Erste Erfolge mit selbstauflösenden Biomaterialien

Seidenraupen fördern die Wundheilung

Ralf Smeets
Die Entwicklung neuartiger Biomaterialien eröffnet zukunftsweisende Perspektiven. So könnte mit Raupenseide, welche mit Wachstumsfaktoren modifiziert wurde, die Heilung von Wunden verbessert werden. In der Hamburger MKG-Chirurgie wird die Seidenraupe für Forschungszwecke gezüchtet und man ist bislang mit ihrer „Arbeit“ sehr zufrieden.

Der Einsatz von Seide als biokompatible Membran ist in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie für verschiedene Applikationen denkbar, vor allem bei akuten und chronischen Wundverhältnissen sowie der dentalen Implantologie.

Grundlagen und Herstellung

Seiden-basierte Materialien (N-Fibroin) haben in letzter Zeit aufgrund der hohen Biokompatibilität, niedrigen Immunogenität, Biodegradation und guten mechanischen Eigenschaften das Interesse der Forschung geweckt [Altman et al., 2003; Guan et al., 2010].

Das Seidenmaterial selbst basiert dabei auf N-Fibroin, welches zum Beispiel durch die Seidenraupe bombyx mori hergestellt wird (Abbildung 1). N-Fibroin ist ein gut validiertes Biomaterial [Dal Pra et al., 2005; Meinel et al,. 2005], welches bereits als Träger für die unterschiedlichsten Zelltypen bestätigt wurde [Unger et al., 2004] und eine bessere Biokompatibilität im Vergleich zu Polymeren aufweist [Altman et al., 2003].

Durch präformierte 3D-Körper kann die Endform der Seidenmatrix beeinflusst werden [Altmann et al., 2011]. Der Abbau dieses Materials erfolgt durch eine proteolytische Resorption. Gegenüber anderen synthetischen (zum Beispiel Polyglycol-Säuren, Laktatsäuren) und natürlichen (wie Kollagen Typ I) Materialien zeigten Seiden-basierte Konstrukte deutliche Vorteile in der Rekonstruktion verschiedener mesenchymaler Gewebe [Mauney et al., 2007], wie Knochen [Wang et al., 2010], Knorpel [Wang et al., 2006], Urethra [Liu et al., 2007] und Trachea [Ni et al., 2008].

N-Fibroin stimuliert dabei die Fibroblasten-Proliferation und -Migration [Minouraet al., 1995]. Die Granulation während der Wundheilung wurde durch die Verwendung von Seidenmaterialien beschleunigt [Sugihara et al., 2000]. Ferner weist N-Fibroin ein im Hinblick auf die Geschwindigkeit modifizierbares Abbauverhalten auf. Ein weiterer Benefit der Seide als Biomaterial ist die individuelle Generierung von Scaffolds, also sogenannten „Gerüsten“ (wie auch Vliese, Gewirke, Membranen) mittels Standardtextilmaschinen (wie zum Beispiel beim rapid prototyping) (Abbildung 3).

Es können also beliebige Formen virtuell geplanter dreidimensionaler Zellträgerstrukturen generiert und dabei eine hohe interkonnektierende Porenstruktur gewährleistet werden, die für die Versorgung der Zellen von enormer Bedeutung ist (Vermeidung von Diffusionsbarrieren). In einer in vivo Studie konnte bereits gezeigt werden, dass Stents auf Basis von N-Fibroin erfolgreich für die technisch einfachere und schnellere mikrochirurgische Gefäßanastomose eingesetzt werden kann [Smeets et al., 2016].

Generell besteht die Möglichkeit der Integration von verschiedenen Wachstumsfaktoren während des Herstellungsvorgangs. Transgene Raupen (bombyx mori) können dabei zum Beispiel VEGF / FGF-2 in die Seidenfäden einbauen. Sie sorgen dafür, dass die Faktoren später auf der Oberfläche des Fadens präsentiert werden und somit bei einem in vivo Einsatz keine systemische Belastung darstellen.

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Integration von Wachstumsfaktoren

Vorversuche konnten zeigen, dass direkt präsentierte Wachstumsfaktoren in geringeren Konzentrationen wirken als löslich zugegebene Wachstumsfaktoren. Für die Steigerung der Proliferation von Fibroblasten mit FGF-2-Seide reicht eine Menge von 0,1 ng an der Oberfläche aus. Mit löslichem FGF-2 im Medium wird ein vergleichbarer Effekt erst bei 5 ng messbar. Durch kovalente Bindung an Seide wird der Wachstumsfaktor präsentiert und kann nach Aktivierung des Rezeptors auf der Zelle nicht internalisiert werden. Dies bedeutet eine längere Verfügbarkeit des Wachstumsfaktors im Vergleich zu löslichem Wachstumsfaktor im Medium. Durch die Verbindung des Wachstumsfaktors mit der Seidenoberfläche ist möglicherweise auch der proteolytische Abbau der Seide vermindert. Auf diese Weise wird länger aktiver Wachstumsfaktor präsentiert.

In diesem Zusammenhang konnten Versuche zum Tissue Engineering von Fettgewebe mittels Seidengewirken mit VEGF / FGF-2 Präsentation bereits einen Effekt der Webdichte der Scaffolds auf die Differenzierung von Fettgewebsvorläuferzellen zu reifen Fettzellen zeigen. Auch deutete sich eine Wirkung der Wachstumsfaktoren auf die Differenzierung der Fettzellen in vitro an [Hanken et al. 2016].

Akute und chronische Wundverhältnisse kommen in der progressiv alternden Gesellschaft zunehmend häufiger vor. Neben ästhetischen Problemen können Wunden auch zu nachfolgenden schweren Infektionen (Sepsis) des Individuums führen [Diaz et al., 2015].

Chronische Wundverhältnisse entstehen oft im höheren Alter und stehen im Zusammenhang mit Komorbiditäten (wie Stoffwechselerkrankungen, vaskuläre Erkrankungen, Traumata) [Winter, 2006; Korol et al., 2013; Wang et al., 2016].

Nach chirurgischen Eingriffen sind Wunden und deren Behandlung obligater Natur. Die professionelle Behandlung von chronischen Wunden erfordert ein multiprofessionelles Team, bestehend aus Pflegepersonal und Ärzten verschiedener Fachrichtungen. Somit beherbergt der Themenaspekt um die Verbesserung der Wundheilung auch einen gewichtigen sozioökonomischen Aspekt [Korol et al., 2013].

Gemäß des heutigen Standards geschieht die professionelle Versorgung chronischer Wunden zumeist durch ein Wundteam, welches je nach Gegebenheit über den weiteren Behandlungsablauf entscheidet (zum Beispiel chirurgische versus konservative Strategie). Aktuell verfügbare Wundauflagen bestehen dabei zumeist aus körperfremden, nicht-abbaubaren Materialien, welche den Heilungsprozess unterstützen, aber zumeist täglich gewechselt werden müssen und auch Unverträglichkeiten auslösen können. Der tägliche Wechsel und das Abziehen der Materialien von der Wunde birgt widerkehrende Gefahren von Wund- irritationen und schlechter Heilung. Auch der Komfort der Behandlung ist schlecht, da Verbandswechsel- und Wundbehandlungen oftmals mit starken Schmerzen für die Patienten verbunden sind. Somit ist die Suche nach beziehungsweise die Weiterentwicklung von Materialien zur Unterstützung der Wundheilung von großem allgemeinen Interesse.

Seide als biokompatibles und biodegradierbares Material darf aufgrund der genannten Vorteile (unter anderem Biokompatibilität, pH-neutrale Resorption, bessere Wundheilungstendenzen und beschleunigte Granulation, Möglichkeit der Integration von Wachstumsfaktoren) deshalb als idealer Kandidat für ein Biomaterial zur Herstellung von Wundauflagen gelten (Abbildung 4). Somit kann Seide als sehr vielversprechendes Material zur Herstellung einer Wundauflage für die Versorgung akuter und chronischer Wunden angesehen werden, welche in aktuellen Projekten validiert wird [Smeets et al., 2008; Wöltje et al., 2014].

Ausblick

Neben dem Einsatz der Seide als Wundverband beziehungsweise –auflage ist der Einsatz als Barrieremembran (GBR/GTR-Membran) in den dentalen Implantologie denkbar. Dies liegt vor allem an der generellen Möglichkeit der individualisierten Anfertigung sowie Verbindung mit anderen biologischen- sowie Werkstoffen. So ist beispielsweise die Integration von Magnesium, welches als natürlich biodegradierbar gilt, als Stützgerüst in die Seide zur Vermeidung eines Membrankollaps in der GBR/GTR-Technik denkbar und ist Gegenstand aktueller eigener Forschungsbemühungen.

Darüber hinaus kann die Seidenmembran mit Knochenersatzmaterialien wie Hydroxylapatit (HA) oder ß-Tricalciumphosphat (ß-TCP) beschichtet und damit funktionalisiert werden (Abbildung 3). In einer Studie konnte bereits in vivo gezeigt werden, dass kraniale Knochendefekte kritischer Größe bei Verwendung von ß-TCP beschichteten Seidenmembranen reifer knöchern aus- heilen im Vergleich zur Verwendung herkömmlicher Kollagenmembranen [Smeets et al., 2016].

Prof. Dr. Dr. Ralf Smeets, Geschäftsführender Oberarzt und Leiter der Forschung Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Kopf- und NeurozentrumKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG)Martinistraße 52, 20246 Hamburg, E-mail:

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