Zahnärztliche Versorgung in den USA

Die Karies bleibt drin

Die Gesundheitsreform in den USA hat vielen Amerikanern einen besseren Versicherungszugang beschert. Leider gilt das nicht für die zahnärztliche Versorgung: Sie ist schlecht, eine Flächendeckung nicht in Sicht. Doch es gibt Initiativen, die auf den enormen Handlungsbedarf reagieren und Hoffnung machen. Aus der Not entstehen kreative Ansätze - einer ist aus deutscher Sicht mindestens fragwürdig, wenn nicht gar skandalös. Zwei Experten kommentieren.

Zwar haben die US-Gesundheitsreformer die Zahngesundheit von Kindern für „essenziell” erklärt und in den Katalog der abzudeckenden Versicherungsleistungen aufgenommen. Für Erwachsene gibt es aber nach wie vor keine solchen Auflagen. Aktuelle Statistiken spiegeln die Versorgungssituation: Über ein Viertel der amerikanischen Erwachsenen (27 Prozent) leidet an unbehandelter Karies, berichten die Centers for Disease Control and Prevention (CDC).

Unter Minderheiten ist die Situation besonders gravierend: 42 Prozent der Amerikaner mit afrikanischem und 36 Prozent mit hispanischem Hintergrund haben unbehandelte Karies. Viele dieser Menschen sind entweder gar nicht zahnversichert oder in einem Maß unterversichert, dass sie sich Selbstbehalte nicht leisten können. Wenn sie Zahnschmerzen haben, gehen sie dahin, wo man sie per Gesetz nicht abweisen kann: in die Notfallstationen von Krankenhäusern. Hier ist man aber in der Regel nicht ausgestattet, Zahnprobleme zu behandeln und schickt die Hilfesuchenden mit Antibiotika und Schmerzmitteln nach Hause, wo der Schmerz oft von Neuem beginnt, sobald die Medikamente aufgebraucht sind.

Die Notaufnahme als Standardversorgung

Rund 2,2 Millionen Amerikaner suchten im Jahr 2012 wegen Zahnschmerzen die Notstation auf – doppelt so viele wie im Jahr 2000. Die dortige Behandlung ist nicht nur ineffektiv, sondern auch immens teuer: 749 US-Dollar kostete ein Besuch in der Notaufnahme durchschnittlich in 2012 – dreimal so viel wie ein Routinebesuch beim Zahnarzt. Rund 1,6 Milliarden US-Dollar werden so jährlich verschlungen, schätzt die American Dental Association (ADA) anhand von Regierungsdaten.

Die schlechte zahnärztliche Versorgung in den USA ist jedoch nicht nur ein finanzielles Problem, sondern auch ein ethisches: „Es vergeht keine Woche, in der wir nicht jemanden (wegen Zahnproblemen) ins Krankenhaus einweisen. Leute sterben hier noch wegen ihrer Zähne”, beklagte Dr. George Kushner an der Universitätsklinik von Louisville, Kentucky, kürzlich gegenüber der Tageszeitung USAToday.

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Einzelinitiativen statt landesweiter Reformen

Es gibt aber durchaus Lichtblicke in der düsteren zahnärztlichen Versorgungslandschaft des Landes. Zwar ist derzeit keine weitere nationale Reform in Sicht, aber es gibt Initiativen, die Hoffnung machen:

• Einige Bundesstaaten schließen Zahnversorgung in ihre Medicaid-Versicherung für Arme ein:

In immerhin 31 Bundesstaaten haben die ärmsten Einwohner Anrecht auf notwendige Zahnbehandlungen, die staatlich finanziert sind. Manche dieser Bundesstaaten haben im Rahmen der Gesundheitsreform den Zugang zu ihren Medicaid-Programmen erweitert, so dass dort jetzt mehr Menschen in den Genuss einer Zahnversorgung kommen. Ein Beispiel ist Colorado: Der Bundesstaat begann im Jahr 2014, erwachsenen Medicaid-Empfängern Zahnbehandlungen zu ermöglichen. Durch die reformbedingte Zugangserweiterung des Medicaidprogramms steht jetzt 1,1 Millionen Menschen in Colorado eine Zahnversorgung zu, dreimal so vielen wie im Jahr 2013.

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Zahnhygieniker dürfen Karies mit provisorischen Füllungen behandeln

• Einige Bundesstaaten geben Zahnhygienikern mehr Handlungsraum:

Für das Verhältnis von Zahnärzten und Hygienefachkräften gilt normalerweise auch in den USA das Motto „Delegation statt Substitution“. Angesichts des gravierenden Zugangsproblems sind manche Bundesstaaten allerdings dazu übergegangen, diesen Grundsatz aufzuweichen.

In Kalifornien ist seit Anfang 2015 ein Gesetz in Kraft, das speziell ausgebildeten Hygienikern erlaubt, Karies zu behandeln – und zwar mit provisorischen Füllungen. Letztere sind unter der Führung von Prof. Dr. Paul Glassman an der University of the Pacific entwickelt und mehrere Jahre lang in einem Pilotprogramm geprüft worden. Der Methode liegt die Philosophie zugrunde, dass eine suboptimale Versorgung (mit zeitlich begrenztem Nutzen) besser ist als gar keine Versorgung.

Ziel ist, Zahnbehandlungen kostengünstig an Orten anzubieten, wo eine gravierende Unterversorgung herrscht, unter anderem an Schulen und in Pflegeheimen. Vorgegangen wird folgendermaßen: Die Dentalhygienikfachkräfte arbeiten unter der Aufsicht von Zahnärzten, mit denen sie online kommunizieren. Füllungen werden ohne vorherige Bohrung vorgenommen. Der Hygieniker entfernt die Karies so weit wie möglich und füllt den Zahn dann mit einer Fluorid enthaltenden Masse. So wird die Karies zwar nicht völlig ausgemerzt, es wird aber für einige Jahre verhindert, dass sich sie sich verschlimmert. Angesichts der gravierenden zahnärztlichen Unterversorgung im Bundesstaat hatte selbst die Californian Dental Association (CDA) der Idee grünes Licht gegeben.

• Immer mehr Notaufnahmen überweisen Zahnpatienten systematisch an Universitätszahnkliniken oder willige Zahnärzte:

Da sie in der Regel wenig für Zahnpatienten tun können, etabliert eine wachsende Zahl von Notfallstationen Partnerschaften mit dentalen Leistungsanbietern. In einigen Städten gibt es zum Beispiel jetzt Kooperationen zwischen Universitäten, die Zahnärzte ausbilden, und Notaufnahmen: Die Notärzte „überweisen” Zahnpatienten an die Universitätszahnklinik, wo fortgeschrittene Zahnmedizinstudenten sie unter Aufsicht behandeln. Solche Partnerschaften bringen Vorteile für alle Beteiligten: Die Studenten sammeln Behandlungserfahrung, und den Patienten wird nachhaltig geholfen, so dass sie nicht wiederholt die Notaufnahme aufsuchen müssen. Wo keine Universitätszahnklinik in der Nähe ist, gibt es mittlerweile auch Kooperationen mit anderen willigen Leistungsanbietern. 125 solcher „Überweisungsprogramme” (referral programs) gibt es jetzt laut ADA bundesweit – wesentlich mehr als noch vor einem Jahr, als nur acht dieser Partnerschaften existierten.

• Hunderte von Schulen bieten mittlerweile eine zahnärztliche Grundversorgung vor Ort an:

Obwohl Kindern gesetzlich eine Zahnversorgung zusteht, leiden viele unter Karies. Weniger als die Hälfte der unter der Armenversicherung Medicaid abgedeckten Kinder gingen zum Beispiel im vergangenen Jahr für eine Vorsorgeuntersuchung zum Zahnarzt, berichtet das Center for Health Care Strategies. Schulen springen hier jetzt in die Bresche: Sie bieten vermehrt Präventionsleistungen an. In Olathe, einem Vorort von Kansas City, hat die Schulverwaltung diesen Service mittlerweile auf zwölf Grundschulen und zwei High Schools ausgeweitet. Hier war festgestellt worden, dass bei über 300 zur Vorsorge erschienenen Kindern 63 Prozent unbehandelte Karies hatten. „In der Vergangenheit dachten wir: Das [die Zahnversorgung] gehört nicht zu unseren Aufgaben. Unser Job ist die Bildung”, sagte Schulvertreterin Cynthia Galemore dem öffentlichen Radiosender/Rundfunk NPR (National Public Radio). „Jetzt wissen wir: Wenn die Kinder gesünder sind, gelingt das Lernen besser.”

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Claudia Pieperpieper@cablespeed.com

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