„Wir bringen uns in den politischen Gestaltungsprozess ein“
Wo sehen Sie – als neuer Präsident der DG PARO – die Schwerpunkte Ihrer Präsidentschaft?
Zunächst einmal ist dank der hervorragenden Arbeit meines Vorgängers, Herrn Prof. Eickholz, die DG PARO in einem exzellenten Zustand und die Vorstandsarbeit konnte ohne Brüche fortgesetzt werden. An der grundlegenden Ausrichtung der Arbeit der DG PARO wird sich daher nichts ändern. Allerdings hat jeder seine persönlichen Schwerpunkte. Meiner ist die Versorgungsforschung, da ich ja auch Sprecher der Fachgruppe Zahnmedizin im Deutschen Netzwerk für Versorgungsforschung bin. Insofern wird die Versorgung der Parodontitispatienten in ihrer ganzen Breite im Fokus meiner Vorstandsarbeit stehen.
Wie stellt sich aus Ihrer Sicht die Situation der Parodontitiserkrankungen in Deutschland dar?
Wir warten ja alle gespannt auf die Ergebnisse der DMS V. Allerdings kann man eine Abschätzung der Situation auch bereits jetzt über die veröffentlichten Daten vornehmen. Als die Ergebnisse der DMS IV 2006 veröffentlicht wurden, war die niedrige Kariesprävalenz in aller Munde. Über die gestiegene Parodontitisprävalenz wollte außer den Parodontologen niemand gerne sprechen. Auf der Basis der Zahlen aus der DMS IV lässt sich berechnen, dass 2005 etwa acht bis elf Millionen Bundesbürger an behandlungsbedürftigen schweren Parodontalerkrankungen litten. Das sind zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Die DG PARO unternimmt vor diesem Hintergrund seit Jahren zunehmende Anstrengungen, dieses Thema in die Öffentlichkeit zu bringen und Bewusstseinsbildung zu betreiben.
Dies scheint Früchte zu tragen. Im Jahr der Erhebung der DMS IV wurden 815.200 systematische PAR-Fälle über die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) abgerechnet. Seither hat die Zahl der jedes Jahr abgerechneten Fälle kontinuierlich zugenommen und erreichte in 2014 1.027.100 (KZBV-Jahrbuch 2015). Das sind über diese neun Jahre durchschnittlich 132.000 Fälle mehr pro Jahr im Vergleich zu 2005. Wenn wir durchschnittlich eine Million abgerechneter Fälle seit 2005 rechnen und wissen, dass es rund 500.000 Neuerkrankungen pro Jahr gibt [Kassebaum et al., 2014], verbraucht sich aktuell die Hälfte der Behandlungen für Neuerkrankungen (500.000), während um etwa 500.000 Fälle pro Jahr die Gesamtprävalenz abgebaut wird. Damit kann in neun Jahren die Gesamtprävalenz um 4,5 Millionen Fälle reduziert werden. Bei acht bis elf Millionen schweren Fällen wäre dies eine knappe Halbierung der Prävalenz. Das ist natürlich nur eine sehr grobe Abschätzung und unter den über die GKV abgerechneten Fällen sind nicht nur schwere Parodontalerkrankungen. Aber es lässt sich ein Trend ablesen, der sicher zum Teil durch die Bemühungen der DG PARO für mehr Bewusstsein, aber auch für mehr Therapie von Parodontalerkrankungen getragen ist.
Welche Aufgaben hat aus Ihrer Sicht die DG PARO?
Obwohl die Bilanz neun Jahre nach der DMS IV nicht schlecht ist, bleibt noch viel zu tun. Trotz der Zunahme an Behandlungen bleiben noch zu viele Parodontitiden unbehandelt. Hier darf die DG PARO in ihrem Bestreben nach einer Verbesserung der Situation nicht nachlassen. Wir sind schon sehr aktiv in Aus-, Fort- und Weiterbildung. Die Hochschullehrer in der DG PARO arbeiten daran, an allen zahnmedizinischen Standorten ein breites und tiefes Lehrangebot in Parodontologie zu etablieren und zu sichern. Die Mitarbeit am nationalen kompetenzbasierten Lernzielkatalog Zahnmedizin (NKLZ), der standortübergreifend in ganz Deutschland relevant ist, ist ein Beispiel dafür.
Wir veranstalten wissenschaftliche Tagungen und bieten Fortbildungskurse an. Dabei müssen die Themen praxisrelevant sein. So lautet zum Beispiel das Motto der diesjährigen Jahrestagung vom 15. bis zum 17. September 2016 in Würzburg „Parodontologie im Focus“. Die Abläufe im Praxisalltag stehen im Blick-punkt und werden von internationalen und nationalen Referenten vor dem Hintergrund der aktuellen wissenschaftlichen Evidenz reflektiert. Darüber hinaus besteht über die DG PARO die Möglichkeit, sich über ein berufsbegleitendes Master- beziehungsweise ein vollzeitiges Spezialistenprogramm weiterzubilden.
Diese Ausbildungsmöglichkeiten bauen systematisch aufeinander auf. Die DG PARO fördert so auf allen Ebenen intensiv die parodontologische Kompetenz der Kollegen. Dies wird auch dankbar angenommen. Nicht umsonst ist die DG PARO die größte nationale parodontologische Fachgesellschaft Europas. Mit dieser geballten Expertise aus Praxis und Wissenschaft ist die DG PARO gut gerüstet.
Die DG PARO begleitet die Arbeit der KZBV-AG „PAR-Strategie“ mit wissenschaftlicher Expertise. Was ist hier für Sie wichtig?
Die DG PARO vereinigt in Deutschland die fachliche Expertise in der Parodontologie. Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass sich die Fachgesellschaft in einen solchen politischen Gestaltungsprozess einbringt. Wichtig ist dabei, dass von ihr die inhaltliche Debatte geführt wird. Die ist nicht trivial. Häufig geht es bei der Beurteilung und vor allem bei der Gewichtung von publizierten Ergebnissen um methodische Nuancen, die nur von denjenigen adäquat adressiert werden können, die in das System eingedacht sind. Der DG PARO kommt hierbei vor allem auch die Rolle zu, Falschinterpretationen zu erkennen und zu kommentieren. Die politischen Entscheidungsweichen müssen, können nur von den entsprechenden Institutionen gestellt werden. Hier sind dann eher die Politprofis gefragt.
PAR ist eine Herausforderung, weltweit wie national. Wo können die EFP-Aktivitäten in Deutschland die versorgungspolitische Diskussion unterstützen?
Die EFP ist ein wertvoller Partner, der eben genau diese übernationale Bedeutung der Parodontitis institutionalisiert und den Aussagen der DG PARO mehr Gewicht geben kann. Europaweite Kampagnen haben eine höhere Tragweite als nationale und die Einführung des Europäischen Parodontologietages am 12. Mai ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine Europäische Vereinigung der Fachgesellschaften ein Forum schaffen kann, das über die Möglichkeiten einer Einzelgesellschaft hinausgeht. Diese konzertierten Aktionen, aber auch die europaweite inhaltliche Konsentierung und gemeinsame Kommunikation und Koordination von Kernaussagen unterstützen die Aktivitäten der DG PARO ungemein und führen zu länderübergreifenden Synergien, die angesichts der begrenzten Ressourcen einer auf Ehrenamt basierenden Fachgesellschaft auch zur Steigerung der Möglichkeiten der DG PARO beitragen.
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Prof. Dr. Christof Dörfer ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO), Direktor der Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein Campus Kiel und Sprecher der Fachgruppe Zahnmedizin im Deutschen Netzwerk für Versorgungsforschung.