Der besondere Fall

Amphetamin-induzierte Osteonekrose des Oberkiefers

Andreas Pabst
,
Richard Werkmeister
Dieser Fallbericht beschreibt einen der bislang extrem seltenen Fälle einer MR-ONJ nach langjährigem Amphetaminkonsum. Die Popularität dieser Wirkstoffe könnte zukünftig jedoch zu einer deutlich höheren Inzidenz führen.

Ein 28-jähriger Patient wurde zwei Wochen nach alio loco durchgeführter operativer Entfernung der nicht erhaltungswürdigen Zähne 24 bis 28 vom behandelnden Hauszahnarzt an unsere Poliklinik überwiesen. Der Patient klagte dabei initial über starke Schmerzen im linken Oberkiefer, einen massiven foetor ex ore und eine deutlich eingeschränkte Nasenatmung links. Die allgemeine Anamnese stellte sich mit Ausnahme eines langjährigen „PEP“-Konsums (α-Methylphenetylamin) unauffällig dar. Neben einem sanierungsbedürftigen Restzahngebiss mit mehreren nicht erhaltungswürdigen Zähnen in regio 24 bis 28 zeigte sich klinisch freiliegender, nekrotischer und eitrig belegter Knochen mit einer klinisch sondierbaren, großflächigen Mund-Antrum-Verbindung (MAV).

Die umliegenden Weichgewebe zeigten ebenfalls massive Entzündungszeichen (Abbildung 1). Die angefertigte DVT-Bildgebung zeigte eine vollständige, entzündliche Verschattung des linken sinus maxillaris (Abbildung 2). Zur Behandlung der Akutsymptomatik erfolgte zunächst die stationäre Aufnahme des Patienten in Verbindung mit einer adäquaten Schmerzmedikation, einer intravenösen Antibiotikatherapie (Amoxicillin/Clavulansäure) und einer täglichen Spülung des linken sinus maxillaris.

Operativ erfolgte im weiteren Verlauf in ITN die Resektion des nekrotischen Knochens, eine Kieferhöhlenrevision mit Anlage eines Nasenfensters und anschließender plastischer Deckung des Knochens und der MAV (Abbildung 3).

Postoperativ zeigten sich zunächst fragile und teils dehiszente Wundverhältnisse, so dass zusätzlich eine Verbandsplatte angefertigt und eingegliedert wurde (Abbildung 4). Die Fadenentfernung nach 21 Tagen postoperativ führte zu einer teilweisen Wunddehiszenz, so dass der Patient zunächst konservativ weiterbehandelt wurde. Im weiteren Verlauf konnten durch die eingegliederte Verbandsplatte in Kombination mit einer strengen nasogastralen Ernährung und der Fortführung der i.v.-Antibiose nach und nach akzeptable und stabile Wundverhältnisse erreicht werden, so dass auf eine erneute plastische Deckung verzichtet werden konnte.

Die Bisphosphonat-assoziierte Osteonekrose der Kiefer (BP-ONJ) ist eine seit Langem bekannte und klinisch relevante Nebenwirkung der Bisphosphonattherapie. Seit einigen Jahren werden in der Literatur neben der BP-ONJ zunehmend weitere durch verschiedene andere Wirkstoffe ausgelöste Osteonekrosen der Kiefer mit steigender Inzidenz und Prävalenz beschrieben, die in ihrem klinischen Erscheinungsbild der BP-ONJ weitgehend entsprechen. Aus diesem Grund hat sich der Begriff der Medikamenten-assoziierten Osteonekrose der Kiefer (MR-ONJ) etabliert, um dieser neuen klinischen Entwicklung zu entsprechen [Ruggiero et al., 2014].

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Diskussion

Die Auftreten der MR-ONJ wurde bislang unter anderem nach oder während einer Therapie mit anti-RANK-L-Antikörpern (Receptor activator of nuclear factor, κB ligand; Denosumab, etwa Prolia

®

, XGEVA

®

) [Neville-Webbe HL, Coleman RE, 2010], Angiogenese- (Bevacizumab, etwa Avastin

®

) [van Poznak C, 2010] oder Tyrosinkinase- Inhibitoren (Sunitinib, etwa Sutent

®

) [Koch et al., 2011] beschrieben. Zusätzlich wurde über MR-ONJs nach einer Medikation mit SERMs (Selective estrogen receptor modulator; Tamoxifen, etwa ABZ

®

) [Baur DA et al., 2015] und MTX (Methotrexat) [Alsalleeh F et al., 2014] berichtet.

Die Inzidenz der MR-ONJ nach Amphetaminkonsum könnte zukünftig aufgrund der zunehmenden Popularität und der weiten Verbreitung dieser Wirkstoffe deutlich ansteigen. Da es bislang aufgrund des extrem seltenen Auftretens der MR-ONJ nach Amphetaminkonsum keine speziellen therapeutischen Empfehlungen für diese MR-ONJ-Entität gibt, sollte man sich bei der Behandlung eines solchen Falles an den prophylaktischen und therapeutischen Empfehlungen der aktuellen AWMF-S3-Leitlinie beziehungsweise den Empfehlungen der AAOMS (American Association of Oral and Maxillofacial Surgeons) zur BP-/MR-ONJ orientieren [Grötz KA, Piesold JU, Al-Nawas B, 2012;

Ruggiero SL et al., 2014]. Mit Hinblick auf die ebenfalls ungeklärten pathophysiologischen Mechanismen der Amphetamin-induzierten MR-ONJ könnten sich daraus möglicherweise neue Aspekte hinsichtlich der Erforschung der Ätiologie und Pathophysiologie der BP-ONJ sowie anderer MR-ONJ-Entitäten ergeben.

Dr. Andreas Pabst, Stabsarzt, Prof. Dr. Dr. Richard Werkmeister, OberstarztKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie Bundeswehrzentralkrankenhaus KoblenzRübenacherstr. 170, 56072 Koblenz E-mail:Interessenkonflikte: Dieser klinische Fall wurde im Rahmen des 66. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (DGMKG) 2016 in Hamburg vorgestellt.

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