verhindert dadurch deren Aggregation [J. Koscielny et al., 2008]. Auch Ticlopidin unterbindet irreversibel die Aktivierung von Thrombozyten durch den Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptor-komplex. Als Globaltest der Thrombozytenfunktion dient die Blutungszeit bei einem Normalwert von zwei bis fünf Minuten.

Andere, speziellere Thrombozytenfunktionstests (wie PFA-100-Test [Mylotte et al., 2011]) sind spezielleren Fragestellungen vorbehalten und nicht für die tägliche Praxis geeignet [Ermer et al., 2012]. Das Ab- oder Umsetzen von ASS vor zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen wird derzeit als obsolet betrachtet und sollte unterlassen werden [Aldridge and Cunningham, 2010].

Auch bei den anderen Thrombozytenaggregationsinhibitoren wird ihre unveränderte Fortsetzung als primäre Behandlungsoption empfohlen. Sollte eine Kombinationstherapie unter ASS und Clopidogrel bestehen, ist vor chirurgischen Eingriffen höchste Vorsicht geboten. Da die duale Plättchenhemmung in der Regel nach einer Stentimplantation zeitlich begrenzt verordnet wird, empfiehlt es sich, diesen Zeitraum bei elektiven Eingriffen abzuwarten und die Operation erst nach Beendigung der Clopidogrelmedikation durchzuführen [AMB, 2010].

Bei dringlichen Eingriffen sollte wenigstens die ASS-Medikation weiterlaufen und lediglich das Clopidogrel abgesetzt werden, doch auch diese Maßnahme sollte immer in Abstimmung mit dem Kardiologen erfolgen. Bei einer Monotherapie mit Clopidogrel gilt es, das kardiovaskuläre Grundrisiko des Patienten zu kennen. Bei niedrigem Grundrisiko kann – nach kardiologischer Rücksprache – vor elektiven Eingriffen die Thrombozytenfunktionshemmung gegebenenfalls pausiert werden.

Zusammengefasst konnten in einer Studie an 1 283 Patienten unter therapeutischer Blutgerinnungsinhibition mit 2 343 oral- chirurgischen Eingriffen lediglich in knapp drei Prozent aller Fälle Blutungskomplikationen gesehen werden, die in nur 0,2 Prozent der Fälle zu schwereren, behandlungsbedürftigen Komplikationen geführt hatten [Wahl, 2014].

###more### ###title### Generelle intraoperative Verhaltensmaßregeln ###title### ###more###

Generelle intraoperative Verhaltensmaßregeln

Insgesamt hat der behandelnde Zahnarzt bei Operationen im Mund eine Vielfalt an hämostatischen Maßnahmen zur Auswahl, wobei kein klarer Vorteil einer einzelnen Methode bewiesen werden konnte. Trotzdem zeigten sich unter Verwendung von Nähten, physikalischen Methoden wie der Kompression, bei der Anwendung von Fibrin- und Histoacrylklebern, lokalen antifibrinolytischen Lösungen wie Tranexamsäure, Verbandsplatten, Kollagenfliesen, Gelatinschwämmen und Cyanoacrylaten signifikant verringerte und vernachlässigbare Nachblutungsraten [Kämmerer et al., 2014].

Behandlungsablauf

Anhand einer Zahnextraktion bei einem Patienten mit Dabigatran-Medikation soll veranschaulicht werden, welche Maßnahmen zur Reduktion des Blutungsrisikos ergriffen werden können. Es empfiehlt sich bei chirurgischen Eingriffen bei antikoagulierten Patienten, einem standardisierten Behandlungsablauf zu folgen. Unsere klinische Erfahrung zeigt, dass auf diesem Weg Blutungs- und Nachblutungskomplikationen zumeist erfolgreich vermieden werden können. Um das bestehende Blutungsrisiko einschätzen zu können, ist es unumgänglich, zuerst Kenntnis von der Grunderkrankung des Patienten und seiner momentanen Medikation zu erlangen. Insofern sind die Allgemeinanamnese sowie die Medikamentenanamnese vor jedem chirurgischen Eingriff eine absolute Notwendigkeit.

Im Fall einer Grunderkrankung mit Antikoagulanzientherapie empfiehlt sich die Kontaktaufnahme mit dem behandelnden Internisten oder Hausarzt, um gemeinsam das ideale Vorgehen bezüglich der präoperativen Optimierung der Gerinnungssituation abzustimmen. Insbesondere ein Absetzen der Medikation oder ein Bridging auf eine andere Substanz sollten nicht ohne vorherige Kommunikation mit dem Allgemeinmediziner erfolgen.

Ein weiterer Vorteil der Rücksprache mit dem behandelnden Allgemeinmediziner ist, dass die aktuellen Laborwerte des Patienten, insbesondere im Fall einer Vitamin-K-Antagonisten-Medikation, in Erfahrung gebracht werden können. Allerdings ist darauf zu achten, dass dieser nur selten das Ausmaß zahnärztlich-chirurgischer Eingriffe abschätzen kann. Wichtig ist der Hinweis, dass es sich um Eingriffe mit generell geringem (Nach-)Blutungsrisiko handelt und dass eventuell auftretende Komplikationen durch die gute Zugänglichkeit meist leicht behandelt werden können.

In Vorbereitung auf einen elektiven Eingriff ist die Anfertigung einer Verbandsplatte (Abbildung 1) sinnvoll, insofern ist für einen Elektiveingriff bei einem gerinnungskompromittierten Patienten ausreichend Zeit für eine gewissenhafte Operationsvorbereitung einzuplanen. Analog dazu lag bei dem präsentierten Fall zum Zeitpunkt des Eingriffs bereits eine Verbandsplatte vor, und der Patient hatte seine morgendliche Dabigatran-Einnahme ausgesetzt. Bei der Anästhesie ist, soweit dies bei der jeweiligen Indikation durchführbar ist, auf eine möglichst minimalinvasive Technik zurückzugreifen.

Da eine Leitungsanästhesie im posterioren Unterkiefer mit einer erhöhten Gefahr der Hämatombildung durch Verletzung von Gefäßen einhergeht [Dumbridgue et al., 1997], sollte bei der Behandlung einzelner Zähne der intraligamentären Anästhesie und/oder Infiltrationsanästhesie der Vorzug gegeben werden (Abbildung 2) [Kämmerer et al., 2015; Shabazfar et al., 2014].

Zur Schonung des umgebenden Weichgewebes kann bei einer Extraktion zum Lösen des marginalen Parodonts ein Periotom benutzt werden. Nun erfolgt in gewohnter Art und Weise die Luxation des Zahnes mittels Hebel und Zange, wobei auch hier auf die maximale Schonung des umgebenden Gewebes, also auch des alveolären Knochens, zu achten ist. Essenziell zur Vermeidung einer postoperativen Blutungskomplikation sind die gründliche Kürettage und die anschließende Entfernung des alveolären Granulationsgewebes (Abbildung 3).

Unterstützend für die rasche Bildung eines Koagels und die spätere ossäre Regeneration kann ein Kollagenkegel in die Extraktionsalveole eingelegt werden. Zuletzt erfolgt der dichte Nahtverschluss der Extraktionswunde, der möglichst ohne Periostschlitzung durchgeführt werden sollte, um eine weitere Hämatombildung im submukösen Gewebe zu vermeiden (Abbildung 4). Nach Beendigung des chirurgischen Eingriffs kann nun die zuvor hergestellte Verbandsplatte eingegliedert werden.

###more### ###title### Vorgehen bei einer Blutungskomplikation ###title### ###more###

Vorgehen bei einer Blutungskomplikation

Eine Blutungskomplikation kann für den betroffenen Patienten schwere Auswirkungen haben. Neben dem eigentlichen Blutverlust, der insbesondere bei kardial vorbelasteten Patienten fatal sein kann, kann es mitunter auch durch Hämatombildung zu lebensbedrohlichen Atemwegsverlegungen kommen (Abbildungen 5 bis 7). Die Möglichkeiten in der Praxis, einen derartigen Notfall zu versorgen, sind in der Regel begrenzt. Bei Blutungen aus Extraktionswunden sollte die erste Maßnahme immer eine Kompression der Wunde sein.

Hier bieten sich neben Verbandsplatten insbesondere Aufbisstupfer an, die zusätzlich mit einem Tranexamsäuregel oder flüssiger Tranexamsäure (Cyclocapron®) beschickt werden können. Ist eine Blutung nicht durch Kompression zu stillen, sollte als nächster Schritt die Revision der Wunde erfolgen. Hierfür werden die Nähte wieder entfernt und die Wunde wird exploriert. Zeigt sich eine Blutung aus der Alveole, sollte gründlich nachkürettiert werden, da möglicherweise noch Reste des Entzündungsgewebes in der Alveole verblieben sind.

Bei kleinen Blutungen aus dem Knochen kann ein Blutstillungsversuch mit Knochenwachs erfolgen. Dieses sollte allerdings immer sparsam benutzt werden, da es sich um einen verbleibenden Fremdkörper handelt. Mittel der Wahl bei Gefäßblutungen im Weichgewebe ist eine bipolare Kaustik zur Koagulation des Gefäßendes. Vor dem Nahtverschluss kann nun wiederum ein Kollagenpräparat oder Oxyzellulose in die Alveole eingebracht werden. Nun erfolgt der speicheldichte Wundverschluss durch Nähte und die erneute anschließende Kompression der Wunde mittels Aufbiss-Tupfer.

Insbesondere bei Patienten mit ausgeprägter Gerinnungshemmung, zum Beispiel bei doppelter Thrombozytenaggregationshemmung oder bei Überdosierung eines Antikoagulanz, führen derartige Blutstillungsversuche oftmals nicht zum Erfolg. In diesem Fall sollte die Einweisung in eine Klinik zur Notfallbehandlung stattfinden. In der Klinik besteht neben der Möglichkeit einer adäquaten Labor- und Gerinnungsdiagnostik auch die Möglichkeit zum Herz-Kreislauf-Monitoring bei Hb-wirksamem Blutverlust sowie die Möglichkeit zur Substitution von Blutprodukten. Des Weiteren kann eine Therapie adaptiert an das jeweilige gerinnungshemmende Medikament eingeleitet werden.

Im Gegensatz zu Vitamin-K-Antagonisten, die mit Vitamin K antagonisierbar sind, steht für die neuen oralen Antikogulanzien kein passendes Antidot zur Verfügung. Für Dabigatran und Rivaroxaban kann bei schweren Blutungen die Substitution von Prothrombinkomplex-Konzentraten (PPSB) oder rekombinantem aktiviertem Faktor VII (Novoseven®) erwogen werden [Steiner et al., 2012]. Im Fall von Dabigatran besteht weiterhin die Möglichkeit einer Hämo- dialyse. Für Acetylsalicylsäure und Clopidogrel besteht als Notfallmaßnahme die Möglichkeit der Substitution von Thrombozytenkonzentraten. Weiterhin wird die Gabe von Desmopression und eine systemische Tranexamsäuresubstitution empfohlen [Koscielny et al.,2008].

###more### ###title### Schlussfolgerung ###title### ###more###

Schlussfolgerung

Das Risiko potenziell fataler thrombembolischer Episoden durch Aus- oder Umsetzen einer antikoagulatorischen/thrombozyten aggregationshemmenden Medikation überwiegt das Risiko postoperativer Blutungs-episoden. Daher sollten oralchirurgische Eingriffe bei Patienten unter oraler Anti- koagulation innerhalb des therapeutischen Bereichs ohne Veränderung bei strikter Verwendung hämostatischer Maßnahmen durchgeführt werden.

Bei Thrombozyten aggregationshemmern, ausgenommen ASS, empfiehlt sich die Rücksprache mit dem behandelnden Hausarzt, inwiefern ein Aussetzen am Morgen der Operation möglich ist. Ansonsten sollten Eingriffe nur bei Notfällen und unter besonderer Vorsicht erfolgen. Bei Zweifeln empfiehlt sich die Überweisung an eine Fachklinik. Insgesamt ist, besonders bei prospektiv vermehrt auftretenden geringen Nachblutungsereignissen unter Blutverdünnung, ein enges und verlängertes Nachsorgeintervall notwendig.

Dr. Tasso von Haussen, Prof. Dr. Dr. Wilfried WagnerKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieUniversitätsmedizin MainzAugustusplatz 2, 55131 Mainztasso.haussen@unimedizin-mainz.de

Dr. Dr. Peer W. KämmererKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieUniversitätsmedizin RostockSchillingallee 35, 18057 Rostock

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.