Der alles verändernde Sturm…
Erinnern Sie sich vielleicht noch an die „Grote Mandränke“? Das war eine gewaltige Sturmflut, die vor rund 650 Jahren die schleswig-holsteinische Nordseeküste heimsuchte und den Küstenverlauf „brutal“ veränderte. Hunderttausende sollen den Tod in den Fluten gefunden haben. Und nach diesem Sturm war in Nordfriesland nichts mehr wie zuvor: große Teile fruchtbaren Landes zwischen Sylt und Eiderstedt waren untergegangen, aus zusammenhängendem Land wurden verstreute Inseln und Halligen. Das, was wir heute als Nordfriesland kennen, wurde in Teilen mühsamst dem Meer wieder abgetrotzt („Deiche oder weiche!“). Trotzdem – wie zuvor wurde es nie wieder.
Betrachte ich die politische und wirtschaftliche Szenerie rund um unser Gesundheitswesen, stehen die Zeichen schon lange nicht mehr auf Sturm. Ich befürchte, wir stecken bereits mittendrin! Und es kommt nicht nur einer…
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), dass die deutsche Arzneimittelpreisverordnung und damit der einheitliche Abgabepreise für verschreibungspflichtige Arzneimittel für den grenzüberschreitenden Versand in der EU keine Gültigkeit habe, mag auf den ersten Blick als reines Apothekerproblem imponieren – ist es aber nicht. Denn der EuGH hat mit dieser Entscheidung – die im übrigen die deutsche Rechtslage wie auch Rechtsprechung komplett ignoriert – eine der konstituierenden Prinzipien des deutschen Gesundheitswesen über Bord geworfen: die Gleichpreisigkeit.
Ein weiteres Beispiel für brechende Dämme: Das Entlassmanagement für Klinikpatienten gemäß Versorgungsstärkungsgesetz. Hört sich gut an, birgt aber in Wahrheit Probleme, die weit über die diskutierte Schnittstellenproblematik zwischen Klinik- und Praxissoftwaresystemen hinausgehen. Grund- voraussetzung für das projektierte Entlassmanagement ist die LANR, die lebenslange Arztnummer auch für die Klinikärzte. Dann braucht es in den Kliniken die „Schnittstellen“ für die ambulanten Softwaresysteme und damit auch deren vielfache Zertifizierungen. Eine Herkulesaufgabe. Und noch etwas: die meisten Arbeitsverträge der rund 50.000 betroffenen Klinikärzte müssen angepasst werden, wenn diese in und für die ambulante Versorgung tätig werden. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft geht von mindestens 100.000 zusätzlichen Arbeitstagen aus, die notwendig werden, um das geforderte Entlassmanagement zu leisten. Die Konsequenz ist damit klar: der stationäre und der ambulante Sektor vermischen sich weiter und damit auch die Finanzierungsströme.
Als ob das alles noch nicht reicht, zieht das Gröhe-Sturmtief namens GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz heran. Ein Stärkungsgesetz, welches nichts anderes ist als ein Selbstverwaltungsentmündigungsgesetz. Ohne Not – denn die Versorgung funktioniert! – wird „durch den Gesetzentwurf ein Klima des Misstrauens, der Unsicherheit und der drohenden Repression geschaffen, das sowohl die Innovationskraft als auch die notwendigen Entscheidungsprozesse in der Selbstverwaltung lähmt“.
Und da sich die geplanten Anwendungen zum Start des Versichertenstammdatenmanagements der elektronischen Gesundheitskarte weiter verschieben, weil die Industrie die Kartenlesegeräte nicht termingerecht liefern konnte, stehen trotz Fristverlängerung seitens des BMG nun die im Gesetz angedrohten Haushaltskürzungen für das Jahr 2017 ante portas. Dies bedeutet im Klartext: Sparhaushalt und eine Vollbremsung für viele 2017er Projekte der Körperschaften.
Wer als Mitglied einer KZV jetzt noch glaubt, dass all diese durch die Politik induzierten und orchestrierten Veränderungen nur die Körperschaften beträfe und den einzelnen Niedergelassenen nicht, sollte unsere Titelgeschichte lesen – da kommt die Zangenbewegung von der „anderen“ Seite.
Deichen oder weichen – wer sein berufliches Umfeld erhalten will, muss es gestalten wollen. Und das heißt, im Zweifel die Schippe selbst in die Hand zu nehmen.