HKP-Auktion bei ERGO Direkt
Wenn Kunden der ERGO Direkt einen Heil- und Kostenplan zuschicken, werden sie anscheinend mit einem ganz speziellen „Service“ beglückt: Die Versicherung stellt daraufhin nämlich eigenmächtig die Informationen aus dem HKP auf dem Auktionsportal www.2te-ZahnarztMeinung.de ein.
Bekannt wurde der Fall, als sich ein betroffener Patient bei seiner Zahnärztin beschwerte. Zuvor hatte sie bei ihm eine implantologisch-prothetische Versorgung geplant, und da er bei der ERGO Direkt eine ZE- Zusatzversicherung abgeschlossen hatte, reichte er dort anschließend den entsprechenden HKP mit der Frage der Leistungserstattung ein. Wie er seiner Zahnärztin erzählte, informierte ihn ERGO Direkt später per Brief, dass sie seinen HKP auf dem Auktionsportal 2te-ZahnarztMeinung.de angeboten habe – ohne seine Zustimmung. Ein starkes Stück, sollte sich bestätigen, dass dieses Vorgehen Methode hat.
„Stellen Sie dieses vergiftete Angebot ein!“
Diese Ansicht teilt auch BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel: „Das ist jedenfalls ein Vorgang, der hier in dieser ’Qualität’ noch nicht aufgeschlagen ist! Die Ergo Direkt beschränkt sich nicht nur darauf, zu empfehlen, auch andere Zahnärzte in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, sondern hat a) für den Versicherungsnehmer über das Internet schon andere Zahnärzte um ein Kostenangebot gebeten und b) setzt zudem mit einem 50 Euro-Gutschein noch einen finanziellen Anreiz für die Kontaktaufnahme mit einem ’billigeren Zahnarzt’.“
2te-zahnarztmeinung.de
„Es geht nicht um die Brücke für 1.500 Euro“
Das sagt Holger Lehmann, Geschäftsführer von 2te-ZahnarztMeinung.de.
Das Geschäftsmodell zwischen der ERGO Direkt und dem Internet-Auktionsportal 2te-ZahnarztMeinung.de besteht offenbar schon länger. Wie uns Holger Lehmann mitteilte, war ERGO Direkt demnach 2012 die erste Versicherung, die „dieses Modell als innovativer Vorreiter wagte und seine Mitglieder über günstige Alternativen informierte“.Lehmann zufolge stellt die ERGO Direkt den HKP ihres Kunden – laut seiner Darstellung mit dessen Wissen – auf das Portal und informiert ihn dann über die Angebote der bietenden Zahnärzte. Lehmann: „Es geht nicht um die Brücke für 1.500 Euro. Hauptsächlich werden sogenannte Hochkostenfälle von 15.000 bis 30.000 Euro eingestellt. Versicherte empfinden diesen Preisvergleich als Service.“Das Geschäftsmodell rentiere sich für das Auktionsportal wie auch für ERGO Direkt gleichermaßen, sagte Lehmann. „Das Angebot wird sehr gut genutzt. Auf diesem Weg optimiert ERGO auf sehr intelligente Art und Weise seine Gesundheitskosten, was meiner Ansicht auch eine zentrale Aufgabe von Versicherern ist.“ Man sei aber bereits mit weiteren Krankenkassen im Gespräch, die nachziehen wollen. Lehmann: „Der Patient will Transparenz und dass der Zahnarzt in einen Wettbewerb gebracht wird. Manche Zahnärzte meinen eben, wenn ein Patient mit Zusatzversicherung kommt, ist Weihnachten.“
Für Engel ist ein derartiges Geschäftsgebaren deshalb „völlig inakzeptabel – für den Patienten, für den Zahnarzt und für den gesamten Berufsstand!“ In einem Brief forderte er nun den Ergo Direkt-Vorsitzenden Peter Stockhorst auf, diese Praktiken zu unterlassen: „Das ungefragte Vorausfüllen der Anfrage bei www.2te-ZahnarztMeinung.de in Kombination mit dem Versprechen, dem Versicherungsnehmer 50 Euro für das Aufsuchen eines anderen Zahnarztes zahlen zu wollen, setzt den Versicherungsnehmer unangemessen unter Druck. Die Bundeszahnärztekammer appelliert daher an Sie, dieses vergiftete Serviceangebot kritisch zu hinterfragen und im Ergebnis einzustellen.“
Interview
Das sagt ERGO Direkt
Wir stellten vier Fragen an Florian Amberg „Deputy Head Media Relations/ Pressesprecher der ERGO Group AG“, die er uns schriftlich beantwortete.
1. Uns interessiert, was sich die ERGO Direkt von dieser Aktion verspricht und wie es zu der Kooperation mit dem Internet-Auktionsportal 2te-ZahnarztMeinung.de kam.
Florian Amberg: ERGO Direkt will Patienten unnötige Mehrausgaben ersparen. Daher kooperieren wir seit 2012 mit dem Online-Portal ’2te-ZahnarztMeinung.de’. Abstriche bei der Qualität gibt es trotz der geringeren Kosten nicht: Unser Kooperationspartner arbeitet nur mit Zahnärzten zusammen, die den Zahnersatz in Deutschland herstellen lassen.
2. In der Regel wird der HKP in der Zahnarztpraxis erstellt, nachdem Zahnarzt und Patient gemeinsam den Therapieplan festgelegt haben. Wie reagieren die Patienten auf den Informationsbrief, in dem ihnen mitgeteilt wird, dass ihr HKP nun ungefragt auf einem Auktionsportal versteigert und ihre freie Arztwahl eingeschränkt wird?
ERGO Direkt stellt Daten nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Patienten in das Auktionsportal ein. Wir beachten die Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes. 97 Prozent der Patienten sind mit dem Angebot zufrieden – das zeigen unsere laufenden Befragungen.
3. Unterhöhlt die ERGO Direkt mit dieser Kampagne nicht das vertrauensvolle Arzt-Patientenverhältnis und konterkariert damit auch das Bild des mündigen Patienten?Der Patient entscheidet selbst, ob er einen der mitbietenden Zahnärzte kennenlernen oder sich von seinem aktuellen Zahnarzt behandeln lassen möchte. Interessiert sich der Patient für ein Angebot, erhält er von ERGO Direkt die Kontaktdaten des Zahnarztes. Auch in diesem Fall geht er keine Verpflichtung ein.
4. Interpretiert man den Sachverhalt dahingehend richtig, dass es Ihnen darum geht, die Krankheitskosten Ihrer Mitglieder zu managen und dass Sie dieses Ziel über die freie Arztwahl und die beste Therapie Ihrer Versicherten stellen?Nein. Wie bereits beschrieben: ERGO Direkt will Patienten unnötige Mehrausgaben ersparen. Abstriche bei der Qualität gibt es trotz der geringeren Kosten nicht: Unser Kooperationspartner arbeitet nur mit Zahnärzten zusammen, die den Zahnersatz in Deutschland herstellen lassen. Der Patient entscheidet selbst, ob er einen der mitbietenden Zahnärzte kennenlernen oder sich von seinem aktuellen Zahnarzt behandeln lassen möchte.
Ohne Frage sei es das gute Recht des Patienten, sich bei einem weiteren Zahnarzt eine echte zweite Meinung einzuholen, konzidiert Engel, ein anonymes Bewertungsportal sei dafür aber gänzlich ungeeignet. „Zahnärztliche Therapieentscheidungen sind höchst komplex“, schreibt Engel. Auktionsportale für Zahnersatz reduzierten die zahnmedizinische Versorgung jedoch auf den Preis und taugten damit überhaupt nicht für eine Hilfestellung, da der mitsteigernde Zahnarzt ein Angebot abgibt, ohne den Patienten zu kennen und ohne ihn selbst untersucht zu haben. Solche Ferndiagnosen würden der Individualität eines Patienten nicht gerecht. „Wenn Sie die geplanten zahnprothetischen Versorgungen Ihrer Versicherungsnehmer in einer internetbasierten, auktionsähnlichen Bieterbörse versteigern, nehmen Sie in Kauf, dass damit die Regeln der zahnärztlichen Wissenschaft verletzt werden“, rügt Engel.
„Bedenklich und rechtlich grenzwertig“
„Die Ergo Direkt Krankenversicherung negiert diese Risiken“, kritisiert der BZÄK-Präsident weiter. „Sie beschränkt sich nicht nur darauf, zu empfehlen, auch andere Zahnärzte in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, sondern hat – ohne dessen Aufforderung – für den Versicherungsnehmer über das Internet schon andere Zahnärzte um ein Kostenangebot gebeten. Damit nicht genug, setzen Sie zudem noch einen finanziellen Anreiz für die Kontaktaufnahme.“
Insgesamt werde mit dem vermeintlichen Service die freie Arztwahl unzulässig eingeschränkt, der betroffene behandelnde Zahnarzt desavouiert, der Berufsstand bewusst gegeneinander ausgespielt und der Beruf des Zahnarztes – ein Heilberuf – auf einen reinen Kostenfaktor reduziert. Engel: „Die Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten ist aber mehr, als die Summe am Ende eines Heil- und Kostenplans! Die Bundeszahnärztekammer hält dieses Vorgehen für bedenklich und rechtlich grenzwertig.“
Das besagte (Standard-) Informationsschreiben des Vorstandsvorsitzenden Stockhorst, das der Patient bekam, liegt der Redaktion vor. Darin präsentiert der ERGO Direkt- Vorsitzende Stockhorst die HKP-Auktion mit dem Namen „Ihr Zahnkosten-Optimierer“ als neuen Kundeservice.
Das Warten habe sich gelohnt, verkündet Stockhorst: „Heute können wir Sie über das erfreuliche Ergebnis Ihrer Behandlungsauktion informieren. Unserem Schreiben haben wir die Auktions-Angebote für Sie beigelegt. Sie beinhalten eine Aufstellung der Behandlungskosten, Ihren Eigenanteil, die Gesamtanzahl der Zahnarzt-Bewertungen sowie die jeweilige Entfernung zu Ihrem Wohnort.“
Im Folgenden gibt Stockhorst den Versicherten detaillierte Instruktionen, wie sie mithilfe der mitgeschickten Auktionsnummer auf der Internetseite www.2te-ZahnarztMeinnung.de die Zahnarztbewertungen nachlesen können. „Sie haben sich für ein Angebot entschieden und möchten einen unverbindlichen Termin mit dem Zahnarzt Ihrer Wahl vereinbaren? Dann rufen Sie uns bitte an. Gerne teilen wir Ihnen die Kontaktdaten der Zahnpraxis (sic) mit.“
Wenn die Kunden sich „für ein unverbindliches Beratungsgespräch“ entschließen, „erstatten wir Ihnen für Ihr Engagement 50,00 EUR. Verwenden Sie hierzu das beiliegende Formular und lassen sich den Tag der Beratung mit Unterschrift und Stempel des Auktions-Zahnarztes bestätigen. Sobald uns diese Bestätigung vorliegt, überweisen wir Ihnen den Betrag auf das uns bekannte Abbuchungskonto.“
„Ihr Zahnkosten-Optimierer“
Zusammengefasst erhalten ERGO Direkt-Versicherte, die ja in der Regel auch vorab mit ihrem Zahnarzt den Therapieplan besprochen haben, also augenscheinlich per Post vermeintlich günstigeren Angebote – ohne dies beauftragt zu haben. Und damit sie auch wirklich darauf eingehen, verspricht ihnen die Versicherung 50 Euro für die Teilnahme an einem „Beratungsgespräch“ mit dem bietenden Zahnarzt.
BGH-Urteil 2010
Internetplattform nicht berufsrechtswidrig
Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe urteilte 2010, dass die Plattform ’2te-ZahnarztMeinung.de’, auf der Patienten den HKP ihres Zahnarztes versteigern können, nicht berufsrechtswidrig ist: Es sei zulässig, „wenn ein Zahnarzt, auf den ein Patient mit einem von einem anderen Zahnarzt erstellten Heil- und Kostenplan und der Bitte um Prüfung zukommt, ob er die Behandlung kostengünstiger durchführen kann, eine alternative Kostenberechnung vornimmt und, sofern sich der Patient daraufhin zu einem Zahnarztwechsel entschließt, auch dessen Behandlung übernimmt“. Das Geschäftsmodell des Auktionsportals ermögliche es dem Patienten, weitergehende Informationen zu den Behandlungskosten zu erhalten.In diesem Sinne diene das Verhalten der teilnehmenden Zahnärzte den Interessen der anfragenden Patienten und widerspreche nicht dem Grundsatz der Kollegialität
BGH-Urteil vom 1.12.2010
Az.: I ZR 55/08
„Benzingutschein“ nennt Holger Lehmann dieses kleine Incentive. Lehmann ist der Geschäftsführer bei der Mojo GmbH, die das Internet-Auktionsportal 2te-ZahnarztMeinung.de betreibt. Der Diplom-Kaufmann erklärte uns, dass ERGO Direkt auf keinen Fall ungefragt die Heil- und Kostenpläne einstelle: „Sondern das läuft so: Der Patient schickt den HKP vorab zu ERGO Direkt, um zu klären, wie viel die Versicherung übernimmt. Wenn der Kunde einen hohen Eigenanteil leisten muss, fragt ERGO Direkt im Vorfeld nach, ob Interesse an einem Preisvergleich besteht. Wenn ja, stellt ein Mitarbeiter der Versicherung den betreffenden HKP ein – in der Regel für drei Tage. ERGO Direkt druckt sich das Ergebnis aus und schickt es dem Patienten anonymisiert zu.“
Entscheidet sich der Kunde für ein Auktionsangebot, sei der erste Termin beim bietenden Zahnarzt „ein Kennenlern- und Untersuchungstermin. Beide Seiten können schauen, ob die Chemie stimmt“.
Den 50 Euro-Benzingutschein bekomme im Übrigen jeder Patient für den ersten Termin – unabhängig davon, ob er Behandlung in Anspruch nimmt. Lehmann: „Das ist eine Art Aufwandsentschädigung.“
Kein schönes Geschäftsmodell, das die Behandler zwingt, gegeneinander anzutreten. Doch wenn es stimmt, was Lehmann sagt, dann würde dieser „Service“ den Patienten am Ende zwar vermutlich einen Bärendienst erweisen, aber – so urteilte der Bundesgerichtshof 2010 – legal sein. Allerdings liegen den zm eine schriftliche Erklärung der behandelnden Zahnärztin vor, in der sie die Aussage des Patienten bestätigt, wonach ERGO Direkt ohne dessen Auftrag die Auktion auf 2te-ZahnarztMeinung.de veranlasst und ihn dann mit dem entsprechenden Angebot konfrontiert habe.
Ein Einzelfall?