Fleißig gespart und trotzdem ein Seniorenkredit?
Alter schützt vor Spielsucht nicht. Ich kann Ihnen nicht erklären, warum das so ist. Es geht um einen Anleger, der 66 Jahre alt ist und zwei Millionen Euro auf dem Konto hat. Der Freiberufler hat hart gearbeitet und nun will er endlich leben. Das kann ich gut verstehen und im Grunde genommen ist die Sache einfach. Der Gentleman hat, wie ein Blick in die Sterbetafeln der deutschen Aktuare zeigt, noch 17 Jahre vor sich. Folglich kann der Mann ohne Zins und Zinseszins jährlich 117.647 Euro ausgeben. Das sind pro Monat exakt 9.803 Euro und 92 Cent, so dass das Risiko, unter der Brücke zu landen, vernachlässigt werden kann. Vorsichtshalber würde ich die Rente, skeptisch wie ich bin, auf volle Tausender abrunden. Dadurch werden am 83. Geburtstag noch 164.000 Euro übrig bleiben, die entweder für einen ordentlichen Leichenschmaus oder 36 zusätzliche Lebensmonate auf halber Ration verwendet werden können. Das sind doch bodenständige und solide Vorschläge, oder wie sehen Sie das?
Nun frage ich mich allerdings, was diesen Herrn bewegt, im Ruhestand alles auf eine Karte zu setzen. Er will einen Kredit über 4,5 Millionen Euro aufnehmen und insgesamt 6,5 Millionen Euro in ein Mehrfamilienhaus stecken. Das Objekt kostet sechs Millionen Euro und wirft jedes Jahr rund 300.000 Euro ab. Davon stehen nach Abzug der Kosten ungefähr 270.000 Euro zur Verfügung. Der Kredit möge pro Jahr ungefähr zwei Prozent kosten. Hinzu kommt die Rückzahlung von 1,5 Prozent, so dass die aufgerundete Jahresrate für Zins und Tilgung bei 158.000 Euro liegt. Das führt zu einem Überschuss von 112.000 Euro pro Jahr, so dass die gewünschten 9.000 Euro darstellbar sind.
Ich kann mir den Reiz dieses Vorhabens nur damit erklären, dass bestimmte Risiken unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden. Der vollständige Verzehr des Vermögens scheint der Alptraum in Vollendung zu sein und es ist völlig egal, ob 50.000 oder 500.000 oder 5.000.000 Euro zur Diskussion stehen. Die Vorstellung, am Ende des Lebens mit „leeren Händen“ dazustehen, ist für viele Menschen nicht zu ertragen. Interessant ist freilich, dass viele Anleger kein Problem haben, von einem Extrem ins andere zu fallen. Die Verzehr des Geldes schmeckt wie ein Wackelpudding, doch der Kauf einer Immobilie auf Pump gilt als nahrhaftes Gericht. Ist das nicht merkwürdig?
Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen den Vorschlag machte, für Ihr schönes Geld, sagen wir 500.000 Euro, ausschließlich Aktien von Apple oder Google zu kaufen? Da würden Sie mich doch für meschugge halten. Und was würden Sie mit mir machen, wenn ich Ihnen vorschlüge, einen Kredit von 1,5 Millionen Euro aufzunehmen und zwei Millionen Euro nur in Airbus oder Daimler zu investieren? Würden Sie beim Gesundheitsamt in Stuttgart einen Antrag auf JPU – die journalistisch-psychologische Untersuchung – meiner Zurechnungsfähigkeit stellen? Oder würden Sie ersatzweise lieber den Chefredakteur dieser Zeitschrift bitten, mich wegen „Spinnerei“ aus dem Verkehr zu ziehen?
Bitte unterstellen Sie mir im Umkehrschluss nicht, dass ich Sie für einen Spinner halte, wenn Sie drei, vier oder fünf Millionen Euro in eine Immobilie stecken. Wir leben in einem freien Land, und Sie haben das Recht, Ihr gutes Geld nach freiem Ermessen zu versenken. Ich will nur den Glauben, die Bündelung weniger Groschen und hoher Fremdmittel in einer Geldanlage sei eine feste Burg, wenigstens ein bisschen erschüttern, weil dieser Glaube in meinen Augen fragwürdig ist.
Ich würde im Alter von 65 Jahren auf die Aufnahme von Krediten verzichten, weil es in diesem Lebensabschnitt schönere Dinge gibt als die Tilgung von Hypotheken. Wenn bei Ihnen zwei Millionen Euro auf dem Konto liegen, sollten Sie sich erst einmal nicht schämen, so viel Geld zu haben und zweitens eine Flasche aufmachen, überhaupt so viel Geld auf die Seite gebracht zu haben. Dann sollten wir festlegen, wie viel Geld an Ihrem 85. Geburtstag noch in der Kasse liegen soll. Ich verstehe ja, dass ein Restbetrag von 164.000 Euro etwas dürftig ist. Wie wäre es denn mit 500.000 Euro? Oder soll es doch eine Million Euro sein, weil Sie als „anständiger und großzügiger“ Erblasser in die Familienchronik eingehen wollen? Ich schlage 750.000 Euro vor und über den monatlichen Konsum von 9.000 Euro verlieren wir kein Wort. Viel wichtiger ist die Information, dass bei diesen Vorgaben ein jährlicher Zinssatz von 3,4 Prozent vor Steuern nötig ist, um das Ziel zu erreichen. Das ist kein Pappenstiel und wird nur mit Hilfe von Anleihen und Aktien erreichbar sein. Ja, da haben Sie haben richtig gelesen! Die eine Hälfte besteht aus Anleihen, die 1 bis 2 Prozent pro Jahr abwerfen, und die andere Hälfte besteht aus Aktien, die pro Jahr mindestens 4 bis 5 Prozent bringen müssen. Damit sind wir wieder an dem Punkt angelangt, wie Risiken bewertet und verarbeitet werden. Was meinen Sie? Ist eine Immobilie auf Pump oder das Wertpapierdepot ohne Kredit mit 1.111 Titeln das größere Risiko? Ich halte die zweite Lösung – allen Unkenrufen zum Trotz – für die bessere Geldanlage. Oder brauchen Sie im Alter doch das Gefühl, wie in der Spielbank endlich mal „alles“ auf die 13 setzen zu dürfen?
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